Vorpremiere im Großen Saal des Musiktheaters am Landestheater Linz am 8. Dezember 2016 (im Rahmen der OÖN-Christkindl-Gala):
IM WEISSEN RÖSSL
Text von Hans Müller und Erik Charell, Gesangstexte von Robert Gilbert, Musik vonRalph Benatzkysowie Robert Stolz, Bruno Granichstaedtenund Robert Gilbert
Frei nach dem gleichnamigen Lustspiel von Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg
Gotho Griesmeier, Günther Rainer. Copyright: Patrick Pfeiffer (Linzer Landestheater)
Gelobt sei die Kategorisierung – man sollte dieser gemäß zumindest einigermaßen wissen, was einen im Theater erwartet. Mitunter versagt diese Zuordnung jedoch, und gerade bei sehr beliebten und erfolgreichen Stücken ist das der Fall. Grenzgang, Verletzung von Konventionen und überraschende Ideen haben nämlich ihren eigenen Reiz; die Diskussion, ob „West Side Story“ ein Musical, ein tragisches Singspiel und somit doch eher eine Oper ist oder ganz etwas anderes, hat schon tausende Feuilleton-Seiten gefüllt.
Im menschlichen Anspruch eine Etage darunter, aber ebenso vielschichtig, ist das „Rössl“ zu sehen: offiziell Operette benannt, stammt es aber doch vom unbestrittenen Meister der Berliner Revue und ist von der explizit zeitgenössischen musikalischen Sprache her, die ins Jazzige geht, mit der Bezeichnung „erstes deutsches Musical“ durchaus adäquat beschrieben; nicht von ungefähr war dem Stück schon kurz nach dem Erscheinen weltweiter Erfolg beschieden. In der Pause konnten wir einige wohlbekannte Mitglieder des Musicalensembles diskutieren hören, die meinten „das ist 80 % Musical, 20 % Operette“… Bei der Uraufführung waren nur wenige Rollen mit voll ausgebildeten Singstimmen besetzt, was bei der klassischen Operette, abgesehen vom Komiker, „gar nicht geht“.
Matthäus Schmidlechner, Kim Schrader. Copyright: Patrick Pfeiffer/ Linzer Landestheater
Hier in Linz hat zuletzt der Grazer Sandy Lopičić 2008 das Rössl höchst gelungen inszeniert, in einer aus dem Klavierauszug rekonstruierten musikalischen Fassung der Uraufführung (inzwischen wurde auch die Originalpartitur aufgefunden). Der bissige Witz des Werkes kam sehr gut zur Geltung, und Karl M. Sibelius spielte einen nah mit Nestroys „Zerrissenem“ verwandten Leopold. Diesmal ist eine musikalische Version aus den 1950ern vorgesehen, die eine Modernisierung im Geiste der ursprünglichen Komposition darstellte – im Gegensatz zur notorischen Verfilmung mit Peter Alexander und Waltraud Haas von 1960, die die meisten Ecken und Kanten des Textes bis zur Unkenntlichkeit abschliff und auch musikalisch in der harmlosen Süßlichkeit landete, mit der das ursprünglich satirisch gedachte Operettengenre spätestens seit der Nazizeit geschlagen war.
Das Bruckner Orchester, natürlich viel größer als 2008 besetzt,spielte mitPräzision und klanglicher Opulenz– man konnte förmlich das Orchester Kurt Graunkewiederhören, und wenns swingend wird oder gar in den Boogie geht, wurde man an Nelson Riddle‘sgroße Arrangements erinnert. Marc Reibel ließ die Musik schweben, flehen, flott marschieren,swingen und natürlich elegant tanzen, und schaffte makellose Koordination zwischen Bühne und Graben. Abseits der bekannten Nummern gibt es (als Leopold das Rössl verläßt bzw. verlassen muss) einen ebenso trotzigen wie elegischen Abschiedsmarsch zu hören, der uns in 4 oder 5 Inszenierungen bislang nicht untergekommen ist. Die Erweiterung des Orchesters durch Akkordeon und Zither hingegen entspricht der bekannten Aufführungspraxis; weniger üblich, daß man ein paar Takte Rosenkavalier-Walzer auf der „Quetsch’n“ hören kann….
Copyright: Patrick Pfeiffer/ Linzer Landestheater
Die Inszenierung von Karl Absenger (der das Stück vor einigen Jahren auch in Mörbisch auf die Bühne gebracht hat) setzt einerseits auf sorgfältige Personenführung eines auch schauspielerisch höchst kompetenten Gesangsensembles, andererseits sehen wir immer wieder opulent besetzte, glitzernde und bunte Revue- und Massenszenenvon Chor, Tanzensemble und Statisterie (Chorleitung Georg Leopold, Choreografie Christina Comtesse): an Schauwerten herrscht absolut kein Mangel! Musikalischer wie szenischer Reichtum geht aber nicht zu Lasten des frechen Humors mit geschickt eingefügten aktuellen Bezügen (Dramaturgie: Ira Goldbecher) –eine exzellente Mischung!
