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LINZ/ Musiktheater des Landestheaters: MACBETH – Choreographisches Theater. Premiere

Choreografisches Theater von Johann Kresnik nach William Shakespeare; Musik von Kurt Schwertsik

14.10.2018 | Ballett/Performance


Yu Teng Huang. Copyright: Dieter Wuschanski

Linz: „Macbeth“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 13. 10.2018

Choreografisches Theater von Johann Kresnik nach William Shakespeare; Musik von Kurt Schwertsik

In dieser Woche wird des 10. Todestages eines umstrittenes Importkärntners gedacht. „Wahnsinn, Wut, Grenzüberschreitung und Tod“ könnten durchaus als Assoziationen zu diesem Politiker gelten – jedoch sind diese Worte der (wikipedia-)Charakterisierung eines Exportkärntners entnommen, der unter anderem als Erneuerer des Deutschen Tanztheaters gilt. Seine Beschäftigung mit dem blutigsten Königsdrama des Barden von Stratford entspricht durchaus seinem Ruf als Theaterberserker: 1988 hatte dieser Johann Kresnik die Choreographie für „sein“ Haus, das Theater der Stadt Heidelberg, geschaffen. Er hat dabei Parallelen zwischen den Machtkämpfen des mittelalterlichen Schottland und den Geschichten um das Treiben und den Tod des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel herausgeschält. Barschel war ein halbes Jahr vor der Uraufführung dieser Choreographie, zum selben Oktoberdatum wie Jörg Haiders letaler Phaetonritt (nur 21 Jahre früher), in einer Badewanne im Hotel Beau Rivage in Genf tot aufgefunden worden. Vorangegangen war eine dramatisch zugespitzte Wahlkampf-Intrigengeschichte im Dreieck Barschel (CDU) – Engholm (SPD) – Spiegel (Augstein); später stellte sich heraus, daß Barschel nicht der einzige Falschspieler in der Angelegenheit gewesen war…

Ein schmerzlich genauer Beobachter der Ausgesetztheit des Individuums gegenüber Gewalt, der Wiener Gottfried Helnwein, hatte das Bühnenbild geschaffen. Es gehört zu Helnweins künstlerischer Strategie, es dem Betrachter nicht zu ermöglichen, sich seinen Werken gegenüber neutral zu verhalten (Peter Pachnike und Gisela Vetter-Liebenow, Hannover, 2005). Auch die Klänge holte sich Kresnik aus Österreich: der Orchestermusiker und außerordentlich vielseitige Komponist, als solcher Schüler von u. a. Marx, Stockhausen und Cage und schließlich selbst universitärer Kompositionslehrer, Kurt Schwertsik, steuerte die Musik bei.


Pavel Provraznik, Edward Nunes, Rutsuki Kanazava. Copyright: Dieter Wuschanski/ Landestheater

Wie die auf Bayreuth 1993 zurückgreifende „Tristan“-Produktion, die vor einem Monat Premiere hatte, ist auch dieser Abend eine Rekonstruktion: Die von Publikum und Feuilleton heftig akklamierte Heidelberger Produktion von 1988 wurde zu neuem Leben erweckt. Allerdings: die Schöpfer dieser Produktion sind alle noch am Leben und stehen als Geburtshelfer zur Verfügung. Christina Comtesse, Leiterin der Einstudierung, war 1988 Tänzerin bei der Heidelberger Premiere; Johann  Kresnik stand aber über längere Zeit bei den Proben selbst in Linz zur Verfügung (und war voll des Lobes über die hiesige Kompagnie). Dramaturgische Unterstützung: Dietrich von Oertzen und Katharina John.

Die Rekonstruktion der Bühne lag in den Händen von Sabine Hainberger, die der Kostüme besorgte Richard Stockinger; das Lichtdesign erneuerte Ivo Iossifov. Ihre Aufgaben waren alles andere als trivial, denn außer einigen technisch mäßigen Videoaufzeichnungen haben sich wenige Dokumente über die Inszenierung vor 30 Jahren erhalten. Das Resultat war jedenfalls szenisch und im Gesamteindruck stimmig – nicht zuletzt, als einige der bekannten Alptraumbilder Helnweins lebendig wurden.
Kresnik ist politisch durchaus festgelegt, was er aber in dieser Inszenierung keineswegs plakativ mitteilen will, sondern in erster Linie Künstler bleibt. Und als solcher schafft er intensive Situationen, die das Publikum ins Bühnenengeschehen hineinziehen, fesseln.


Die Hexen Rutsuki Kanazawa, Kayla May Corbin, Tura Gómez Coll. Copyright: Dieter Wuschanski/ Landestheater

Schon beim Betreten des Saales ist man mit einem See von „Blut“ konfrontiert, der den Orchestergraben ausfüllt und locker für eine Blunzen-Jahresproduktion vom Raddatz reichen würde… Mitten in diesem (freilich auf einer trockenen Insel) steht ein mächtiger Konzertflügel, an dem sich Bela Fischer jr. und Stefanos Vasileiadis betätigen; teils klassisch (und das perfekt!) zu vier Händen, teils mit allerlei Geräuscheffekten gemäß John Cages präparierten Instrumenten.

