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LINZ/ Musiktheater: „DIE HARMONIE DER WELT“ von Paul Hindemith. Premiere

09.04.2017 | Oper

Linz:„DIE HARMONIE DER WELT“– Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 08. 04.2017

Oper in fünf Akten von Paul Hindemith

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Seho Chang. Copyright: Thilo Beu

Als Linz 2009 europäische Kulturhauptstadt war, wurde eine Kepler-Oper von Philip Glass in Linz uraufgeführt (Libretto: Martina Winkel), das im Auftrag des Landestheaters entstanden war. Es gibt aber über diese für unser Weltbild wichtige Persönlichkeit schon eine gut 50 Jahre ältere Oper, nämlich das vorletzte Musiktheaterwerk von Paul Hindemith. Seine Libretti hatte er meist von zeitgenössischen Autoren, vom Jungen Wilden Oskar Kokoschka über Brecht bis hin zu Thornton Wilder. Zwei seiner Opern textete er aber selbst: „Mathis der Maler“ und seine Kepler-Oper „Die Harmonie der Welt“, die am 11. August 1957 durch die bayrische Staatsoper im Münchner Prinzregententheater zur Uraufführung gelangte.

Es war kein großer Erfolg – zum einen erregte der Titel Kopfschütteln, denn so einen Namen könne man doch nach Auschwitz etc. nicht mehr wählen; an Sarkasmus dachten diese Kritiker wohl nicht – und dass Hindemith, wenn schon nicht unmittelbar Verfolgter des Nazi-Regimes, so doch durch viele Gemeinheiten – „atonaler Geräuschemacher!“ war noch die harmloseste – und aggressive Behinderung seiner Existenz in die Emigration gedrängt worden war, bedachte auch keiner. Zudem dreht sich das Werk lt. seinem Schöpfer um die „Suche nach Harmonie in allen Welt- und Lebensdingen und um die Einsamkeit desjenigen, der sie findet“ –Realismus, der Ideologien keine positive Rolle zugesteht. Schließlich rümpfte man über seinen Kompositionsstil in einer von Darmstadt dogmatisierten Moderne die Nase; nicht die besten Voraussetzungen für Folgeinszenierungen. Das Linzer Landestheater hat sich aber schon einmal über dieses für die Interpreten extrem anspruchsvolle Werk gewagt: nämlich 1967, als österreichische Erstaufführung. Bis zur ersten Gesamteinspielung auf Tonträger dauerte es sogar bis in die späte CD-Epoche, nämlich 2007!

Eine Neuinszenierung ist also überfällig, passt auch zu Intendant Hermann Schneiders Saisonmotto „Aufbruch in die neue Welt“: geschildert werden die späteren Lebensjahre (1608 – 1630) des Astronomen in Prag, Linz und in verschiedenen deutschen Städten, als er sich seinen Lebensunterhalt mit Astrologie als „Nebengeschäft“ verdienen muß, u. a. für den Feldherrn Wallenstein; auch benötigt ein Hexenprozeß gegen seine Mutter viel Zeit und Nervenkraft. Nicht nur astronomische Wissenschaft gegenüber astrologischem Hokuspokus und anderer Aberglauben, sondern auch Reformation und Dreißigjähriger Krieg sind bestimmende Elemente, bis ins Private, als der Lutheraner Kepler noch spät eine zweite – katholische – Ehegattin in Linz findet. Nach dem Tode des Protagonisten („Die große Harmonie, das ist der Tod … Im Leben hat sie keine Stätte“) hat Hindemith eine barock strahlende Apotheose gesetzt, in der die von ihm beschriebene Ordnung, eben Harmonie, des Universums im Mittelpunkt steht und die irdischen Figuren der Oper als Himmelskörper auftreten – wobei seine Auffassung der Tonalität als Weltharmonie dient und dargelegt wird.

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Vaida Raginskytė, Sandra Trattnig, Seho Chang. Copyright: Thilo Beu

Die Inszenierung oblag an sich dem einstigen Publikumsschreck Dietrich Hilsdorf, der in den letzten Jahren vornehmlich in Essen und an den Standorten der Deutschen Oper am Rhein produziert hat und in Düsseldorf demnächst einen „Ring“ beginnen soll; allerdings war er krankheitsbedingt verhindert, die Arbeit hier abzuschließen, weshalb der Intendant die Inszenierung nach Hilsdorfs Konzept fertigstellte (Dramaturgie: Christoph Blitt). Die Personenführung fällt organisch und glaubwürdig aus, und die ausnahmslos sehr guten schauspielerischen Fähigkeiten der Darstellerinnen und Darsteller werden gut genutzt. Auch wenn die zeitliche Ansiedlung kostümseits (Renate Schmitzer) etwa in den 1920ern nicht plausibel ist (wenigstens gibt es nicht die ewigen grauen Anzüge – und die gewaltige Choristenschar historisch einzukleiden wäre sowieso finanziell heftig gewesen): die Emotionen, Ängste, Obsessionen und Machtspiele der Menschen des frühen 17. Jahrhunderts, natürlich vom Autor an den Umständen nach 1945 gespiegelt, kommen klar über die Rampe.

