LINZ / Musiktheater: DIE ZAUBERFLÖTE
2. Aufführung in dieser Inszenierung (Premiere 21.9.24)
25. September 2024
Von Manfred A. Schmid
Regisseur Francois De Carpentries und seine Mitarbeiterin Karine Van Hercke gehen in ihrer Inszenierung der Frage nach, was wirklich die Welt in ihrem Innersten zusammenhält. Natürlich ist es die Liebe. Aber wie erlernt man die Liebe, das liebende Zusammensein? Durch und in der Musik, so die beiden Experten, ist sie doch als Harmonielehre die wahre Schule für das Leben. Wann immer in der Mozartoper Gefahr droht, gelingt die Rettung durch den Einsatz von magischen Klängen und Tönen, die über das Böse siegen: Tamino greift zur Flöte, Papageno zum Glockenspiel, und alles ist wieder eitel Wonne.
Um das zu erlernen, gibt es Musikschulen. Was Sarastro und seine elitäre Truppe anbieten, ist die Hohe Schule der Musik. Tamino absolviert alle Prüfungen summa cum laude und steht für höhere Weihen parat. Papageno hingegen fällt schon bei der Aufnahmsprüfung durch. Es reicht gerade noch für ein paar elementare Übungen in der Musikschule auf dem Land, was für die Mitwirkung in der dörflichen Blaskapelle aber ausreichen sollte. Für einfacher gestrickte Typen wie ihn gibt es neben der akademischen Musik eben auch die Volksmusik, und noch etwas tiefer, die volkstümliche Musik, die gerade noch für das Trällern eines derben Trinkliedes reicht, das eindeutig nicht von Mozart ist. Sobald die Musik aber mozartisch wird, braucht Papageno in dieser Inszenierung schon Verstärkung durch einen Kinderchor. Allein schafft er es nicht einmal, sein musikalisches Markenzeichen, das Vogelfängerlied, über die Runden zu bringen. Das macht aber nichts, am Schluss haben alle genug Harmonielehre studiert, um lieben und in Eintracht leben zu können. Beim abschließenden Chor „Es siegte die Stärke und krönet zum Lohn – die Schönheit und Weisheit mit ewiger Kron’“ sind alle eingeladen, mitzusingen. Es stehen nur hoffnungsfroh verliebte Paare auf der Bühne: Tamino bekommt seine Pamina, Papageno die Papagena, Hand in Hand erschienen auch Sarastro und Die Königin der Nacht, hier Königin der Träume genannt. Sogar der Wildling Monostatos, der zuvor noch mit dem Messer Liebe erzwingen wollte, tritt mit einer Partnerin aus dem Chor zum Finale an. Nur die Drei Damen bleiben unbemannt. Vermutlich müssen sie warten, bis die Drei Knaben in ein heiratsfähiges Alter kommen. Und ihre Musikschule abschließen.
Das, heruntergebrochen, sind Idee und Konzept, die hinter der Linzer Zauberflöte stehen, auch wenn Karine Van Hercke in ihren klugen Ausführungen im Programmheft neuropsychologische Erkenntnisse zuhauf präsentiert, um zu zeigen, wie wichtig Musik „für eine gesunde psychologische Entwicklung“ ist. Das macht aber nichts, denn das, worauf es ankommt, ist die Umsetzung dieses Ansatzes, und die ist hervorragend gelungen. Das liegt vor allem daran, dass das Märchenhafte, das Zauberische, Phantasievolle in dieser Inszenierung das Wichtigste bleiben und die profunde wissenschaftliche Untermauerung kaum einfließt. Das Thema Musik wird im Bühnenbild zwar vielleicht ein bisschen überstrapaziert, wenn andauernd Notenlinien sowie musikalische Chiffren vorübergleiten, aber es gibt genug Ergötzliches und Humorvolles zu sehen. Wenn etwa mehr oder weniger brave Gesellen als leibhaftige Achtel- und Sechzehntelnoten, mit roten Notenköpfen und schwarzen Fähnchen ausgestattet, herumgeistern. Die originellen Kostüme sind wirklich fabelhaft. Da hat Van Hercke, sowohl für Bühne wie auch Kostüme verantwortlich, tatsächlich Tolles geleistet, während die Regie von Francois De Carpentries, der am Linzer Landestheater schon mehrere Mozartopern erfolgreich auf die Bühne gebracht hat, weiß mit den überraschenden Wendungen in Schikaneders Libretto so geschickt umzugehen, dass man das Dargebotene immer wieder mit offenem Mund verfolgt und zur Kenntnis nimmt. Wenn Martin Achrainer als vielbeschäftigter und nachhaltig auftretender Sprecher, mit einer kunstvollen Schnecke, wie man die holzgeschnitzte Verzierung als Abschluss des Griffbretts und der Saitenwirbeln eines Streichinstruments nennt, auf dem Haupt, auf einer riesengroßen Geige von oben heruntersegelt, um dem den Unterricht wieder einmal schwänzenden Papageno die Leviten zu lesen, dann ist das schon eine sehr gelungene, einprägsame Sache.
