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LINZ/ Musiktheater des Landestheaters/Großer Saal: LAZARUS von David Bowie

Musical nach dem Roman „The Man Who Fell to Earth“ von Walter Tevis,

28.09.2018 | Operette/Musical


Daniela Dett, Hanna Kastner, Linsay Thurgar, Riccardo Greco, Christian Fröhlich. Copyright: Reinhard Winkler/ Landestheater

Linz:„LAZARUS“– Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 27.09.2018

Musical nach dem Roman „The Man Who Fell to Earth“ von Walter Tevis, Bühnenfassung von Enda Walsh, Gesangstexte und Musik von David Bowie

Deutsche Dialoge von Peter Torberg | In deutscher Sprache, Songs in englischer Sprache

Der britische Universalkünstler David Robert Jones (1947 – 2016), ab 1967 „David Bowie“, hatte, inspiriert durch Stanley Kubrick’s „2001“, im Frühjahr 1969 eine Ballade über einen im Weltraum (freiwillig?) verloren gegangenen Astronauten geschrieben – „Space Oddity“. Obwohl das sicher ein recht unkonventionelles Stück zwischen Rock, Pop und Richard Strauss‘ „Zarathustra“ war, entwickelte es sich rasch zu seinem ersten Erfolg. Dieser war neben dem eigenwilligen Talent Bowies und einem neuen Produzenten auchdem timing zu verdanken, daß die Mondlandung von Armstrong und Aldrin 9 Tage nach Verkaufsbeginn der Single stattfand.

Auch wenn auf dem selben musikalischen Hintergrund noch im selben Jahre durch Bowie selbst eine gänzlich anders thematisierte italienische Aufnahme („Ragazzo solo, ragazzasola“) eingespielt und auch gut verkauft wurde, blieben ihm Faszination und Interesse an Weltraum- oder science-fiction-Themen erhalten. Dies äußerte sich in den folgenden Jahren in einer Reihe von Titeln, aber auch in einer LP und einer aufwendigen Bühnenshow, in der sich Bowie & Band als „Ziggy Stardust and the Spiders from Mars“ präsentierten.

Diese Vorgeschichte (und weitere kleine rein schauspielerische Auftritte schon seit 1969) machten Bowie für den Filmregisseur Nicholas Roeg 1976 zur interessanten Besetzung für die Rolle eines Außerirdischen, der auf der Suche nach Wasser für seinen vertrocknenden Planeten auf unserer Welt landet, sich hier zwischen seinen eigenen Interessen und Lastern und Absichten anderer verfängt und seinen Auftrag nicht erfüllen kann. Der Film endet mit einem (alkohol)kranken und zynischen Thomas Jerome Newton, wie sich der Außerirdische hiezunieden nennt, der irgendwo in der US Provinz gestrandet ist.

Dort holt ihn das Bühnenstück ab und schildert Träume und Erinnerungen, vielleicht auch Halluzinationen, die Newton Jahre später hat, unter denen er leidet. Bowie hatte für das Musical, das am 7. Dezember 2015, wenige Wochen vor seinem Tod, in New York zur Uraufführung gelangte, vier neue Songs verfaßt; die übrigen 13 stammen aus seinem reichen früheren Oeuvre, darunter besonders berühmte und unverwechselbare wie „This Is not America“, „Absolute Beginners“ und „Heroes“. Bei der Uraufführung waren die wesentlichen Rollen mit Schauspielern besetzt, nicht mit Musicalpersonal (ebenso bei der österreichischen Erstaufführung im heurigen Mai am Volkstheater).

