Linz: „DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“ – Premiere im Musiktheater des Landestheaters Linz, Großer Saal, 25. 01.
Romantische Oper in drei Aufzügen von Richard Wagner
Die Partitur mit „Züricher Spuren“. Foto: Reinhard Winkler für Landestheater
Die Quellen Wagners zu diesem Werk sind ja hinlänglich bekannt – eine ungute Schiffspassage von Riga nach England auf der Flucht vor Gläubigern, ein kurzer Absatz in Heinrich Heines Romanfragment „Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski“ und eine weit verbreitete Seefahrerlegende, basierend auf dem Verschwinden eines holländischen Kapitäns und/oder Schiffes am Kap der Guten Hoffnung (einer Gegend, in der noch dazu besonders oft „Phantomschiffe“ durch Luftspiegelung auffallen). In Linz wurde das Werk, das ja in Dresden 1843 ursprünglich kein Erfolg war, erst wohl in der von Wagner um 1860 überarbeiteten Fassung am 26. Oktober 1865 erstmals gegeben. Im 20. Jahrhundert gab es hier 9 Inszenierungen, zuletzt mit Premiere am 13. Dezember 1998.
Die Inszenierungsidee von Intendant Hermann Schneider, deren Grundzüge er im „Sonntagsfoyer“ der Musiktheaterfreunde am 12. Jänner dargelegt hatte, klang, neben der in Aussicht gestellten, sicherlich löblichen „pausenlosen Intensität“ schon etwas nach Stirnrunzeln – dieses „verdammt misogyne Stück“ wolle er beträchtlich neu auslegen, und der Opfertod Sentas ginge schon gar nicht. Interessant war aber jedenfalls der Ansatz (in der bespielten Ouverture), Senta hätte als Kind einen angespülten Sterbenden gesehen, und sei von dessen Gesicht so fasziniert gewesen, daß sie dem genauso aussehenden Holländer zwangsläufig verfallen würde… Was schlußendlich herauskam, war aber eine stringente Erzählung, bei der sogar der – freilich nur handlungsseits – geänderte Schluß, den Senta überlebt, aber eine Erlösung des Holländers doch denkbar erscheint, kein Fremdkörper ist. Sentas Obsession löst sich damit aber auch auf, und somit ist sie trotz ihres lebenslang gültigen Treueschwurs für den Holländer (und zu lasten Eriks) selbst die Erlöste.
Die Bühne, wie zuletzt öfter in Linz von Dieter Richter, nahm Maß im späteren 20. Jahrhundert, wobei auch ein Gedanke an nautische Katastrophen wie den „Estonia“-Untergang eine Rolle spielte; übrigens soll die letzte Sichtung des Fliegenden Holländers im Oktober 1959 geschehen sein, also ist auch die Zeitwahl vertretbar. Mit höchst aufwendiger Bühnentechnik werden eindrucksvoll düstere bis bedrohliche Meeresstimmungen kreiert (Licht: Florian Sigl, Video: Peter Guttenbrunner). Das Schiff des Holländers mag aus Stahl geschweißt sein, ist aber jedenfalls, gebührend schäbig, rot und schwarz lackiert und heißt, nach einer Ursprungsfigur der Sage, Bernaard Fokke. Die Hafenkneipe, in der der zweite und teils dritte Akt spielt, paßt freilich nicht immer ganz, denn Spinnräder haben keinen Platz drin… Die Kostüme von Meentje Nielsen entsprechen sehr gut der jüngeren Vergangenheit und dem seefahrerischen Umfeld.
Ja, und noch etwas hatten wir aus dem Sonntagsfoyer mitgenommen: eine wunderbar differenzierte und feinst emotionell modellierte Senta-Arie, dargeboten von Erica Eloff. Leider aber war diese wunderbare und in allen möglichen Rollenfächern stilsichere Sängerin heute krankheitsbedingt verhindert. Der erste Ersatz, aus Kopenhagen eingeflogen, erwies sich als ebenso angeschlagen, also mußte SEHR kurzfristig noch eine passende Sopranistin aufgetrieben werden. Diese fand sich in Amsterdam in Person der Deutschen Dorothea Herbert, die sehr kurzfristig von Hermann Schneider in die Inszenierung eingewiesen wurde, und für die noch am Premierentag um 16 Uhr eine Orchesterprobe stattfand. In „operabase“ steht übrigens geschrieben, daß sie die selbe Rolle tags darauf um 18 Uhr in Wiesbaden singen soll. Verständlich, daß sie bei der Premierenfeier nicht mehr zugegen war…
Dramaturgische Betreuung incl. eines höchst interessanten Programmheftes: Martin Schönbauer.