Damit sind wir schon bei der musikalischen Umsetzung angelangt. Schon in der Ouvertüre mit den rätselhaften Akkorden wird das Publikum vom Bruckner Orchester Linz unter der Leitung von Ingmar Beck in die mozartische Zauberklangwelt eingeführt und bleibt bis zum Ende in deren Bann eingefangen. Etwa zur Hälfte der Ouvertüre geht er Vorhang auf, und man sieht den jungen Wolfang, wie er vom gestrengen Vater Leopold spätabends schulmeisterlich zum Klavierüben angeleitet wird, bis sich seine besorgte Mutter einmischt und ihm Bettruhe verordnet. Aus eigenen Stücken geht er wieder an die Arbeit, legt sich dann aber bald müde in den Flügel, um darin zu schlafen und frühmorgens dann als Tamino, der das Komponierhandwerk erlernen will, wieder herauszuklettern.
SeungJick Kim glänzt als heller, unangestrengter Mozarttenor, der in Morgane Heyse eine eindrucksvolle, die Koloraturen elegant und in der Rachearie auch emotional hoch aufgeladen singende Königin der Nacht zum Widerpart hat. Fenja Lukas ist als deren Tochter eine anmutig singende und spielende Pamina.
Als komisches Paar sorgen der sympathische, aufgeweckte Alexander York als Papageno und Sophie Bareis als fröhliche Papagena, wie auch zuvor als kauzige Alte, mit entspannenden komödiantischen Einlagen für viele Lacher im Publikum. Michael Wagner ist als Sarastro ein würdevoller, abgeklärter Rektor der Musikuniversität Wolfgang Amadé und verstrahlt mit seinem profunden Bass tiefe Gelassenheit und eine durchaus humanistische Grundhaltung, gäbe es da nicht die misogynen Behauptungen, mit denen der autoritäre Oberlehrer sich leider in eine gar nicht vorteilhafte ideologische Ecke versetzt. Man fragt sich, warum der Regisseur, der ansonsten viele Änderungen am Text vorgenommen hat, hier nicht für etwas mehr politische Korrektheit gesorgt hat. Monostatos (Christian Drescher) nennt sich in seiner Arie immerhin, statt das N-Word zu verwenden, wie es im Originaltext steht, „Schläger“, aber für eine Entschärfung der frauenfeindlichen Auslassungen Sarastros hat es offenbar nicht gereicht. Was schade ist.
Alle übrigen Rollen sind durchwegs tadellos besetzt. Die Drei Damen Gotho Griesmeier, Manuela Leonhartsberger, und Angela Simkin bestätigen ebenso wie die beiden Geharnischten Gyrdir Viktorson und Gregiorio Changhyun Yuin den hohen Qualitätsstandard des Linzer Ensembles.
Hohes Lob verdienen auch die Drei Knaben Christian Körner, Aurelia Fischer und Julia Sallinger sowie Chor und Kinderchor Landestheaters. Der zu Recht begeisterte Schlussapplaus fällt noch etwas heftiger aus, weil bei den letzten Takten wieder Wolferl (Moritz Schmuckermair) auftaucht und das Dirigieren übernimmt. Die Erkenntnis: Das Linzer Musiktheater kann vieles. Auch Schule!
P.S. So ergeht es machmal einem herumreisenden Opernkritiker: Die Zauberflöte-Vorstellung endet pünktlich um 22.05 Uhr. Der für 22:32 Uhr angekündigte Zug fährt erst um 00:21 Uhr in Linz ein. Über Ansage bekanntgegebener Grund: Nicht das kürzliche Hochwasser, der Zug kommt ja aus Salzburg sondern „Verzögerung bei der Zugbereitstellung“! Ankunft in Wien Hauptbahnhof: 02:32 Uhr. Kritik online Mittag 12 Uhr.