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LINZ/ Musiktheater: FALSTAFF – die Saison-Eröffnungspremiere

17.09.2016 | Oper

Premiere des Landestheaters Linz im Musiktheater am 16. September 2016

 FALSTAFF

Oper in drei Akten von Arrigo Boito nach den Stücken The Merry Wifes of Windsor und Henry IV (1 + 2) von William Shakespeare, Musik von Giuseppe Verdi
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

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Dominik Nekel, Martin Achrainer, Pedro Velázquez-Diaz, Matthäus Smidtlechner. Copyright: Patrick Pfeiffer/Landestheater

Verdis gewaltiger Werkkatalog enthält gerade zwei heitere Opern – es wird gemutmaßt, dass der bittere Verlust seiner Familie während der Arbeit zu seiner ersten derartigen, „Un Giorno di Regno“, die Ursache für seine fast 50jährige Verweigerung gegenüber Komödienstoffen war. Nach Rossini, Donizetti und den Gebrüdern Ricci (Crispino e la comare, 1850) gab es allerdings für Jahrzehnte überhaupt keine solche Opern italienischen Ursprungs (und eine italienische Operette ist ebenfalls unbekannt); daher mußte Verdi die opera buffa in einem Zeitraum von vier Jahren sozusagen neu erfinden, nachdem ihm Boito 1889 den Vorschlag für eine „lyrische Komödie“ basierend auf Werken Shakespeares unterbreitet hatte. Heraus kam ein philosophisch-heiteres Werk, das kompositorisch noch einmal eine Weiterentwicklung zum „Otello“ darstellte, durchaus auf der Höhe der Zeit – geistig war Verdi sicher ein recht jugendlicher Achziger!

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Martha Hirschmann, Fenja Lukas. Copyright: Patrick Pfeiffer/Landestheater

Guy Montavon
, Intendant der Oper in Erfurt, setzte die Inszenierung etwa in die Entstehungszeit – Falstaff, schon SEHR heruntergekommen (manchen im Publikum zu sehr), wohnt mehr oder minder im Sperrmüll unter einem (für Wiener Verhältnisse) Stadtbahnbogen (naturalistische Bühne und epochegerechte, dann im letzten Bild sehr phantasiereiche Kostüme: Hank Irwin Kittel); als Palimpsest des Wohlstandes ist, ähnlich dem Hause Gepettos, ein Luster an die Ziegelmauer gemalt. Das zweite Bild zeigt das herrschaftliche Portal von Mr. Fords Waffenfabrik: die Zeitwahl der Inszenierung bezieht sich auf den Bedeutungsverlust bis Niedergang des Adels in der Ära der industriellen Revolution – durchaus ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Veränderungen zur Zeit Shakespeares.
Das zweite Bild des zweiten Aktes zeigt nicht Fords Wohnung, sondern das Innere der Fabrik – ein Gewirr aus Transmissionsriemen und Maschinen, in der Mitte dominiert von einem herrschaftlichen Schreibtisch, mit einem Hauch „Metropolis“ gewürzt. Und Falstaff wird, wir sind ja in einer industriellen Umgebung, nicht in einem Korb in den Graben gekippt, sondern in einen rostigen Grubenhunt gestopft und in die Seitengasse geschubst.

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Christa Ratzenböck, Federico Longhi. Copyright: Patrick Pfeiffer/Landestheater

Der Park des letzten Bildes ist dann ein Wurstelprater, dessen Gestaltungsideen zwischen den Umschlagsbildern von H. C. Artmanns „schwoazza dintn“ und Baz Luhrmans „Moulin Rouge“-Film wurzeln. Sir John tritt hier zu seiner Bestrafung aber nicht als Jäger, sondern als Clown an, der im Laufe des Geschehens zur veritablen Schießbudenfigur wird. Als tröstender Engel erscheint im Laufe des wilden Treibens Nannetta als Mary Poppins, an ihrem Schirm schwebend.

