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LINZ/ Musiktheater des Kandestheaters: FIDELIO / TWICE THROUGH THE HEART“ – Premiere

20.09.2020 | Oper in Österreich


Erica Eloff. ©Herwig Prammer und Robert Josipovic für das LTL

Linz: „FIDELIO / TWICE THROUGH THE HEART“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 19. 09.

Oper in zwei Akten von Josef Sonnleithner, Stephan von Breuning und Georg Friedrich Treitschke, Musik von Ludwig van Beethoven

sowie

Dramatische Szene von Jackie Kay, Musik von Mark-Anthony Turnage (in Englisch mit deutschen Untertiteln)

 

Das Werk des britischen Komponisten, geboren 1960, wird in der Literatur mit den verschiedensten Gattungsbezeichnungen belegt – neben dieser hier in Linz verwendeten liest man auch Monodrama, Kammeroper und Liederzyklus. Es geht darin, sozusagen als Spiegelbild der Fidelio-Handlung, um eine Frau, die ihren gewalttätigen Ehegatten umgebracht hat. Das Libretto basiert auf einem konkreten Fall, der ursprünglich in Gedichtform Bestandteil einer BBC-Sendung war. Die Uraufführung als Kurzoper von 30 Minuten Dauer fand im Zuge des Aldeburgh Festival am 13. Juni 1997 statt. Die Besetzung verlangt nach einer „unspektakulären“ Stimme (um die mögliche Alltäglichkeit des Geschehens zu betonen) und einem Orchester mit 16 Personen.

Für den Inszenator Intendant Hermann Schneider liegt die Tangente zwischen dieser und der Beethoven’schen Oper in der Frage: Wie weit gehen wir für diejenigen, die wir lieben? Und so kam dieser Beitrag zum 250. Geburtstag des Rheinländers in Wien zustande. Alleine schon zeitlich aber liegt der Löwenanteil des Abends beim Beethoven’schen Befreiungsopus. Und dieses hat viele Tücken in Text, Dramaturgie, Klischeebildern und Logik, die heute gerne mit, hm, originellen Regieeinfällen umschifft werden.

Den Corona-Umständen geschuldet entfallen derzeit Einführungsveranstaltungen (und Premierenfeiern). Deshalb hielt Dramaturgin Anna Maria Jurisch vor dem Vorhang einen kurzen Vortrag zu dieser Inszenierung, den beiden Werken und deren Verknüpfung.

Wir sind in einer düsteren Gegend, wohl ein halbverfallener Bunker aus dem 2. Weltkrieg, an den jedenfalls das handlungsgegenständliche Gefängnis angeschlossen ist (Bühne, Kostüme und Videodesign: Falko Herold). Wasser bedeckt einen Großteil des Bühnenbodens, was zwar nette Reflexe an den Wänden hervorruft, ansonsten aber außer handlungsseits nicht weiter motivierten Pritschlereien nichts bringt. Rocco und Marzelline scheinen hier als hightech-Sandler zu hausen – jedenfalls ist im Bühnenhintergrund ein Zelt aus Tarnstoff aufgespannt, drinnen blinken ein oder zwei elektronische Geräte. Andererseits bereitet man das Essen auf dem Benzinofen zu. An der rechten Bühnenwand ist eine Eisentreppe installiert, die zu einer mit verdrecktem Glas verkleideten Kommandokanzel führt.

Über diese Treppe tritt eine offensichtlich gefolterte, langhaarige Frau auf, an Rocco gefesselt – es handelt sich um die Protagonistin der eingefügten Kurzoper, die dann einige Zeit, an einen Rollstuhl gekettet, im Bühnenhintergrund verbringt, bevor sie das erste Kapitel des achtteiligen Textes von Jackie Kay rezitiert. Auch Don Pizarro und der Minister treten später über diese eiserne Stiege auf. Also, schreiten herab – letzterer begibt sich dabei nicht auf die Ebene des Volkes, sondern bleibt auf halber Höhe stehen.  