Die Inszenierung (Johannes von Matuschka) läßtden Protagonisten in der Gerichtsmedizin, schonauf dem Seziertisch, aus einen Leichensack schlüpfen – wieeinen Schmetterling. Schließlich: er kann ja nicht sterben… Die Figuren aus seiner Vergangenheit oder deren jüngere Surrogate, schweben von der Decke, zunächst gehüllt in Rettungsdecken; sie verschwinden später in Leichenschubfächern oder tauchen von dort wieder auf. Die Bühne (Christoph Rufer) ist groß, bedrohlich, bedrückend-grau. Newton verliert sich oft genug auf ihr, seine Vereinsamung wird greifbar. Später werden Versatzstücke aus der Bühnenhinterwand entnommen und als Trenn- und Projektionsflächen genutzt: man knüpft an bei Newtons „bingewatching“, den TV-Orgien des seinerzeitigen Films, oder zeigt Formeln, mit denen Newton ebenso verzweifelt wie vergebens versucht, doch noch ein Raumfahrzeug bauen zu können, mit dem er zu seinem Heimatplaneten zurückreisen könnte – zu seiner Familie, die aber wahrscheinlich schon tot ist (Videos: Ars Electronica Futurelab, Lichtdesign Johann Hofbauer).

Der depressive, heimwehkranke und/oder todessüchtige Newton steckt den größten Teil der Zeit (und er ist den ganzen Abend hindurch auf der Bühne!) in einem grauen Overall, nur gegen Ende wird eines der elaboraten Kostüme des Pop-Chamäleons, die längst auf erfolgreichen Ausstellungen glänzen, als Vorbild herangezogen. Seine Bühnenpartner erscheinen in realistisch-moderner Aufmachung, garniert mit Farbtupfen oder stereotypen Perücken (und einer Reminiszenz an die „Frau ohne Schatten“ aus der Vorsaison) in Newtons Halluzinationen, aber auch in einer exotisch-eleganten japanische Teezeremonie (Kostüme: Tanja Liebermann, mit Giuliana Savari, Choreografie Wei-Ken Liao).


Riccardo Greco. Copyright: Reinhard Winkler/ Landestheater

Newton ist Riccardo Greco; mit großem, oft berührendem und jedenfalls beeindruckendem Einsatz stellt er den Verzweifelten, Ziellosen dar. Und er singt gepflegt, technisch erstklassig, schön – zu schön: es fehlen Brüchigkeit und Doppelbödigkeit, die Bowies eigene Interpretationen auszeichnen: alles ist gepflegt und glatt, wie ein guter Wein, dem zur Perfektion aber das gewisse Bißchen Säure oder Tannin fehlt, mit dem er sich am Zungengrund festkrallt und Charakter zeigt. Natürlich wäre es verfehlt, eine Bowie-Kopie zu verlangen – aber so klaffen Stimmung/Text und Höreindruck doch zu weit auseinander.


Daniela Dett, Ariana Schirasi-Fard. Copyright: Reinhard Winkler/ Landestheater

Das gilt ebenso für die meisten anderen Darstellerinnen und Darsteller (Christian Fröhlich, Christof Messner, Aoi Yoshida, Daniela Dett, Lynsey Thurgar, Hanna Kastner, Christof Messner): schauspielerisch gute Leistungen, aber der Gesang viel zu glatt, poliert, naiv und sauber – fast ein bißchen, alshätten sich ABBA der Bowie-Schöpfungen angenommen; am ehesten funktioniert das noch bei der Rolle der Elly (Ariana Schirasi-Fard). Einzig Carsten Lepper, der mephistophelische und mörderische Valentine, trifft die Bowie’sche Grundstimmung. Das legt natürlich die Vermutung nahe, daß hinter demwie wir meinen suboptimalen Stil nicht die individuelle Auffassung der Interpretinnen und Interpreten, sondern die Einstudierung steht. Wie die Aufführungshistorie nahelegt, könnten „ungebildete“ Stimmen diesen vielleicht besser treffen?

Die präzise achtköpfige Band, hinter der Bühne positioniert, leitet Christopher Mundy vom keyboard aus. Auch auf dieser Ebene wurde freilich weichgespült, die Bowie’sche Brüchigkeit geglättet, mehr Glam als Rock.

Fehlender Szenenapplaus und am Schluß freundlicher, nicht sehr langer Beifall für einen Abend für Musicalfans, nicht für Bowie-Fans; die Welt hätte an diesem Abend, entsprechend dem Saisonmotto des Landestheaters, durchaus mehr aus den Fugen geraten können!

Petra und Helmut Huber

 

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