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LINZ/ Musiktheater des Landestheaters/Black Box LACHESIS – Kammeroper in einem Akt von Hermann Schneider, Musik von Marijn Simons. Uraufführung

27.09.2021 | Oper in Österreich

Linz: „LACHESIS“ – Uraufführung am Musiktheater des Landestheaters, Black Box, 26. 09.2021

Kammeroper in einem Akt von Hermann Schneider, Musik von Marijn Simons

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Michael Wagner, Christa Ratzenböck. Foto: Herwig Prammer

Was schreibt die Dramaturgie des Landestheaters über dieses Werk unses Theaterintendanten und des niederländischen Geigers, Dirigenten und Komponisten, der 2014 seine erste Oper („Emilia Galotti“, in Koblenz) zur Uraufführung bringen konnte?

Lachesis ist der Name einer griechischen Göttin, die für die Zuteilung des Schicksals verantwortlich ist. In ihrem gleichnamigen Musiktheater diskutieren Librettist Hermann Schneider und Komponist Marijn Simons den Freiheitsbegriff in einem post-demokratischen Staatswesen. Die beiden Künstler entwerfen dafür den dystopischen Kosmos einer in die Zukunft projizierten antiken Welt. Wie bei Platon prognostiziert, ist mittlerweile aus der Demokratie eine Tyrannis geworden. Als Gegenreaktion auf die vernunftorientierte bürgerliche Demokratie hat das Irrationale Konjunktur. In Kombination mit gesteigerter Wissenschaftsgläubigkeit und der neuen Orientierungskategorie „Meinung“ wurde eine Gemengelage geschaffen, die einen neuen Mythos geboren hat: den Zukunftsmenschen, der sich aus der genetischen Reproduktion von Biomasse und Bewusstseinsprojektionen konstruiert.

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Bei der Werkeinführung: Regisseur Lukas Hemleb und Komponist Marijn Simins. Foto: P.&H.Huber

Das klingt freilich etwas kryptisch. Konkreter wird die Inhaltsangabe im wie üblich sehr informativ gestalteten Programmheftchen (Dramaturgie: Katharina John). Es sei aber gleich gesagt, daß Darstellung und Regie (Lukas Hemleb) durchaus geeignet sind, der schließlich bislang unbekannten und nicht einfach strukturierten Handlung gut folgen zu können. Ohne spoiler kann man schreiben: es geht um diverse, in einer zukünftigen diktatorischen Welt verübte Verbrechen um künstliches Leben, das sich, einmal hergestellt, extrem rasch de novo oder auch – vielleicht? – aus getöteten Menschen entwickeln kann. Das ganze in eine Zeitschleife eingebunden…

Die Musik des Geigers, Dirigenten und Komponisten Marijn Simons arbeitet mit oft großen Freiheiten für die rund 20 Musikerinnen und Musiker des Bruckner Orchesters Linz, mitunter ist nur ein Zeitrahmen für pro Instrument individuelle freie Improvisation vorgegeben, mitunter werden Taktstriche ignoriert, mitunter aber geht es auch recht schön strukturiert zur Sache: so klingt etwa das zweite Viertel der ca. 70-minütigen pausenlosen Vorstellung, als würde das Sun Ra Arkestra eine Komposition von Kurt Weill aufführen. Auch greift Simons auf die ausgefeilten Kompositionen der alten Meister von Hollywood als Ideengeber zurück, die seinerzeit die Welt der Horror- und SciFi-Filme so wunderbar gruselig musikalisch getragen haben. Einige (gut begründete) Male werden auch Orchester- wie Sängerstimmen elektronisch manipuliert. Der Name des (Ur)Aufführungsortes sei auch musikalisches Programm, haben bei der Konzeption des Werkes Librettist und Komponist vereinbart.

Ingmar Beck leitet präzise die Umsetzung dieses Materials, wobei das Orchester hinter einer halbverspiegelten Projektionsfläche hinter der Bühne placiert ist, manchmal sichtbar, manchmal verdeckt.

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Christa Ratzenböck, Elias Morales Perez, Michael Wagner Wagner, Gotho Griesmeier. Foto: Herwig Prammer

Hermann Schneiders Text ist eine komplette Neuschöpfung, basiert also nicht auf sowas wie einer (Roman)Vorlage. Manches wirkt etwas verschwurbelt, wenn es um mehr oder weniger gängige wissenschaftliche Begriffe geht – aber was wissen wir schon, wie diese Begriffe in 300, 400 Jahren verwendet werden?! Die unmittelbar handlungsbezogenen Strukturen sind jedenfalls klar gefaßt.

Die Bühne von Margherita Palli (Mitarbeit Marco Cristini) imponiert, bedingt durch den studioartigen Aufführungsort, technisch eher karg, auch wenn mit einigen einfachen Hilfsmitteln durchaus Effektvolles bewerkstelligt wird. Besonders auffällig und auch beunruhigend ist das Gerät, mit dem „On“ (buchstäblich) ins Spiel gebracht wird: eine Kreuzung aus Brutkasten, CNC-Drehbankhaube, Flugzeugkanzel und eiserner Lunge. Sasha Nikolaeva hat Kostüme geschaffen, die konventionelle Science-fiction- oder Fanatasybilder bedienen. So scheint die Rüstung des Kriegers den bekannten Transformer-Filmen bzw. -Computerspielen entsprungen. Demgegenüber steht die zunächst mitleidserregende Zerbrechlichkeit des trikotbekleideten künstlichen Wesens, dessen Gestaltung wohl auch etwas mit dem Roswell-Alien zu tun hat.

Eine wichtige Rolle spielt die Videogestaltung (Luca Scarzella): Projektionen dienen als Bühnenerweiterung, Rekapitulation früherer Vorfälle, zeigen Parallelhandlungen und weisen dazu – auch dies im Rückgriff auf eine Kinowelt, wie sie etwa in „Rocky Horror“ nostalgisch beschworen wird – eine 3D-Sequenz auf, die uns mit den altbekannten rot/blaugrün-Kartonbrillen serviert wird.

Haimon, ein Krieger, der sieben Jahre in einem unterseeischen Weltkrieg ver-, und von dort eine Sucht nach „Meeressilber“ (= Kokain?) mitgebracht hat, sowie auch erotischen Appetit: Michael Wagner, mit klangschönem und druckvollem Baßbariton. Seine beiden menschlichen/weiblichen Gegenüber sind die Kybernetikerin Potone (hochemotionell: Gotho Griesmeier) und die Biologin Chloris (Christa Ratzenböck mit kultivierter Stimme).

Der Homunculus On: Elías Morales Pérez, von beunruhigender, extrem expressiver Beweglichkeit und Drahtigkeit an der Grenze zur Kachexie. Matthäus Schmidlechner verkörpert mit seinem kultivierten, expressiven Charaktertenor, der in diesem Werk auch bis an die Grenzen zum Counter gefordert (aber nicht überfordert) ist, den Untersuchungsbeamten Phillip – aber vielleicht nicht nur diesen??

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Michael Wagner, Elias Morales Perez, Christa Ratzenböck. Foto: Herwig Prammer

Großer Applaus der ca. 200 Personen, die in der Black Box Platz finden, für Bühnenpersonal, Produktionsteam und die Autoren.

Petra und Helmut Huber

 

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