Blick auf das Dirigentenpunlt. Copyright: Reinhard Winkler/Landestheater
Linz:„EUGEN ONEGIN“– Premiere am Musiktheaterdes Landestheaters, Großer Saal, 14. 04.2018
7 lyrische Szenen in drei Akten nach der gleichnamigen Versnovelle von Alexander Puschkin, eingerichtet von Pjotr Iljitsch Tschaikowski und Konstantin Schilowski, Musik von Pjotr Iljitsch Tschaikowski
Bekanntlich soll man gute Whiskys (namentlich single malts) NIEMALS „on the rocks“ trinken, wenn man deren wahre Aromen auskosten will. In Wien 2009 wurde die Wärme der Klänge, die Seiji Ozawa bei seiner letzten Premiere dem Staatsopernorchester entlockte, auf der Bühne von Katrin Hoffmann für Falk Richter von riesigen Eisblöcken und ständigem Schneefall drastisch abgekühlt.
Izabela Matula in der Briefszene. Copyright: Reinhard Winkler/Landestheater
Ganz ohne Eis kommt auch die neue Linzer Inszenierung durch Opernstudio-Chef Gregor Horres, mit Bühnengestaltung und Kostümen von Jan Bammes, nicht aus: schon wenn man den Saal betritt, wird man von auf einen Gazevorhang projizierte Eiszapfen empfangen, und ganz am Ende, als der Titelcharakter letztendlich vor sich selbst in eine unbekannte Zukunft flieht, tauchen diese im Hintergrund wieder auf – kurze, klippe, klare Kommentare zum Innenleben Eugens, keine verwirrende Dauerberieselung. Dass die Duellszene bei Schneefall stattfindet, entspricht der Jahreszeit der Handlung. Im übrigen wurde offensichtlich in die Personenführung, bis hin zu kleinsten Details wie dem Spiel der Hände, großer Aufwand gesteckt.
Das Dirigat von Leslie Suganandarajah (seine erste Premiere am Linzer Musiktheater) mit dem Bruckner Orchester im leicht angehobenen Graben nimmt die eigenwillige Gattungsbezeichnung „lyrische Szenen“ ernst und lässt den Gefühlen Raum, ohne dabei Präzisison und Struktur zu vernachlässigen. Besonders schön das „Mitatmen“ mit den hervorragenden Darstellern der Tatjana in der Briefszene bzw. des Lenski mit „Kuda, kuda“. Und im Gegensatz dazu die dramatischen Ensembles und die emotionelle Aufwallung im Finale in St. Petersburg … ein ausgesprochen gelungener Einstand des neuen Kapellmeisters!
Übrigens endet der erste Teil der Aufführung mitten im 2. Akt mit der Forderung – das Duell selbst findet nach der Pause statt, und der Beginn der Polonaise im Hause Gremin wird teils als Umbaumusik verwendet (Dramaturgie Magdalena Hoisbauer, die sich– für uns leider– bald Richtung Volksoper verabschieden wird).
Die Kostüme sind in allen Szenen um das Gut der Larins mustergültig und reichhaltig nach der Zeit der Handlung, also dem Empire um 1820, gestaltet; auch die Teints sind dieser entsprechend oft sehr bleich gehalten, was manchen Figuren einen Hauch von Untoten oder zumindest des Unwirklichen verleiht… Im Hause Gremin sind wir in einer unbestimmt späteren Ära, in der offensichtlich Tatjana als Buchautorin reüssiert hat und den festlich gekleideten Geladenen ihr neuestes Werk vorstellt.
