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Linz/Musiktheater des Landestheaters: „FALL / ORBO NOVO“ – Ein Doppeltanzabend mit TANZ LINZ und dem Bruckner Orchester. Premiere

02.03.2025 | Ballett/Performance

Linz: „FALL / ORBO NOVO“ – Premiere im Musiktheater des Landestheaters Linz, Großer Saal, 01. 03.2025

Choreografien (jeweils als österreichische Erstaufführungen) und Inszenierungen von Sidi Larbi Cherkaoui, Musik Arvo Pärt und Szymon Brzóska

Ein Doppeltanzabend mit TANZ LINZ und dem Bruckner Orchester Linz unter Marc Reibel in Kooperation mit der Tanzakademie Oberösterreich

Die Zusammenarbeit mit TANZ LINZ ist die erste Arbeit des Starchoreografen mit einer österreichischen Tanzkompanie.

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Foto: Philip Brunnader

 

„Fall“ war eine Produktion des Opera Ballet Vlaanderen (Antwerp/Ghent) mit Uraufführung am 22. Oktober 2015 in Ghent. Man verwendete „Fratres“ für Violine und Klavier (virtuos und gefühlvoll: Tomasz Liebig mit Marc Reibel), selbiges für Streichorchester und Schlagzeug, „Spiegel im Spiegel“ wiederum für Klavier und Violine sowie „Orient & Occident“ für Streichorchester von Pärt, makellos und feinfühlig-atmosphärisch musiziert vom Bruckner Orchester in kammermusikalischer Besetzung (ca. 25 Damen und Herren).

Der Inhalt lt. Beschreibung des Landestheaters: … ließ sich Sidi Larbi Cherkaoui von der Kraft der Jahreszeit Herbst sowie von dem ständigen Kampf des Körpers gegen die Schwerkraft inspirieren. Die meditative Musik von Arvo Pärt soll den Zyklus des Fallens und Wiederaufstehens unterstreichen. Assistenz in der hiesigen Produktion Acacia Schachte, Gabor Kapin und Jason Kittelberger. Die Bühne von Sander Loonen besteht in großen weißen Tuchverkleidungen an den drei Bühnenwänden, die in stetiger (Wind-)Bewegung gehalten werden, mitunter ins Tanzgeschehen einbezogen sind und Projektionsfläche für Farbstimmungen bilden; Lichtdesign Fabiana Piccioli.

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Foto: Philip Brunnader

 

Die Kostüme von Kimie Nakano sind schmucklose Trikots, die den Tänzerinnen und Tänzern alle Bewegungsfreiheit geben, und die sie auch eindrucksvoll und oft akrobatisch nutzen. Wobei für uns die, naja, noble Zurückhaltung der Pärt’schen Musik, die mitunter wie Bruckner in Zeitlupe wirkt, auch schließlich ihren Widerhall in der szenischen Gestaltung und Ausdruckskraft findet. Im Programmheft (Dramaturgie: Roma Janus) steht zu lesen, daß das Stück ursprünglich für Spitzentanz konzipiert war. Hier sehen wir jedenfalls aber (mittlerweile auch schon klassischen) Ausdruckstanz, der uns fallende und vom Wind verwirbelte Blätter nahebringt – wobei die Tänzer die antreibende Kraft sind, die Tänzerinnen auf den Spitzen ihre Erhebung demonstrieren sollen. Letzteres geht aber dann mit dem „moderneren“ Stil verloren…

Jedenfalls zufriedener Applaus, bevor es in die Pause geht.

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Pausenapplaus. Foto: Petra und Helmut Huber

Teil 2 der heutigen Premiere, „Orbo Novo”, war ursprünglich eine Produktion des Cedar Lake Contemporary Ballet (New York) mit Uraufführung 8. Juli 2009 am Jacob’s Pillow Festival, Becket, im westlichen Massachusetts. Unterstützung für den Transfer nach Linz kam von Introdans (Arnhem, NL).