Leider war es für uns schwierig, der Handlung in allen Facetten zu folgen, da in mehreren Reihen, auch unserer, die Textprompter ausgefallen waren (eine zusätzliche Übertitel-Projektion auf den Bühnenrahmen ist schon vor zwei Jahren aufgegeben worden); aus diesem Grunde konnten wir über die Personenführung und ihre Umsetzung nur Mutmaßungen anstellen, da wir bei aller Textdeutlichkeit, ganz besonders des Sängers der Titelperson, natürlich bei weitem nicht alles verstanden haben… Daher auch keine Aussage über die Dramaturgie (Christoph Blitt). Rein visuell wirkte die Aufführung flüssig und plausibel, mit vielen optischen gGags.

Dennis Russell Davies hat diese Oper mit diesem Regisseur bereits vor Jahren einmal produziert; er ließ das blendend disponierte, präzise Bruckner Orchester, feingliedrig und transparent musizieren; besonderes Lob den Bläsern im Finale! Auch Koordination und Balance zwischen Graben und Bühne hat der Dirigent mit seiner jahrzehntelangen Opernerfahrung perfekt im Griff.

Für die Titelrolle wurde (auf Empfehlung von Riccardo Muti!) als Gast Federico Longhi engagiert; er feierte hier sein Rollendebut, und zwar in höchst überzeugender Manier: eine prachtvolle Stimme, die zu allen denkbaren Modulationen ohne hörbare Anstrengung fähig ist, „sottile, sottile“ ebenso wie im saalfüllenden Ausbruch, und das Ganze noch mit köstlicher, entfesselter Schauspielerei garniert. Seine Leistung alleine ist schon einen Besuch dieser Inszenierung wert!

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Martha Hirschmann, Fenja Lukas, Myund Joo Lee, Christa Ratzenböck. Copyright: Patrick Pfeiffer/ Landestheater

Die übrigen Rollen wurden aus dem Haus besetzt: Falstaffs Diener sind Matthäus Schmidlechner
(Bardolfo) und Dominik Nekel (Pistola) – Kumpane Falstaffs in dessen Verkommenheit, und nur zu bereit zur Rache für die schlechte Behandlung durch ihren Herrn, sobald sich die Gelegenheit bietet; stimmlich sind diese beiden kleineren Rollen hochkompetent, oder besser gesagt luxuriös besetzt.
Mr. Ford wird von Martin Achrainer als selbstbewußter (neu)reicher bürgerlicher Herr gespielt und mit seinem kultivierten und beweglichen Bariton auch musikalisch als ebenbürtiges Gegenüber Falstaffs gestaltet. Mrs. Ford ist Myung Joo Lee, köstlich komödiantisch und stimmlich sehr gut disponiert – mitunter (im mittleren Bereich) kleine Rauhigkeiten, aber wenn es um höchste Expression geht, voll, klar und rein und durchschlagskräftig. Ihre Tochter Nannetta wird von Fenja Lukas mit beweglichem, sehr schön timbrierten Sopran gesungen und engagiert gespielt – und als Mary Poppins im letzten Bild beweist sie einmal mehr (nach ihrem Taumännchen in Hänsel und Gretel) Schwindelfreiheit.
Fenton ist in dieser Inszenierung ein Arbeiter in Fords Fabrik, dessen Leidenschaft für Nannetta nicht gerade die Begeisterung seines Chefs weckt; Jacques le Roux stellt ihn mit strahlender Stimme auf die Bühne. Pedro Velázquez Díaz ist ein köstlich unbeholfener, stimmlich ebenfalls tadelloser Dr. Cajus – wir haben ihn noch nie so entspannt singen gehört!

Christa Ratzenböck
leiht ihre elegante, ausgewogene Stimme und ihre vorzüglichen komödiantischen Fähigkeiten einer facettenreichen Mrs. Quickly, Mrs. Page wird von Martha Hirschmann ebenso fein gestaltet.

Der Chor (einstudiert von Georg Leopold) und Statisterie des Landestheaters Linz runden im letzten Bild die Szenerie – in vielfältiger Kostümierung – ab.

Der Applaus fiel lange, nicht aber generell sehr enthusiastisch aus – doch Herr Longhi bekam eine sehr satte Extraportion davon ab, und auch die Damen Lee und Lukas sowie die Herren le Roux und Achrainer gefielen dem Premierenpublikum hörbar. Dennis Russell Davies mit seinem Bruckner-Orchester war den Applaudierenden ebenfalls eine Extraanstrengung wert. Das Regieteam kassierte aber doch auch – nicht sehr nachhaltig – Mißfallen.

H & P Huber

 

 

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