Anna Alàs i Jové. Foto: Reinhard Winkler
Linz: „I CAPULETI E I MONTECCHI (ROMEO UND JULIA)“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 10. 04.
Tragedia lirica in zwei Akten von Felice Romani, Musik von Vincenzo Bellini
Auch wenn dem aus Catania gebürtigen Komponisten ein noch kürzeres Leben als W. A. Mozart beschieden war, konnte er doch – alleine mit Romani als Textautor – mehr Opern schreiben, als sein Familienname Buchstaben aufweist: von Beatrice di Tenda über das Fragment Ernani, La Straniera, La Sonnambula, Il Pirata und Norma bis I Capuleti… – fand ein Herr Erwin Heidrich aus dem schwäbischen Elchingen akronymisch 1985 heraus. Weniger verspielt, dafür bösartig seinerzeit Heinrich Heine: ihm zufolge sah der Komponist wie ein Seufzer in Pumphosen aus; freilich, zu diesem Eindruck könnte auch sein schließlich tödliches Leiden beigetragen haben…
Bellini selbst meinte, ernster: „Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.“ Wird die Produktion dem gerecht werden?
Die 1830 in Venedig (La Fenice) uraufgeführte Oper erklang im Jänner 1834 erstmals in Linz. Romanis Libretto ist nicht am im damaligen Italien kaum bekannten Shakespeare orientiert, sondern an älteren italienischen Novellen, etwa von Matteo Bandello. Die Besetzung des Romeo mit einer Frau mag den Ensemblebedingungen 1830 in Venedig geschuldet sein, wurde von Bellini aber musikdramaturgisch zum Vorteil gewendet.
Nach einer kurzen Begrüßung durch Intendant Dr. Hermann Schneider wird in der Ouverture das Orchester bildlich vorgestellt, bevor eine Titelsequenz mit einer grauen, unscharf-verregneten Landschaft als Hintergrund durchläuft. Letzteres Motiv findet sich auch teils in der Bühnengestaltung.
Ilona Revolskaya. Foto: Reinhard Winkler
Die Inszenierung durch Opernstudioleiter Gregor Horres hält sich – trotz modernen set designs – weitestgehend ans Werk, wenn sie auch das finale Blutbad, das, wie böse Menschen sagen, jede gute Oper kennzeichnet, etwas überstrapaziert: Lorenzo wird in den Straßenkämpfen zwischen Ghibellinen- und Welfenanhängern tödlich verwundet (nicht einfach nur festgesetzt), Tebaldo tötet statt Romeo sich selbst, und auch Giulietta findet noch eine Pistole, mittels derer sie aktiv dem vergifteten Geliebten folgt – für den Regisseur die logische Folge des kompletten Zusammenbruches jeglicher Sinnhaftigkeit in deren Leben. Gefühlswelten und Interaktionen der Protagonisten wurden jedenfalls darstellerisch exzellent erarbeitet, wozu auch die Choreografie von Ilja van den Bosch beiträgt. Insgesamt ist diese Produktion dem oben genannten Postulat des Komponisten also durchaus dienlich!
Hand in Hand damit geht die visuelle Gestaltung – Bühne Elisabeth Pedross, Kostüme Yvonne Forster – mit einem machtvoll-unheilskündenden dunklen Monolithen als Zentralelement, der durch die Drehbühne vielfältig variiert werden kann. Teils werden durch geschickte Überlagerung von Projektionen kinoartige Einblendungseffekte erzielt – szenisch besonders wirkungsvoll beim ersten Duett von Romeo und Giulietta („Si, fuggire“). Ein lapsus allerdings ist, daß die im Text klar erwähnte, handlungsrelevante Verkleidung Romeos als Welfe keinerlei Niederschlag findet. Und wie die Aufmachung des Chors mit an Astronautenanzüge gemahnenden Ringen um den Hals und der silbergrauen Schminke zu verstehen ist, daran arbeiten wir noch geistig. Gegen Ende, am Friedhof, wird ein Teilaspekt klar: die Ringe enthalten eine etwas gespenstische Beleuchtung und stützen übergeworfene Schleier – aber davor??