Die Bühne von Dieter Richter konzentriert sich um ein halbiertes, drehbares Observatorium. Projektionen führen uns in barocke Räume, etwa in Prag oder Linz. Die finale Apotheose der kosmischen Harmonie findet allerdings keinerlei szenische Entsprechung, was die hier besonders elaborate Musik ins Leere laufen läßt.

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Seho Chang, Sven Hjörleifsson. Copyright: Thilo Beu

Zu Sängerinnen und Sängern muss man weitere globale Aussagen machen: egal welcher Herkunft sie sein mögen – ihre Diktion ist makellos; sodann haben sie mit ihren teils extrem umfangreichen (auch textreichen) Partien gegen ein 70-köpfiges Orchester anzusingen, und das gelingt allen hervorragend und (fast) ohne ohrenscheinliche Mühe oder Ermüdung, wobei der Dirigent keine Dynamik-Kompromisse macht oder machen muß.

Die Titelrolle (sowie die „Erde“ im Finale) gestaltete Seho Chang mit satt und samtig strömender Stimme und perfekter Kontrolle in allen Dynamikstufen; ein Erlebnis! SEHR schade, dass er nächste Saison nicht mehr dem Ensemble angehört!! Kaiser Rudolf II./Kaiser Ferdinand/Sol war Dominik Nekel ebenso in bester Verfassung, der besonders seine ungefähr 20-minütige Szene zu Beginn mit Bravour gestaltete.

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Seho Chang, Dominik Nekel. Copyright: Thilo Beu

Wallenstein, Feldherr, auch Jupiter: Jacques le Roux – auch er in dieser sehr umfangreichen Rolle im Grunde souverän, wenn auch nicht gänzlich ohne Anstrengung. Der schließlich abtrünnige Schüler Keplers,Ulrich Grüßer/Mars, wird vom bisher eher „harmlosen“, stimmlich aber immer sehr feinen lyrischen Tenor Sven Hjörleifsson facettenreich vom jugendlich Aufbegehrenden über den unglücklich Liebenden bis zum desillusionierten Krieger entwickelt – ebenso als große Leistung imponierend. Nikolai Galkin gab makellos amtskirchlich starre Pfarrer in Linz wie Regensburg, schließlich Merkur.

Charakterlicher und geistigerKontrapunkt zu Kepler ist eine mephistophelische Figur namens Tansur (auch Saturn im Finale:haaa, ein Anagramm!) – wohl ein ferner Nachfahre Loges: Studienabbrecher, Amuletthändler, Einflüsterer und Intrigant, der sich von Wallenstein gerne als Soldatenwerber in Dienst nehmen läßt; der (regelmäßige) Gast Matthias Helm verleiht ihm vorzügliche Stimme und bewegliche Darstellung. Der Eferdinger Baron Starhemberg, der dem in Linz als Reformierter in Schwierigkeiten verwickelten Kepler eine neue Bleibe bietet: solide Ulf Bunde, auch Richter im Hexenprozeß, ebenso Csaba Grünfelder als Christoph, Keplers Bruder.

Ein weiterer Gast war Susanna, Keplers Frau, auch Venus: Sandra Trattnigg mit hervorragendem, rundem und trotzdem sehr druckvollem Sopran (nur für kurze Zeit nach der Pause hörte man minimale Härten, die aber wieder verschwanden); andererseits auch wunderbar lyrisch, bis ins pp perfekt kontrolliert – besonders berührend in ihrer Szene gegen Ende, als sie ihre Einsamkeit neben dem umherreisenden Wissenschafter beklagt. Die etwas seltsame MutterKeplers, Katharina, auch Luna: Vaida Raginskytė mit vorzüglicher Stimme und Darstellung. Keplers Tochter aus erster Ehe: Theresa Grabner, jugendlich frisch und präzise.

Auch kleine Solorollen, aus dem Chor besetzt, entsprechen dem erstklassigen Niveau der Hauptrollen. Ansonsten kann man das Werk durchaus eine „Choroper“ nennen – Chor und Extrachor haben geradezu wuchtige Auftritte (Leitung Georg Leopold und Martin Zeller); auch die Statisterie (samt einem belgischen Schäferhund in der Entourage Wallensteins) trägt zum mächtigen Gesamteindruck bei.

Das Bruckner Orchester unter der Leitung von Gerrit Prießnitz (Davis-Schüler und in Österreich seit Jahren immer wieder an der Volksoper am Pult) bewältigt die machtvolle und extrem komplexe Komposition mit Bravour – die gewaltigen Dynamikumfänge kommen ebenso perfekt beim Zuhörer an wie feinste Details (die auch bei hoher Lautstärke in Nebenstimmen nicht untergehen).

Das Landestheater hat ein für Ausführende wie Publikum schwieriges und kantiges Stück Opernliteratur, dessen Kopf- und Textlastigkeit vielleicht ein Grund für seine seltene Aufführung ist, musikalisch nahezu in Perfektion „gestemmt“, wenn auch szenisch einige Wünsche offen bleiben. Begeisterter Applaus für die Ausführenden, immer noch zufriedener Beifall auch für das Produktionsteam.

Petra und Helmut Huber

 

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