Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

LINZ/ Musiktheater im Landestheater: LA TRAVIATA. Premiere

20.09.2015 | Oper

Premiere des Landestheaters Linz im Musiktheater am 19. September 2015

La Traviata

LaTrav01
Copyright: Landestheater/Olaf Struck

Oper in drei Akten von Francesco Maria Piave nach dem Roman La dame aux camélias von Alexandre Dumas fils, Musik von Giuseppe Verdi

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Es ist dies eine Koproduktion von Unlimited Performing Arts, Kopenhagen, dem Landestheater Linz sowie der Oper von Perm, Russland und den Théâtres de la Ville de Luxembourg im Gedenken an Gerard Mortier, der sich diese Oper mit dem als „Theatermagier“ gerühmten Robert Wilson als Regisseur und Gesamtgestalter fürs Madrider Teatro Real gewünscht hatte; durch den Tod des Belgiers kam es nicht mehr zur Aufführungsreife der Produktion. Intendant Rainer Mennicken gelang es, in zähen Verhandlungen das Projekt für Linz (und seine Partner) an Land zu ziehen und damit zu retten.
Die 1853 vom Sujet her sehr moderne, aktuelle (Alexandre Dumas’ gerade verstorbene Geliebte Marie Duplessis hatte den Roman inspiriert) und „sittlich gewagte“ Oper, die entsprechende Schwierigkeiten bei der Zensur hatte (der Uraufführungsort Venedig war wohl bezüglich der Titelperson auch nicht mehr das, was er früher angeblich war…), eignet sich aufgrund der Zeitlosigkeit der Thematik zu einer sehr freien Behandlung ihres Rahmens; sogar die Tuberkulose bereitet heute ja medizinisch wieder einiges Kopfzerbrechen. Am 1. Dezember 2007 erlebte diese Oper in Linz die bislang letzte Premiere, eine recht zwanglos im Heute angesiedelte Produktion unter der Regie von Olivier Tambosi.
LaTrav04
Copyright: Landestheater/ Olaf Struck

Modernisierung um ihrer selbst willen oder gar Ideologiemeierei ist Wilsons Sache nicht: „Es missfällt mir, eine Oper zu ‚aktualisieren‘: La Traviata in einem Supermarkt spielen zu lassen, damit es „moderner“ aussieht, macht für mich keinen Sinn. … Ich habe keine ‚Botschaft‘. Es geht nicht um ‚Interpretation‘. Meine Verantwortung oder auch die der Darsteller liegt nicht darin, dem Zuschauer eine ‚Idee‘ aufzudrängen.“ Und weiter: „Viele Regisseure neigen dazu, nur das geschriebene Wort anzusehen (oh, täten sie das wenigstens! – Anm. der Verf.), und versuchen, ein Theaterstück oder eine Oper davon ausgehend zu inszenieren.“ Wilson will ein Gesamtkunstwerk erzielen, das sich bei Oper natürlich besonders auf die Musik, ihren Ausdruck und die durch sie vermittelten Stimmungen stützt („wir müssen die Musik kommen lassen, nicht ihr nachlaufen“), und für das die Darsteller, auch der Chor, besonderes Augenmerk auf ihre Bewegungskontrolle und Körpersprache legen müssen: „Dazu muss man das einzigartige Gefühl kennen, das Gewicht des eigenen Körpers zu spüren.“ Auch dem Licht kommt bei ihm eine besonders große Rolle zu. Wie es scheint, möchte er mit dem Publikum besonders auf intuitiver und emotionaler Ebene kommunizieren. Er müsse als Regisseur Bilder erschaffen, die alles Musikalische vertiefen und in der Verlangsamung eine Spannung kreieren: „Dinge langsam zu tun ist das Schwierigste. Und die dunklen Momente brauchen Licht, damit sie noch dunkler wirken … ich führe Feuer und Eis auf der Bühne zusammen, sonst bleibt es flach“. Und da Verdi, wie Wilson in der Vorbereitung der Produktion feststellte, mitunter die Stille wirken lasse, achtet der Regisseur auch auf den szenischen Respekt gegenüber selbiger.

Dass Wilson mit einem eingespielten Team (Co-Regie: Nicola Panzer, Co-Bühnenbild: Stephanie Engeln, Kostüme: Yashi, Licht: John Torres, Dramaturgie: Konrad Kuhn) arbeitet, versteht sich von selbst. Und natürlich resultiert daraus auch eine „Handschrift“ – wie sich auch Maler oder Schriftsteller von Rang ihre Unverwechselbarkeit erarbeitet haben. Schließlich weiß man, was einen erwartet, wenn man eine Van-Gogh-Ausstellung besucht oder ein Buch von Thomas Bernhard aufschlägt. Oder eine Inszenierung von Zefirelli, Neuenfels – oder eben Wilson – besucht …