Die Bühne (Karin Fritz) wird von seitlichen Fassadenprospekten des titelgebenden Hotels und einer auf Neue Sachlichkeit getrimmten Gebirgshintergrund dominiert, das Ganze im Stil des artdécogefaßt. Es kommen auch zahlreiche witzige Ausstattungsdetails hinzu, von einer Eisenbahn in LGB-Größe bis zu einem gewaltigen Raddampfer und natürlich Herrn Sülzheimers Aeroplan; und daß man im Salzkammergut gut lustig sein kann, finden im Hintergrund auch Hirsch und Wildschwein. Die reiche Kostümausstattung (Götz Lanzelot Fischer) ist mit viel Liebe zum Detail am Zeitraum 1910 – 1920 orientiert.
Auch wenn sich die Produktion entschieden von den bekannten Verfilmungen absetzt, kommt sie doch anfänglich als Film daher: zu den ersten Takten der Musik läuft auf einem Gazevorhang ein regelrechter Vorspann ab (Video Martina Sochor).
Die Darstellerinnen und Darsteller, in allen Gesangsrollen mit geschulten Opernkräften besetzt, tragen Stützmikrophone, die jedoch beim Singen nicht von allen im gleichen Ausmaß in Anspruch genommen werden (eine ziemliche Herausforderung für die Technik…).
Rössl-Wirtin Josepha Vogelhuber wird von Gotho Griesmeier mit nicht immer perfekter Stimme, aber überzeugendem, facettenreichen Schauspiel gegeben. Der Oberkellner Leopold Brandmeyer von Matthäus Schmidlechner ist ein absolutes Ereignis: nicht nur, daß man seinen hervorragenden Spieltenor so gut wie immer „direkt“ hört (also die Stütze nur bei Dialogstellen wirksam wird – im Gesang ist er perfekt wortdeutlich), liefert er auch schauspielerisch ein wahres Kabinettstück: er spielt nämlich keine Figur, sondern er ist einfach ein Mensch, in allen Aspekten realistisch und glaubwürdig – wie es heißt, das Schwierigste, das man überzeugend auf die Bühne stellen kann; er hält insoferne durchaus den Vergleich mit Hans Moser aus, aber ohne dessen sprachliche Spezifitäten; er spricht, bestens passend zur Rolle, zwangloses Oberösterreichisch.
Vergnüglich Günter Rainers Wilhelm Giesecke, wenn man ihm den Berliner auch nicht immer ganz abnimmt. Seine Tochter Ottilie gibt Fenja Lukas mit selbstbewußtem Spiel und glockenklarer Stimme. Der definitiv echte Berliner Kim Schrader spielt und singt den Dr. Erich Siedlerfein definiert, kommt darin seinem Konkurrenten um die Gunst Josephas durchaus nahe.
Der ach so schöne Sigismund Sülzheimer wird von Sven Hjörleifsson mit Vergnügen an der Rolle und sehr großem, fast akrobatischem körperlichen Einsatz dargestellt und sehr fein geführtem Tenor gesungen. Sein ja nicht ganz unkompliziertes Verhältnis zu Klärchen Hinzelmann (Theresa Grabn
er) wird, unter Streichung der Badeszene, stark verkürzt abgehandelt, was Frau Grabner unverdient etwas blaß aussehen läßt.
Die relativ große Sprechrolle des Piccolo wird von Florens Matscheko mit Verve und Witz auf die Bühne gestellt. Klärchens Vater, Prof. Dr. Hinzelmann, ist bei Alfred Rauch in guten Händen; als Oberförster und ein dem Alkohol nicht gänzlich abgeneigter Bürgermeister jedoch kann er komisch brillieren. Landestheater-Urgestein Gerhard Brössner spielt den Kaiser mit Stil und Finesse, und singt dazu auch noch mehr als passabel. Ein possierlich-ernster Reiseführer: Ulf Bunde.
Für diese Inszenierung dazuerfunden wurde ein Amor, köstlich kostümiert in einer rosa Krachledernen; Nathan Mitterbauer spielt diese stumme Rolle, deren Versuche, die richtigen Liebenden zusammenzubringen, nicht immer gelingen, mit perfektem timing. Ganz und gar nicht stumm ist hingegen Kathi (Ulrike Weixelbaumer), die uns u. a. mit einem geographisch vielleicht nicht ganz genau, musikalisch aber umso besser ins Bild einer liebevoll-unernst betrachteten Folklore passenden Erzherzog-Johann-Jodler unterhält.
Der Schluß der eigentlichen Handlung ist ganz leise und lyrisch gesetzt – und dann gibt’s für den großen bis begeisterten Applaus für diese bunte und vergnügliche Produktion die Finalmusik durchaus zum Mitklatschen: auch das ein Usus, der aus der Musicalwelt bekannt ist.
H & P Huber