Musikalisch ist dem Würzburger GMD Enrico Calesso wieder eine exzellente Arbeit gelungen: die Tempi sind musikalisch wie dramaturgisch plausibel, der Gesamteindruck ist durchaus angemessen dramatisch und weist schon entschieden Richtung Verdi; auch die zutiefst beseelten, emotionellen Momente gestaltet der Dirigent großartig, läßt das Orchester mit den Sängerinnen atmen.
Chor und Extrachor des Landestheaters Linz unter Elena Pierini und Martin Zeller treten zwar machtvoll auf, sind aber, gegenüber der Originalpartitur, ihres weiblichen Anteils beraubt.
Anna Alàs i Jové. Joshua Whitener. Foto: REinhard Winkler
Das mit etwa 60 Damen und Herren angetretene und, so nicht mit Blasinstrumenten befaßt, maskenbewehrte Bruckner Orchester Linz liefert wieder eine wunderbare Leistung. Auch die Kameraführung trägt dem Rechnung, indem sie z. B. dem Giuliettas Arie „Oh quante volte“ feinziseliert begleitenden Harfenisten die verdiente Aufmerksamkeit zukommen läßt.
Capellio, Oberhaupt der Capuleti und Vater Giuliettas, ist Dominik Nekel, von dem wir ja wissen, wie beweglich er seine Stimme einsetzen kann; hier aber ist er basso serio, und als solcher auch nobel wie emotionell eindrucksvoll. Tebaldo ist mit dem Belcanto-Tenor Joshua Whitener besetzt, als Gast aus Würzburg; kraftvolle Stimme mit Schmelz und sicherer Höhe, ein Genuß! Lorenzo ist das Ensemblemitglied Michael Wagner, der rollengemäß menschlich wie stimmlich Wärme ausstrahlt.
Die beiden Hauptrollen sind mit Ensembleneulingen besetzt – und man kann ohne Übertreibung sagen, daß die Theaterleitung bei deren Engagement ein goldenes Händchen hatte: Ilona Revolskaya (hierzulande u. a. aus dem Theater an der Wien bekannt) ist eine bezaubernde und aufwühlende Giulietta mit Dramatik, tiefer Emotion, Sanftheit, Hingabe – einfach allem, was man für eine bewegende Gestaltung dieser Rolle braucht. Mezzo Anna Alàs i Jové läßt Romeo förmlich über die Bühne wirbeln, eine quicklebendige, dabei grundsympathische Kretz’n, der man auch die ehrlich große Liebe abnimmt. Und das mit einer einfach gewaltigen Stimme! Wir sind zwar nicht die bedingungslosen Freunde des Szenenapplauses, aber dieser Romeo hätte schon nach seinem feurig-heftigen ersten Auftritt „Se Romeo t’uccise un figlio“ ein tobendes Haus verdient…
Ilona Revolskaya und Chor. Foto: Reinhard Winkler
Das Ganze via Internet ans Publikum gebracht hat wieder Jonatan Salgado Romero, zusammen mit Constantin Georgescu, Nicolas Habichler, Ingo Kelp und Susanne Pauzenberger an den Kameras. Wie schon bei den beiden vorigen musikalischen Netzpremieren sehr sensibel und werkadäquat gefilmt – der Eindruck am Bildschirm ist sehr nahe an dem, den man von einem guten Platz im Saal erwarten darf. Dazu kommt noch ein Mikrophonarrangement, das, obwohl analytisch, einen natürlichen Klangeindruck übermittelt und den Raum vorzüglich abbildet; dafür ist Jens Kniebe zu preisen!
Last, not least: Dramaturgin Katharina John führt ein für die Rezeption des Werkes sehr aufschlußreiches Pauseninterview mit dem Regisseur und dem Dirigenten.
Joshua Whitener, Dominik Nekel, Michael Wagner. Foto: Reinhard Winkler
Die Aufführung ist bis 8. Mai abrufbar.
Die Übertragung ist mit deutschen Untertiteln versehen, die über das Symbol „CC“ an Abspielfenster abrufbar sind.
Petra und Helmut Huber