Der szenische Eindruck ist der kompletter Künstlichkeit, meist bilden Farbverläufe wie bei Dali oder Tanguy den Hintergrund, nadelartige, vom Schnürboden hängende Gebilde bedrohen die Figuren, Vater Germont tritt durch eine Art stilisiertes Dornengestrüpp auf. Die Figuren wirken wie Marionetten, Porzellanpuppen – auch diese alle „bis zum letzten Chorsänger“ mit extrem kontrollierter und stilisierter Körperlichkeit; die Bewegungen sind bis zum letzten Glied des kleinen Fingers durchchoreographiert und kontrolliert, man denkt hier etwa ans Nô-Theater (manchmal aber vielleicht auch an die Parkinson’sche Erkrankung?). Mitunter wird auf die Bildkraft von Schattenrissen gesetzt, mitunter zeigt ein spotlight bloß auf ein Händepaar. Es gibt so gut wie keine Requisiten (außer einem Seil, das eine Muleta symbolisieren soll, als im 2. Akt die Spanier auftreten); Gläser, Vilolettas fataler Brief etc. werden rein pantomimisch behandelt, und es finden keine Berührungen zwischen den Protagonisten statt; trotzdem erlebt der Zuschauer intensive Interaktion zwischen ihnen – beispielsweise gleicht das Duett zwischen Giorgio Germont und Violetta im 2. Akt einem düsteren pas de deux, in dem trotz der räumlichen Distanz der Figuren eine fast schmerzhaft fühlbare Spannung aufgebaut wird. Es ergibt sich insgesamt der Eindruck, als seien die Figuren in ihrem Schicksal von einer höheren Macht gesteuert Und was dann wieder und wieder elektrisiert, ja erschreckt: wenn aus diesen so künstlichen Figuren plötzlich die fundamentalsten Emotionen hervorbrechen, was alle Protagonisten stimmlich und auch unter diesen sehr speziellen schauspielerischen Anforderungen hervorragend transportieren. Ganz einfach: ein faszinierendes Theatererlebnis; der Ruf Wilsons wurde glänzend bestätigt!

Die Violetta Valéry von Myung Joo Lee hält das großartige visuelle Niveau dieser Produktion auch stimmlich scheinbar mühelos – vom sauberst angesetzten, immer noch wohltönenden ppp bis zu den heftigsten Ausbrüchen, bei denen die Stimme trotzdem nicht überfordert ist. Nicht zu vergessen ihre glockenklar präzisen und stilsicheren canto-fiorito-Einwürfe, die manche größere Namen unter den Tisch fallen lassen (müssen). Ihre Darstellung umfaßt auch höchst intensive Mimik, und ihre Wortdeutlichkeit ist noch dazu beispielhaft.
Keine Abstriche gegenüber „Violettas“ Glanzleistung bei Sohn und Vater Germont: Jacques le Roux überzeugt mit sauber geführtem, sehr klangschönem lyrischen Tenor, dem aber auch nicht die Reserven für intensive dramatische Steigerungen fehlen – seine bei weitem beste Leistung, seitdem er zum Linzer Ensemble gehört! Und Seho Chang verleiht dem Älteren ebenso schönes, freilich dunkles Timbre, versehen mit Schroffheit, Verführung, Betroffenheit – die Rolle verlangt ja ein breites Spektrum an Gefühlen, und Herr Chang liefert sie, zupackend hinter seiner Maske hervor. Auch die beiden Herren erfreuen mit erstklassiger Artikulation.

Die kleineren Rollen sind mit Kathryn Handsaker (Flora Bervoix), Kerstin Eder (Annina), Matthäus Schmidlechner (Gaston, Vicomte von Létorières), Martin Achrainer (Baron Douphol), Michael Wagner (Marquis de Obigny), Dominik Nekel (Doktor Grenvil) ebenso sehr gut bis luxuriös besetzt, sowohl was den Gesang als auch das Spiel angeht.

Chor und Statisterie des Landestheaters Linz (Leitung Georg Leopold) fügen sich (natürlich auch nach ungewöhnlich intensiver Probenarbeit hinsichtlich der Körpersprache) in das großartige Gesamtbild ein.
Das Bruckner Orchester musizierte unter dem Dirigat von Daniel Spaw mit außerordentlicher Präzision (beide Male, bei der Ouverture und beim Vorspiel zum dritten Akt, kommen diese quasi angsterfüllten, aus dem Nichts einsickernden Streichertöne des „Schwindsuchtsthemas“ ohne jegliche Unsicherheit – so perfekt wie bisher live eigentlich noch nie von uns gehört, egal von welchem Orchester…). Bis zur Arie der Violetta im ersten Akt wirkt das Dirigat (wohlkalkuliert) romantisch, später jedoch funkelt auch beim jungen US-amerikanischen Dirigenten immer wieder die Italianità. Er läßt aber nicht nur wunderbar musizieren, sondern hält auch jederzeit perfekte Koordination zwischen Graben und Bühne – seine erste Premiere im großen Haus gerät damit zur mit Bestnote absolvierten Meisterprüfung.
Tosender, im Stehen dargebrachter Applaus für diesen faszinierenden und ganz besonderen Abend, andauernder Jubel, ganz besonders laut für das Protagonistentrio (und da nochmalige Steigerung bei Frau Lee), aber auch höchst intensiv für Dirigent, Chor und Orchester sowie Robert Wilson und sein team; einige wenige Buhrufe für letztere gingen, kaum hörbar, unter.

Die Produktion wird jedenfalls auch noch in Perm und in Luxemburg gespielt werden, aber weitere Spielorte könnten noch dazukommen…

H & P Huber

DSC_0182
Schlussapplaus. Foto: H&P Huber

DSC_0192
Robert Wilson nach der Premiere. Foto: H&P Huber

 

Diese Seite drucken