Verpflichtendes Pilgerziel für Strauss-Liebhaber: „DIE FRAU OHNE SCHATTEN“ in Linz – 16.10. 2017
Katherine Lerner, Miina-Liisa Värelä, Brigitte Geller. Copyright: Norbert Artner
Des Lobes war schon viel zu hören und zu lesen. Aber ich will nicht versäumen, noch mehr hinzufügen.
Zu Beginn mit der Feststellung, dass ich nie eine bessere Inszenierung als diese von Hermann Schneider gesehen habe. Sie übersetzt das musikalische Mysterium, das Richard Strauss komponiert hat. nicht nur ins Optische, sondern unterstützt das Märchenhafte, Mysteriöse, Rätselhafte dieses Hofmannsthal-Librettos in einer Weise, die die Musik noch handgreiflicher macht und damit zum besseren Verständnis der Handlung und der sie tragenden Menschen beiträgt.
Die musikalische Wiedergabe durch den neuen Linzer GMD Markus Poschner mit dem fabelhaft spielenden Brucknerorchester tut ein Übriges, um das gesamte Geschehen berührend und aufregend, kurzweilig und an den Höhepunkten geradezu aufrüttelnd intensiv und dabei immer wunderschön klingen zu lassen – sowohl bei den gefühlstiefen melodiösen Passagen wie auch dort, wo wir an den Rand des Weltuntergangs gelangt zu sein glauben. Das tönende Wunder und die Bühnengestaltung von Falko Herold machen den hohen, breiten Raum zu einer magischen Welt. Unter Einsatz der Drehbühne gehen die beiden Welten, die reale des Färberhauses und die irreale rund um das Kaiserpaar und die Amme, wiederholt ineinander über, belebt durch Videos, deren Wirkung sich zuletzt ins Grauenhafte steigert, wenn riesige Spinnen sich kriechend vom Boden zur Decke erheben und gleichsam den Untergang der Menschenwelt androhen. Die fabelhafte Ausleuchtung des Bühnenraumes spielt da natürlich kräftig mit. Die irdischen Szenen, am stärksten wohl die mit den Kindern im Färberhaus und den drei Brüdern des Barak, werden in ihrer Diesseitigkeit als erlösend empfunden, ehe wieder das geheimnisvolle und doch seltsam transparente Dunkel die Bühne beherrscht.
Ich würde sagen: in diese Produktion kann man auch Kinder mitnehmen. Die werden das Stück vielleicht besser verstehen und faszinierender finden als viele Erwachsene, die es nach erstmaligem Besuch schlechterer Produktionen seither als unverständlich meiden. Und auch diejenigen Opernbesucher, die derart „laute“ Opern nicht mögen, dürfen ruhig in die Linzer Aufführung gehen. Unter Poschners Leitung war nie etwas zu laut. Wo fortissimo in der Partitur vorgesehen ist, war die Aussagekraft so stark, dass man gar nicht weiter dachte. Selbstverständlich konnten auch alle Sänger gut gehört und weitgehend textlich verstanden werden, unterstützt durch die gut leserlichen Texte vor jedem Sitz.
Es mochte die reine Stimmqualität nicht von allen Mitwirkenden Weltformat gehabt haben, aber was die Rollenerfassung betrifft, waren sie alle vortrefflich. Der Nobelbariton von Michael Wagner vermag als Barak mit großen Vorgängern zu konkurrieren. Die finnische Färberin Miina-Liisa Värelä vermochte die Zerrissenheit dieser Frau in ihrem Selbtbehauptungsstreben und der lang verborgenen echten Liebe zu ihrem Mann packend auszuspielen und souverän zu singen. Heiko Börner hat zwar keine richtige Heldentenorstimme, teilte sich, unterstützt vom Dirigenten, aber seine Mittel so klug ein, dass man dank guter Worttongestaltung nahezu alles verstand, was diesen von Versteinerung bedrohten Kaiser bewegt. Brigitte Geller war die anmutige Kaiserin mit hellem, kräftigem Sopran, die zu Beginn das Geweih einer Gazelle abnimmt, sich dann menschlich bewegt, bis nach dem glückliichen Ende für die beiden Ehepaare sich ein kleines Mädchen das Geweih aufsetzt und offenbar der Dinge harrt, die da kommen werden oder können…Man kommuniziert allseits mit jenen „Übermächten“, an denen die menschenhassende Amme – uns belehrend, dass solche Verallgemeinerungen nur Unheil bringen – schließlich zerbricht. Nicht als böse, hässliche Alte war Katharine Lerner kostümiert, sondern als ansehnliche, energische, große, schlanke Frau schritt sie über die Bühne und setzte mit festem Mezzosopran wichtige verbale Akzente. Für die Qualität des Linzer Musiktheater-Ensembles spricht, dass als Alternivbesetzung für Barak und Bote zwei Baritone zur Verfügung standen (diesmal Adam Kim als Bote, der bei der Premiere den Barak übernommen hatte) und dass drei Stars des Hauses die Brüder Baraks darstellten: Matthäus Schmidlechner, Martin Achrainer und Dominik Nekel. Ein großes Lob allen Mitwirkenden auf, vor und hinter der Bühne!
Es ist eine Produktion, die demonstriert, was das Besondere am Genre „OPER“ ist: Die Musik kann, unterstützt durch entsprechende Bühnenmagie, Sachverhalte vermitteln, die an die tiefsten Geheimnisse unserer Existenz rühren.
Sieglinde Pfabigan
PS für Anreisende aus Richtung Wien: Nachdem der Beginn der Aufführung auf 18,30 Uhr vorverlegt wurde und sie um 22,50 endet, kann der letzte Zug (ab 23,14) noch mühelos erreicht werden.