Der Abend beginnt mit einem ostinaten tiefen G dieses Klaviers, welches eine rasche Abfolge von black-out-Szenen begleitet, die jeweils durch einen blutrot wabernden Vorhang getrennt werden (oft mit rasend schnellen Verwandlungen und Umzügen dahinter!). Diese schildern prägnant die Grundkonflikte des Stückes, bevor die Geschichte mit der Begegnung Macbeths mit den drei Hexen ihren Lauf nimmt. 16 stählerne, emaillierte Badewannen, immer wieder neu arrangiert, stellen das bestimmende Gestaltungselement dar; klar ist das eine Reminiszenz an den Fall Barschel, und das berühmte Titelbild des „Stern“ findet sich auch im Finale der Aufführung wieder. Einen weiteren wesentlichen Eindruck liefert ein großes zweiflügeliges Tor mit schwerem Riegel im Bühnenhintergrund, das sich mit großem Gestus wie Krach öffnet und schließt und damit wichtige Auftritte akzentuiert. Immer wieder durchschritten auch von einer gänzlich schwarzen Gestalt, einer Art Todesengel oder Charon (Yu-Teng Huang), welche eimer- und gar wannenweise Blut und Eingeweide, angefallen beim fortwährenden Morden, in den See vor der Bühne gießt und dabei sehr an eine Figur im Film „Angel Heart“ (1987) erinnert, die immer auftaucht, wenn Spuren eines Todesfalles zu beseitigen sind…


Ensemble mit Messern. Copyright: Dieter Wuschanski/ Landestheater

Messer, und zwar richtige große Küchenmesser, keine Theaterdolche, spielen auch immer eine große Rolle – nicht nur beim Morden, sondern auch als buchstäblich hinterrücks stets vorhandenes Element, wenn wieder einmal Unterwerfung und Treue geschworen werden; wie wir wissen, halten die Schwüre in dem Stück ja nicht lange. Mitunter landet ein ganzer Schwarm von Messern, von allen Ensemblemitgliedern geworfen, laut scheppernd in einer Badewanne. Die Ermordung der Familie Macduff wird zur Parabel über die Geschehnisse in der Klinik am Spiegelgrund zur Nazizeit, basierend auf Helnweins bekannten Bildern.

Schwertsiks Musik begleitet und unterstreicht die Handlung mit einer Fülle von unterschiedlichen Stilmitteln, von der seriell komponierten Meditation bis zu einem durchaus klassisch-harmonischen Ragtime oder einem mokanten Marsch, setzt Spannungsakzente und kommt mitunter nicht nur vom Klavier: sogar ein Paar Gummistiefel, die wohl die für Macbeth viel zu großen Schuhe der Königswürde symbolisieren, wird als Musikinstrument behandelt.


Pavel Provraznik, Andressa Miyazato. Copyright: Dieter Wuschanski

Macbeth ist Pavel Povrazník, zunehmend machtversessen wie von Ängsten verfolgt – eine großartige, gnadenlos konsequente Darstellung. Ebenso Lady Macbeth: Andressa Miyazato kennen wir als Tanzdarstellerin, die am wenigsten von allen Rücksichten, auch auf ihren Körper, nimmt; dementsprechend wild und intensiv, atemberaubend, fallen auch diesmal ihre Auftritte auf: rein akrobatisch am Eindrucksvollsten, wenn sie auf dem Rücken des kriechenden Macbeth die ganze Strecke von der hintersten Bühne bis zur Rampe stehend balanciert. Der Banquo von Edward Nunes ist, obwohl im Zuge der Handlung wiederholt geschunden, nichtsdestotrotz die akrobatischeste Erscheinung im Ensemble.

Der goldene König Duncan (Jonatan Salgado Romero) hält, solange ihn die mörderischen Macbeths lassen, seine Würde und Grandezza; sein Tod ist lange und quälend, bedrückend dargestellt. Die drei Hexen (Kayla May Corbin, Rutsuki Kanazawa und Tura Gómez Coll), die man als Stewardessen der Flying Death Airways sehen könnte, treiben die Handlung mit größtem Einsatz vorwärts. Die ebenso sehr engagiert dargestellten Macduffs sind Valerio Iurato und Mireia González Fernández.

In wechselnden Rollen vervollständigen Lara Bonnel Almonem, Urko Fernandez Marzana, Hodei Iriarte Kaperotxipi, Filip Löbl, Alessia Rizzi, Lorenzo Ruta, Andrea Schuler, Núria Giménez Villarroya, Julie Endo, Kasija Vrbanac die Ensembleleistung auf höchstem Niveau.

Großer, schließlich begeisterter Applaus, der trotz einiger anfänglicher Buhs auch das Produktionsteam dieses aufregenden Abends einschloß.

Petra und Helmut Huber

Premierenfeier: Johann Kresnik, Christina Comtesse, Kurt Schwertsik, Sabine Hainberger, Richard Stockinger, Ivo Iossifov, Bela Fischer jr., Stefanos Vasileiadis. Copyright: Huber

 

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