Linz: „SWEENEY TODD – Der Barbier des Grauens von Fleet Street“ – Premiere im Musiktheater des Landestheaters Linz, Großer Saal, 15. 02.2025
Musicalthriller („tiefschwarze Operette“) von Stephen Sondheim (Musik Gesangstexte und Gattungsbezeichnung) sowie Hugh Wheeler (Buch), Deutsch von Wilfried Steiner und Roman Hinze
Eine Kooperation mit der MuK Privatuniversität der Stadt Wien
In deutscher Sprache mit deutschem und englischem Mitlauftext
Ensemble. Foto: Barbara Palffy
Das 1979 uraufgeführte Musical um eine mörderisch-kapitalistische und schließlich komplett aus dem Ruder laufende Partnerschaft, die von Rache initiiert wird, ist einer der großen Erfolge von Stephen Sondheim – 557 Vorstellungen in der Erstproduktion am Broadway. Die Geschichte basiert auf einem Groschenroman („penny dreadful“ oder „penny blood“ hieß das Genre) aus den 1850ern, das 1970 von Christopher G. Bond zu einem Theaterstück gemacht worden war. Am Landestheater Linz gab es schon 1990/91 eine Produktion, damals die österreichische Erstaufführung.
Mit Simon Eichenberger (Regie und Choreographie), Charles Quiggin (Bühne), Aleš Valášek (Kostüme) und Michael Grundner (Lichtdesign) war, wie z. B. bei „Titanic“ (Saison 2021/22) ein team am Werken, das aufwendig und unterm Strich meisterlich großes, emotionelles, perfekt illusionistisches und unglaublich stimmungsvolles Theater macht – sei es die ausgefeilte Personenführung, sei es die gelungene Alt-Londoner Atmosphäre mit vielenvielen Wandlungsmöglichkeiten durch die große Bühnentechnik, seien es die einerseits historisch präzisen, andererseits dramaturgisch genau eingepaßten Kostüme…! Den hochkomplexen, aber präzisen und fehlerfreien technischen Ablauf hatte Inspizientin Susanne Pauzenberger im Griff. Dramaturgie (und für eine Überarbeitung der Übersetzung verantwortlich): Arne Beeker.
Der sonst mit feinsinniger Gestaltung von ausgefeilten Nebenfiguren beeindruckende Max Niemeyer konnte hier als Titelcharakter erstmals, seit er in Linz engagiert ist, eine der ganz großen Musicalrollen an Land ziehen und hat diese als Sänger wie Schauspieler höchst beeindruckend auf die Bühne gebracht: von finster brütend bis in Untergang und Verzweiflung tanzend, von schlau bis brutal – alles fein abgestimmt, niemals grobschlächtig oder überzeichnend.
Max Niemeyer, Daniela Dett und die Pasteten. Foto: Barbara Palffy
Die ebenso geschäftstüchtige wie skupellose Mrs. Lovett, Menschenfleischhauerin und Pastetenbäckerin, war mit Daniela Dett ebenso perfekt besetzt. Auch sie erhält – und nutzt! – viele Gelegenheiten, ihre Figur detailliert und differenziert darzustellen, mit großer Stimme und mitreißendem Spiel. Besonders eindrucksvoll auch ihre Duette mit Herrn Niemeyer. SEHR schade, daß diese Saison ihre letzte als Ensemblemitglied des Landestheaters sein wird, wie Intendant Hermann Schneider bei der Premierenfeier mitteilte.
Karsten Kenzel, Max Niemeyer. Foto: Barbara Palffy
Der ursprünglich Schuldige und Auslöser des ganzen Strudels an immer schlimmeren Ereignissen und Ungeheuerlichkeiten, Richter Turpin, wird von Karsten Kenzel vorzüglich als eiskalter Manipulator und Zyniker gegeben. Auch bei ihm bilden stimmliche und schauspielerische Gestaltung eine überzeugende Einheit.
Anthony, der junge Liebhaber, der inmitten der bösen Intrigen, die von Turpin ausgehen, über sich hinauswachsen muß, bis zum Heldentum, war mit Christian Fröhlich ebenso erstklassig und eindrucksvoll besetzt. Was uns erst bei der Premierenfeier auffiel: er hatte den Abend mit einer eingegipsten linken Hand absolviert, aber sich (und seiner Rolle) nicht das geringste anmerken lassen: Ein Extra-Bravo! Seine Geliebte Johanna, verloren geglaubte Tochter der Titelfigur: Alexandra-Yoana Alexandrova, mit klarem, hohen Sopran und engagiertem Spiel.
Gernot Romic, Max Niemeyer. Foto: Barbara Palffy
Quacksalber und Sweeneys erstes Mordopfer Pirelli ist für Gernot Romic ein zwar ziemlich kurzer, aber intensiv und köstlich ausgespielter Auftritt. Sein Assistent Tobias, der nach dem unerklärlichen Verschwinden seines Chefs bei Mrs. Lovett Unterschlupf findet, ist Lukas Sandmann – darstellerisch und sängerisch erstklassig, auch punkto Artikulation einer der besten des Abends (ohne dabei emotionsentsprechende Modulation vermissen zu lassen!)
Enrico Treuse ist der fiese und seelisch deformierte Büttel des Richters namens Bamford, auch er mimisch und als Sänger ohne Fehl und Tadel. Eine Bettlerin, die sich spät im Stück von ebenso überraschender wie tragischer Wichtigkeit erweist: die überzeugende, intensive und extrem modulationsfähige Sanne Mieloo.
Kevin Arand spielt kompetent den von seinen Klienten gut lebenden Irrenhausbesitzer Fogg, einen Vogelhändler und weitere Ensemblerollen. Letzteres setzt sich außerdem aus Luuk Hartog, Astrid Nowak und Lynsey Thurgar zusammen, sowie aus den Gästen aus dem Studiengang ‚Musikalisches Unterhaltungstheater‘ der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien: Paul Aschenwald, Linus Baroffio, Karoline Chmelensky, Daniel Dittrich, Anna Hiemetsberger, Ayaka Koshida, Marcel Rathner und Isabel Saris. Diese jungen Damen und Herren wirbelten oft über die Bühne, daß einem vom Zusehen schwindlig werden konnte – aber alles im Sinne einer eindrucksvollen und stringenten Gestaltung des Stückes. Zudem war auch der Chor des Landestheaters nicht nur gesanglich gewohnt erstklassig präsent, sondern auch selbst mit einer höchst anspruchsvollen Choreographie befaßt (Einstudierung Elena Pierini und David Alexander Barnard, Dance captain Hannah Moana Paul).
Kinderstatistin: Anja Schmuckermair, exakt und natürlich.
Premierenfeier: Ales Valasek, Simon Eichenberger, Tom Bitterlich, Charles Quiggin. Foto: Petra und Helmut Huber
Ca. 40 Damen und Herren des Bruckner Orchesters spielten unter Tom Bitterlich die spannungsreiche, dramaturgisch perfekt eingesetzte, schlank-melodiöse und mit schlauen Zitaten aufwartende Musik von Sondheim mit Verve, Emotion und Präzision.
Schlussapplaus mit Produktionsteam. Foto: Petra und Helmut Huber
Der Abend beginnt verhalten, findet dann vor der Pause einen ersten Höhepunkt, und die restliche Stunde nach der Pause verläuft in fast atemlosem Tempo. Nach viel Szenenapplaus schlußendlich große Begeisterung, standig ovation, auch für das Produktionsteam.
Petra und Helmut Huber