Aris Argiris (Holländer): Foto: Reinhard Winkler für Landestheater
Auch diese Produktion wäre fast vollständig aus Ensemblemitgliedern zu besetzen gewesen, wäre nicht Frau Eloff ausgefallen. Geplant aber jedenfalls war die Gastbesetzung der Titelrolle mit dem gebürtigen Griechen Aris Argiris, der schon viele Jahre in Deutschland als Sänger und auch als Lehrer zu Hause ist. Stimmlich und darstellerisch wirklich prachtvoll, mit ausgeprägt männlichem, schwarz unterlegtem timbre und außerordentlich guter Textverständlichkeit, düsterer Ausstrahlung und das noch garniert mit unglaublichen Lautstärkereserven: trotz minimaler Unschärfen bei Verzierungen eine Traumbesetzung!
Aris Argiris (Holländer( und Michael Wagner (Daland). Foto: Reinhard Winkler für Landestheater
„Unser“ hochgeschätzter Michael Wagner war ihm als Daland der Handelspartner auf Augenhöhe, als Schauspieler wie als Sänger, dessen Tiefstlage noch dazu immer überzeugender wird („zur Ruhe denn! Mir ist nicht bang!“).
Auch wenn man, noch dazu so kurzfristige, Einspringerinnen nicht beurteilen sollte: die Senta von Dorothea Herbert kann auch der strengsten Kritik standhalten, in ihrer sängerischen Gestaltung mit prachtvollem, wirkmächtigem und immer schön timbriertem Sopran und sorgfältigster Modellierung ihrer Partie bis hin zu den großen, perfekt angesetzten dramatischen Ausbrüchen; und ihre Schauspielleistung und Einordnung in das Konzept hat sie ebenfalls in kürzester Zeit perfekt geschafft! Chapeau, gaaanz tief gezogen!!
Ebenso unglaublich gut der Erik von Matjaž Stopinšek, der seinem Eléazar aus der Vorsaison hier noch ein hochdramatisches Glanzstück nachgeschoben hat. Leider hatte er das Pech, daß seine Stimme im dritten Akt durch die „Notproben“ kurz zuvor schon etwas ermüdet war. Aber hier war eben durch den komplizierten Ersatz der Senta eine Ausnahmesituation gegeben.
Mary, hier die Kellnerin im Hafenwirtshaus: eine wie immer wunderbare Manuela Leonhartsberger. Der Steuermann ist für den heuer als Tamino und immer wieder auch als Operettenbuffo eingesetzten Jonathan Hartzendorf natürlich ein ganz anderes Fach – aber auch mit dieser nötigen Lautstärke und bisweilen geforderten Dramatik kommt er großartig zurecht!
Ein Kind, also die kleine Senta in der Ouverture und nochmals als alter ego der erwachsenen Senta im Finale als stumme Rolle Lisa-Marie Schneider, deren Nachname nicht zufällig der selbe wie der des Regisseurs ist, emotionell exakt und diszipliniert.
Markus Poschner hat die musikalische Leitung inne und uns, natürlich mit dem fabelhaft aufspielenden Bruckner Orchester, einen begeisternden Opernabend beschert, mit ebensoviel Präzision wie Emotion, Dynamik und Spannung – beispielhafter Wagner!
Elena Pierini und David Alexander Barnard haben die so wichtigen Partien von Landestheater-Chor und Extrachor einstudiert und insbesondere die „Chorschlacht“ im dritten Akt zum Erlebnis werden lassen, und zwar nicht durch Disco-Lautstärke wie in der Volksoper 2019, sondern durch differenzierte, farbige und vielschichtige Interpretation.
Begeisterung, standing ovation, ungeteilt für Musik und das Produktionsteam.
Schlussapplaus. Foto: Petra und Helmut Huber
Premierenfeier. Foto: Petra & Helmut Huber
Petra und Helmut Huber