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LINZ/ Musiktheater des LT: HÄNSEL UND GRETEL. Premiere

20.12.2015 | Oper

Premiere des Landestheaters Linz im Musiktheater am 19. Dezember 2015

Hänsel und Gretel

Märchenspiel in drei Bildern (für Kinder und Erwachsene), Dichtung von Adelheid Wette, Musik von Engelbert Humperdinck
In deutscher Sprache mit Übertiteln

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Myung Joo Lee (Gretel), Martha Hirschmann (Hänsel). Copyright: Christian Brachwitz/ Landestheater

Seit 1812 gehört „Hänsel und Grethel“ aus der Sammlung der Gebrüder Grimm zum Kanon dessen, mit dem Kinder zum Erschauern und zum Staunen, zum Fürchten und Freuen gebracht, vielleicht aber auch dazu ermutigt werden, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Adelheid Wette, geborene Humperdinck, hatte zuerst die Idee einer (freilich für einen familiären Rahmen gedachten) Singspielfassung – und ihr Bruder, Komponist mitten in einer erfolgreichen Karriere, fand wachsenden Gefallen an dieser Idee, bis eine abendfüllende Oper daraus geworden war.

Als einzige klassische Oper, die auch für Kinder geschrieben wurde, steht sie oft um Weihnachten auf dem Programm; und anders als bei der kürzlichen Wiener Premiere gab es in Linz keinerlei Grund, etwa nach Pfitzners „Palestrina“ zu rufen… Der Grund für die Programmierung war in erster Linie der langjährige Wunsch des Intendanten Dr. Rainer Mennicken, dieses Werk – nun als letzte eigene Inszenierung in seiner Amtszeit in Linz – hier zur Aufführung zu bringen. Die Ausstattung lag – darin war er sogar Debütant! – ebenfalls in seinen Händen, er wurde dabei u. a. von Christian Schmidleithner unterstützt. Lt. Gespräch mit den OÖ Nachrichten stehen für Mennicken die Kinderängste, die in der Oper verhandelt werden, im Mittelpunkt. Die Knusperhexe wird „nicht auf einem Motorrad fahren und weder verharmlost noch brutalisiert … Ich habe versucht, mir vorzustellen, wie Kinder auf dieses Thema gucken“, erklärte er seinen Zugang zum Stoff.

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Myung Joo Lee ( Gretel),  Martha Hirschmann (Hänsel). Copyright: Christian Brachwitz für Landestheater

Heutige Kinder, freilich, das schon – was sich in Farben- und Formenwelt ausdrückt, nicht aber in einer Verbiegung des Stückes insgesamt. Die einzige Freiheit, die sich der Regisseur erlaubte, war die Einführung eines Paares, das Adelheid und Engelbert im Vergleich mit den klassischen (Märchen)Hexendarstellungen sozusagen vergessen hatten: eine schwarze Katze und ein Rabe. Diese, pantomimisch und tänzerisch dramaturgisch adäquat und witzig eingesetzt, treten im Vorspiel zum dritten Akt mit einem (verkürzt bezeichnet) pas de deux erstmals in Erscheinung, wechseln, von der Hexe nicht gerade wertschätzend behandelt, schließlich die Fronten und helfen so den Titelfiguren, mit Rosina Leckermaul fertig zu werden. Rabe Mazen Muna und Katze Fatina Saleh waren noch vor weniger als 2 Jahren in Damaskus als Pantomime bzw. Ballettlehrerin tätig…

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Matthäus Schmidlechner als Knusperhexe. Foto: Christian Brachwitz/Landestheater

Eine Hauptrolle spielt der Deutsche Wald – hier ist er in höchst aufwendiger Weise (Technische Einrichtung: Johannes Böhner) sozusagen klappbar; das funktionierte perfekt, und verdientermaßen wurde auch die Technikergarde zum Schlußapplaus auf die Bühne gebeten. Viele Szenarien werden jeweils aus den Seitenprospekten ähnlich einem Aufklappbuch entwickelt. Mitunter starrt das Augenpaar eines riesigen Uhus durch die Bäume beunruhigend ins Publikum, oder die Früchte des Waldes, die die Kinder sammeln, wachsen aus den Seitenkulissen heraus. Auch ein paar helfende Hände der Hexe (Addams family, schau owa!) tauchen aus dem Wald, mitunter auch aus dem Souffleurkasten auf – dieses von manchen bei der heutigen Technik nicht mehr für nötig erachtete Bühnendetail setzte Mennicken bei der Planung des Musiktheaters gegen einige Widerstände durch, und natürlich „musste“ es dann auch eine Rolle in seiner letzten Inszenierung spielen. Nicht ganz verständlich freilich, dass die beiden einzigen frei stehende Bäume riesigen Besen entsprechen – da siegte wohl das symbolistische Wollen über den gegebenen Text. Wesentlich besser, nicht zuletzt durch deren meist farbenfrohe Dekoration, funktioniert die Idee, statt Lebkuchen die modischen „cup cakes“ als Daseinsform der von der Hexe schon kassierten Kinder (und schließlich der Hexe selbst) einzusetzen. Dramaturgie: Wolfgang Haendeler.
Die „special effects“ kommen bei dieser Inszenierung auch nicht zu kurz – die fliegende Frau Leckermaul (mit prasselndem Feuerschweif aus dem Besen) und das ebenfalls pyrotechnisch spektakulär umrahmte Ende des Hexenofens beeindrucken besonders. Insgesamt eine farbenfrohe, gut durchdachte, keinerlei Längen aufweisende Inszenierung, die Kinder nicht überfordert und genug Interessantes auch für Erwachsene bietet, selbst wenn sie schon etliche Produktionen des „Kinderstubenweihespiels“ kennen.