Die Bühne ist gegenüber der Personengestaltung sehr karg eingerichtet; als Hauptelement findet sich eine rechteckige Plattform in Bühnenmitte, die wahlweise als etwas erhöhter Handlungsort (etwa die Larin’sche Veranda) dient, mitunter als solcher leicht gekippt wird, manchmal aber auch als drückende, bedrohliche Decke über der Szene schwebt. Und mit Lenskis Tod erweckt diese Platte auch den Eindruck eines einstürzenden Himmels. Reichlich vorhanden sind wieder einmal Sessel – sie dienen in erster Linie tatsächlich als Sitzgelegenheiten, aber mitunter verleihen sie der Szenerie bei aufgestellter Plattform mittels Streiflicht etwas durchaus Bedrohliches, und in der letzten Szene versucht Onegin, durch „Enthussen“ von Sesseln seine Emotionen zu verarbeiten. Die an der aufgestellten Plattform verschraubten Stühle dienen schließlich auch Triquet als Kletterpfad, um seine Eloge für Tatjana aus gebührender Höhe zu Gehör zu bringen.
Rafał Bartmiński und Jessica Ecclestone. Copyright: Reinhard Winkler/Landestheater
Drei wesentliche Rollen waren mit Gästen besetzt: zunächst Izabela Matula als Tatjana und Rafał Bartmiński als Lenski. Diese beiden sind stimmlich und schauspielerisch geradezu Idealbesetzungen, wobei Herr Bartmiński noch dazu für sich in Anspruch nehmen kann, den romantischen Helden par excellence darzustellen. Ihre jeweiligen Hauptarien bewegen zutiefst, aber auch ihre schauspielerische und sängerische Interaktion mit anderen auf der Bühne ist erstklassig.Intendant Schneider erinnerte sich bei der Premierenfeier noch mit großer Freude an die jeweiligen Vorsingen. Die dritte Gastrolle, die Amme Filipjewna, wird vom früheren Ensemblemitglied (von Carmen bis zur Rheintochter) Valentina Kutzarova mit wunderbarer Stimme und menschlich warmer Ausstrahlung ebenso perfekt gestaltet.
Ansonsten agieren Ensemblemitglieder: Katherine Lerner ist eine sängerisch makellose, expressiv spielende Larina, Jessica Eccleston eine fröhliche und verspielte Olga – auch sie als Sängerin restlos überzeugend. Fürst Gremins kurzer, aber nachhaltiger Auftritt wird von Michael Wagner mit profunder, schön fließender Stimme und ehrlicher Emotion gestaltet.
Der Triquet von Matthäus Schmidlechner ist ein modisch-bunter Vogel und präsentiert seine Arie für Tatjana als sängerisches, aber auch sportliches Kabinettstück.
Martin Achrainer. Copyright: Reinhard Winkler/ Landestheater
Martin Achrainer brilliert in der Titelrolle – nicht „nur“ als hervorragender Sänger, sondern auch als Schauspieler: der aus gelangweilter Arroganz mit den Emotionen des Landvolks spielende Coole bis Kalte, der dann in St. Petersburg mit leerem Gesichtsausdruck auf ein schuldbeladenes und zielloses Leben zurückblicken muß. Für kurze Zeit kann ihn noch einmal das Wiedersehen mit der, doch viel mehr als vor sich selbst eingestanden, geliebten Tatjana aufwühlen… All das hört man aus seine Stimme ebenso heraus wie man es an seiner Erscheinung, an seinem Gesicht ablesen kann.
Auch kleine Rollen waren mit Marius Mocan, Tomaz Kovacic, Jin Hun Lee und Florens Matscheko bestens besetzt. Nicht zu vergessen für alle (vor dieser Produktion!) des Russischen Unkundigen im Ensemble: die erfolgreiche Sprachbetreuung durch Marianna Andreev.
Der Chor(Einstudierung: Martin Zeller) fügte sich in das hervorragende Gesamtbild ebenso perfekt ein wie die Damen und Herren der Statisterie.
Diese Produktion kühlt Emotionen und Details des Werkes sicher nicht weg; die äußere wie innere Handlung ist verständlich und empathiefordernd, musikalisch wie darstellerisch. Begeisterter Applaus für Sänger, Orchester und Dirigenten, einige Buhrufe für Regie und Gestaltung.
Petra und Helmut Huber