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LINZ/ Musiktheater des Landestheaters: PIAF. Musical Play von Pam Gems in der Bearbeitung für das Donmar Warehouse, London (2008)

19.09.2020 | Operette/Musical


Daniela Dett. Foto: Linzer Landestheater/ Winkler

Linz: „PIAF“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 18. 09.2020

Musical Play von Pam Gems in der Bearbeitung für das Donmar Warehouse, London (2008), übersetzt von Roman Hinze (= Arne Beeker, auch Dramaturgie und Titelprojektion), Musik eingerichtet von Svenn Eric Kristoffersen und Tom Bitterlich.

Chansons meist in Französisch, Spieltexte in Deutsch (ohne Übersetzung von « merde »)

Die britische Autorin Pam Gems (1925 – 2011) landete mit einem naturgemäß musiklastigen Werk über das Leben der französischen Chanteuse Édith Giovanna Gassion, als La Môme Piaf, später Édith Piaf weltberühmt, 1978 zuerst in Großbritannien, dann in den USA, einen großen Erfolg; die Darstellerin der Titelfigur beidseits des Atlantiks, Jane Lapotaire, erhielt 1981 immerhin den Tony Award. Das kurze Leben Piafs (sie starb mit nicht einmal 48 Jahren) war in allen Phasen von tristen sozialen Verhältnissen, wechselhaften Beziehungen, Sucht, Unfällen und Krankheit gezeichnet; sie selbst war wohl für ihre Umgebung kein einfacher Umgang, und die Autorin hält damit nicht hinter dem Berg.

Episoden dieses Lebens bilden die Handlung, in die – meist chronologisch korrekt – ihre doppelbödigen Hits eingebettet sind; nur das (auch nur vordergründig) fröhliche  „Milord“, geschrieben von Georges Moustaki  und Piafs Leibkomponistin Marguerite Monnod, wird aus dem Entstehungsjahr 1959 zur Befreiung Frankreichs von der deutschen Besatzung vorverlegt. Außer vielen Klassikern aus dem „Piaf-songbook“ (bzw. recueil de chansons) hören wir auch „Lili Marleen“, der Figur der Marlene Dietrich in die Kehle gelegt, und „Deep in the Heart of Texas“ sowie „O sole mio“, mit denen ein junger Yves Montand noch nicht seine spätere nüchterne Eleganz gefunden hatte…

Das Bühnenbild von Mathias Fischer-Dieskau ist skizzenhaft und abstrakt, spielt aber mit schlauem Einsatz der Drehbühne und eines formatfüllenden halbdurchlässigen Spiegels als Hinterwand überraschende Stückerl: gleich zu Beginn wird so das Linzer Musiktheater zum Pariser „Olympia“, in dem die Piaf so viele Erfolge feierte, aber auch mit Zusammenbrüchen das Publikum schockierte. Auch der Mord an ihrem Entdecker, Louis Leplée, wie Édiths Traum vom geliebten Marcel Cerdan, der bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam, werden so beeindruckend emotionell in Szene gesetzt. Spartenchef Matthias Davids hat in diese Umgebung eine detaillierte und sorgfältig ausgearbeitete Inszenierung gestellt, die auch vor – plausibel authentischen – Derbheiten nicht zurückschreckt. Beschönigt und glattgebügelt wird da – außer dem eingangs erwähnten Wort – nichts. Bis hin zu Édiths Tod, der Ähnlichkeiten zu dem der Mimi in der „Bohème“ aufweist…

Die Kostüme sind von Judith Peter mit großer Sorgfalt zeitauthentisch gestaltet worden, Choreografie (Hannah Moana Paul) und Lichtdesign (Michael Grundner) vervollständigen den überzeugenden Gesameindruck, bis hin zum Schlußbild, als nur das Gesicht der Piaf im spotlight erscheint – ganz wie aus ihren Bühnenshows bekannt. Uwe Wagner zeichnet für die Maske  verantwortlich, die bei den Wandlungen der Titelfigur Großes leistet!


Milord. Foto: Linzer Landestheater/ Winkler

Natürlich sind vielen im Auditorium Stimme und Interpretationskunst Piafs im Ohr, auch in youtube und spotify findet man jede Menge ihrer Aufnahmen; und 2007 gab es eine sehr erfolgreiche Filmbiographie („La Vie en Rose“) von Olivier Dahan, in der Marion Cotillard mit einer atemberaubend intensiven Darstellung der Sängerin sämtliche denkbaren Preise abräumte; deren hochkomplexe Maske war übrigens Teil einer Ausstellung im technischen Museum Wien in heurigen Frühsommer.