Der Beginn ist für einen Opernabend ungewöhnlich – aber vielleicht gerade für ein Kind, das zum ersten Mal solch ein Werk sieht, eine geschicktes Hineingleiten in das Genre: schon bevor die Ouverture anhebt, ist der Vorhang offen, und eine Kinderschar tummelt sich unbeschwert auf der leeren Bühne – mit einigen akrobatischen Kunststücken, auf dem skateboard usw. Der Dirigent gelangt so mehr oder minder unbemerkt auf sein Podest, und die Musik beginnt. Mitunter erscheint eine „fremde“ Märchenfigur (Schneewittchen, übrigens in der Aufmachung wie in Disneys Film von 1937, auch Rotkäppchen schaut vorbei) und bringt ein bißchen Ordnung in die Bande (Choreografie Matthew Tusa, Leitung Kinder- und Jugendchor Ursula Wincor, OÖ Tanzakademie Ilja van den Bosch).

Martha Hirschmann als Hänsel brilliert mit schönem wie beweglichen Mezzo, und zeigt auch körperlich ausgesprochen sportliche, um nicht zu sagen, akrobatische Beweglichkeit – dieser Lausbub ist aus Fleisch und Blut! Myung Joo Lee zeigt als Gretel anfänglich Rauhigkeit ihrer Stimme bei forte- und Spitzentönen, die sich aber im Laufe des Abends gibt. Ihre Darstellung ist ähnlich überzeugend wie die ihres „Bruders“. Insbesondere das Abendgebet der beiden gelingt wunderbar und bewegend. Es folgt eine Traumsequenz, erneut mit witzigen Zitaten aus anderen Märchen und einer Fülle von entzückenden Tierfiguren (Mitgestaltung Elisabeth Madlmayr).
Peter, der Besenbinder, wird von Michael Wagner mit kräftigem, dunkel timbriertem und sauber geführtem Bariton und beachtlichen darstellerischen Fähigkeiten verkörpert. Karen Robertson verfügt als Gertrud ebenso über ein weites komödiantisches Spektrum, vom Zorn bis echter Angst um ihre im Walde verschollene Kinder, und wird diesem auch stimmlich gerecht.
Das Filetstück des Abends liefert aber sicherlich Matthäus Schmidlechner als Knusperhexe; man weiß spätestens seit anno Zednik, dass ein vorzüglicher Mime ebenso vorzüglich als Humperdincks Bösewichtin sein kann, und Schmidlechner bestätigt dies vollinhaltlich, sei es seitens seiner Stimme (die freilich nicht nur einem guten Charaktertenor entsprechende, sondern auch allerhand ungesund schrille Töne produzieren muss), sei es seitens seiner Darstellung, die auch ihm allerhand Körperbeherrschung abverlangt. Schon sein erster Auftritt ist quasi gran
dios: offensichtlich lebt da eine Zwillingsschwester von Dame Edna im Knusperhaus! Gerade noch die „Possums“ fehlen, nicht aber eine entsprechend schrille Brille – und als diese (durch Eingreifen von Rabe und Katze) verloren geht, gelingt Hänsel die Täuschung mit dem dürren „Finger“ naturgemäß leicht: auch das ein feines Detail von Mennickens Regie.
Sand- wie Taumännchen ist Fenja Lukas mit schöner Stimme und beachtlicher Schwindelfreiheit, wenn man in letzterer Rolle ihr Herumgeturne in der Wolke der Tautröpfchen, in 6 oder 7 m Höhe über der Bühne an zwei dünnen Seilen hängend, betrachtet (der Zuschauer ist da, im Gegensatz zu Frau Lukas, ziemlich atemlos)…

Takeshi Moriuchi dirigiert mit dem richtigen Gespür für die spätromantische Partitur, wenn auch im ersten Akt ein paar Unregelmäßigkeiten zwischen Graben und Bühne zu verzeichnen sind – das mag wohl der Premierennervosität zuzuschreiben sein, denn später gings dann makellos weiter. Im 1.Rang sollen aber einige Stimmen nicht recht über dem Orchester wahrnehmbar gewesen sein.
Auch das Bruckner Orchester musizierte größtenteils perfekt, aber auch hier im ersten Akt seitens des Blechs nicht ganz makellos.
Großer und ungetrübter Applaus für alle, wobei Matthäus Schmidlechner und Rainer Mennicken die lautstärkste Begeisterung entgegennehmen durften.

H & P Huber

 

 

 

 

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