Bei dieser „Neuen Welt“ handelt es sich um den neurologisch kommentierten Einblick in das durch diese Erkrankung verstörten Innenleben einer Schlaganfallpatientin, die selbst „vom Fach“ ist: das Ereignis betraf die Neuroanatomin Jill Bolte Taylor am 10. Dezember 1996 und führte zu einer über Jahre dauernden Beeinträchtigung. Zehn Jahre später schrieb sie über dieses Geschehen, ihre Empfindungen und philosophische Aspekte ein Buch mit dem Titel „My Stroke of Insight“ (der deutsche Titel als „Mit einem Schlag“ freilich nur halbgut übersetzt…). Dies war die Grundlage für diese Choreographie. „14 Jahre nach der Uraufführung erkundet Cherkaoui die Grenzen in Orbo Novo zum Teil neu, auch musikalisch in einer Zusammenarbeit mit dem polnischen Komponisten Szymon Brzóska“, schreibt das Landestheater.

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Foto: Philip Brunnader

 

Die Musik des Letzteren ist sehr eingängig – vielleicht könnte man sagen: J. S. Bach aus der Sicht von Michael Nyman, mit ein paar Spuren Hindemith. Auch dabei gibt es einiges für die hervorragenden Solisten in der weiterhin kammermusikalischen Orchesterbesetzung zu tun: Wiederum Tomasz Liebig, Violine, Benedict Mitterbauer, Viola, und Benedikt Ofner am Flügel.

In diesem Stück verläßt sich der Autor nicht alleine auf den Tanz (choreografische Assistenz Alexandra Damiani und James O’Hara), sondern läßt, zu Beginn und gegen Ende, eine Menge Text aus dem zugrundeliegenden Buch zitieren, teils deutsch, teils im Original. Dazwischen aber wird höchst expressiv getanzt, um die Phasen der Erkrankung, die durch diese verursachte vorübergehende Dissoziation der beiden Großhirnhälften und der Erholung davon zu beschreiben – deutlich anschaulicher als im ersten Stück. Dazu trägt auch die Bühne von Alexander Dodge bei, die, abgesehen von schwarzen Wänden rundum, mit vier jeweils ca. 4 m hohen blutrot lackierten Gittergevierten arbeitet, die von den Bühnenpersonen vielfältig verformt und verschoben werden und offene wie sehr enge Räume schaffen können, auch erklettert oder durchkrochen werden. Zum Schluß verbleibt eine einzige Person, grell ausgeleuchtet im zuletzt errichteten Käfig – könnte die Erzählerrolle sein, die sich von all den von der Krankheit ausgelösten Verirrungen und Verzweigungen erholt und wieder zu sich selbst gefunden hat; Lichtdesign Jim French.

Die Kostüme (Isabelle Lhoas, Frédérick Denis) bleiben im Hier und Jetzt.

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Angelica Mattiazzi. Foto: Philip Brunnader

In vielfältigen Rollen beeindrucken von TANZ LINZ Andrea Aguado Campo, Elena Sofia Bisci, Matteo Cogliandro, Ilia Dergousoff, Mischa Alexander Hall, Yu-Teng Huang (u. a. eine Hirnhemisphäre), Katharina Illnar, Elisa Lodolini, Angelica Mattiazzi, Pavel Povrazník, Lorenzo Ruta, Arthur Samuel Sicilia, Nicole Stroh, Hinako Taira (z. B. die andere Hirnhemisphäre), Pedro Tayette (u. a. die kritische Phase des Schlaganfalles) und Fleur Wijsman sowie von der Tanzakademie OÖ Julia Bader, Atiana Barisic, Johanna Krenn, Nora Mair, Katharina Mikstetter und Natalie Schmid.

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Schlussapplaus. Foto: Petra und Helmut Huber

Schließlich große Begeisterung für Tänzerinnen und Tänzer, Dirigent und Orchester sowie das Produktionsteam.

Petra und Helmut Huber

 

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