Unter der musikalischen Leitung von Juheon Han (vom Flügel bzw. Harmonium aus) ließ ein achtköpfiges Orchester unter dem Namen „Les Bohémiens de Montmartre“ Pariser Klänge hören – nicht in allen Fällen 1 : 1 wie von den alten (teils auch sehr groß orchestrierten) Aufnahmen bekannt, aber sehr wohl genau im Stil von Zeit und Genre!

Die Hauptrolle ist extrem anspruchsvoll – nicht nur muß die Darstellerin rund 30 Lebensjahre abdecken und glaubwürdig eine junge, trotz allen Elends unbekümmerte Frau am Rande der Gesellschaft, einen von Ängsten und Verlusten geplagten Star, eine launische Suchtkranke und schließlich auch eine allzu frühe Greisin spielen – dabei immer auf der Suche nach Liebe und Zuneigung, aber neurotisch negiert und konterkariert. Alles das sollte einer – sehr! – guten Schauspielerin gelingen. Aber es ist auch die musikalische Seite abzudecken, die nicht nur Stilentwicklung von 30 Jahren umfaßt, sondern diese dazu mit einer so gut wie allen bekannten ikonischen Stimme und Interpretationsweise zu vermählen, und das weder als stumpfe Nachahmung noch als Parodie. Dazu ist die Titelfigur so gut wie andauernd auf der Bühne, abzüglich der Pause gut zweieinhalb Stunden! Daniela Dett erfüllt und vereint alle diese Vorgaben in begeisternder Weise. Sie macht sich die Lieder Piafs zu eigen, interpretiert sie für sich, läßt Piafs Stimme anklingen, lebt aber in der Aufführung diese Werke neu. Titel wie  „L’accordéoniste“, „La belle histoire d’amour“, „Hymne à l’amour“ und das wahrhaft end-gültige „Non, je ne regrette rien“, teils von der Sängerin mitverfaßt, also höchstpersönlicher Ausdruck, brennen in dieser Aufführung förmlich in der Seele – was soll man sich noch mehr wünschen!? 

Toine, Édiths Quartiergenossin in den frühen wilden Jahren und spät wieder als Freundin akzeptiert, ist Nina Weiß – eine glaubwürdige und sehr facettenreiche Darstellung. Marlene Dietrich ist mit Sanne Mieloo die herausragende Erscheinung (und zeitweilig Vertraute Édiths), die sie wirklich war. Madeleine, gepeinigte Sekretärin und Haushälterin des späten, oft bösartigen Stars: man leidet mit Hanna Kastner förmlich mit! Celina dos Santos betreut als Krankenschwester Francine die Sterbende mit Respekt, Mitgefühl und Wärme.

Als Louis Leplée, Besitzer des Clubs „Le Gerny“, wo Piaf erstmals vor regulärem Publikum auftrat, bietet Peter-Andreas Landerl eine ebenso überzeugende Leistung wie Karsten Kenzel als der bedeutende Impresario Bruno Coquatrix, u. a. Besitzer und Leiter der berühmtesten Pariser Music-Hall der Nachkriegszeit, des „Olympia“.


David Arnsperger, Daniela Dett. Foto: Linzer Landestheater/ Winkler

Der Bariton David Arnsperger fällt mit einer vergnüglich schrägen Darstellung des jungen Yves Montand und einem sauberen Ausflug ins Tenorfach auf. Als Schauspieler bietet er in der Rolle des Marcel Cerdan der Piaf nur allzu bald wieder verlorene Wärme und Nähe. Lukas Sandmann singt, schön und schlank wie im Original, das Tenorsolo (Erzähler) im Chor von „Les trois cloches“, spielt später den jungen Charles Aznavour.

Christian Fröhlich hat als letzter Ehemann Édiths, Thèo Sarapo, ein entzückendes Duett mit der knapp vor ihrem Tod noch einmal fast mädchenhaft Verliebten – auch das sehr nahe am bekannten TV-Ausschnitt („A quoi ça sert, l’amour“). Wie die meisten Vorgenannten, sowie Gernot Romic, hat Herr Fröhlich eine größere Vielfalt von Rollen zu absolvieren.

Begeisterung im Publikum, besonders für Daniela Dett, standing ovation; nur ein einsames „Buh“ für die Regie fand seinen Weg durch eine Maske….

Petra und Helmut Huber

 

 

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