Katherine Lerner, Erica Eloff. ©Herwig Prammer und Robert Josipovic für das LTL

Twice through the Heart findet, unmittelbar nach der Pause, in einer als Gefängniszelle eingerichteten Betonschachtel statt, mit der von Joaquin an ein Seil angehängten, nun (von Fidelio) kurzgeschorenen Gefangenen drinnen; das Seil dient neben der Freiheitsbeschränkung der Sicherheit der Darstellerin, da die offene Box nun ca. 5 m hoch gezogen wird. Gleichzeitig ist die Bühne vorne mit einem Gazevorhang abgeschlossen, der auch als Projektionsfläche dient; man sieht zeitsynchron die Gefangene in der Box (von einer „Überwachungskamera“ in selbiger aufgenommen), mitunter wird auch deren ermordeter Gatte eingeblendet. Das für diesen Teil zuständige kleiner Orchester hat weit hinten im Bühnenraum Platz genommen – dort, wo sich vor der Pause die Gefängnismauer für den Gefangenenchor geöffnet hatte. Der Dirigent wandert für diesen Abschnitt ebenfalls zur Hinterbühne. Soooo wirklich verwoben ist das Stück mit Fidelio doch nicht, und der geplante Spiegel wirkt reichlich blind.

Nach dem Finale des Einschubes wird eine Kiste hereingerollt, aus der der halbtote Florestan fällt. Seine gescheiterte Ermordung wird reichlich statisch dargestellt, wie auch im ersten Akt wenig Bewegung herrschte. Wobei es durchaus an passenden Stellen auch Umarmungen zwischen den Protagonistinnen und Protagonisten gibt, also Anti-Corona-Maßnahmen nicht dafür verantwortlich sein dürften. Als Don Fernando erscheint, wird er (allerdings zu ebener, bewässerter Erd‘, nicht auf der Treppe rechts) von einer größeren Entourage in nobler Partykleidung, mit Sektglas und finger food, begleitet, die naturgemäß ebenso wasserfestes Schuhwerk an hat wie die von vorneherein in eine Art Gummimantel und Augenmaske gehüllten Wachmannschaft. Mittenin dieser jetzt recht gut gefüllten Szenerie wird der verhaftete Pizarro gefoltert, ohne viel Aufmerksamkeit der Nebenstehenden zu erregen.

Insgesamt zieht sich das Finale merklich, mehr noch als andere Abschnitte des Abends. Da hilft auch das Streichen der gesprochenen Dialoge nicht (diese hätten vielmehr Abläufe transparenter und logischer gemacht), und die seit Mahler übliche 3. Leonorenouverture fällt dem Zeitbedarf der Zweitoper zum Opfer. Schade, denn das BrucknerOrchester unter Markus Poschner war bestens disponiert, und der Dirigent baute großartige Spannungsbögen auf, von vorzüglicher Gesamtkontrolle und perfektem Zusammenspiel mit der Bühne einmal abgesehen: Leonore III wäre in dieser Konstellation ein aufregendes Stück gewesen, dessen wilde, epochesprengende Synkopen etliches der szenischen Zähheit vergessen gemacht hätten! Mit der Musik von Turnage konnten wir uns hingegen nicht wirklich anfreunden, was allerdings nicht an deren transparenten und präzisen Wiedergabe lag, eher schon an einer gewissen Beliebigkeit; insbesondere konnten wir keinen klaren, emotionsbasierten Bezug selbiger zum Text herstellen.

Generell ist die musikalische Seite die deutlich bessere dieser Produktion. Natürlich ist der Gefangenenchor Eckpfeiler eines Fidelio, und der Landestheater-Chor mit Extrachor (Einstudierung Elena Pierini bzw. Martin Zeller) macht seine Sache samt den Solisten (Jin-Hun Lee, Yongcheol Kim) sehr gut; anzumerken ist auch, daß der Chor textdeutlicher singt als viele der Hauptfiguren, zumal wenn diese im mittleren bis hinteren Bühnenbereich agieren müssen – spielt da unvorteilhafte Bühnenarchitektur mit?

Jaquino ist Mathias Frey mit angenehmem, neuerdings deutlich druckvollerem Tenor. Die Besetzung der Marzelline bringt ein Wiederhören mit der schon früher sehr überzeugenden Fenja Lukas, die nichts an ihren darstellerischen und sanglichen Fähigkeiten verloren hat, sondern eine durchwegs exzellente Leistung liefert. Ihr Vater Rocco ist bei Dominik Nekel stimmlich gut aufgehoben; die Gold-Arie macht Freude, und das „Mir ist so wunderbar“-Quartett dieser drei samt Leonore hat die nötigen „himmlischen“ Klänge.

Don Pizarro wird von Adam Kim stimmlich und darstellerisch nicht recht bedrohlich gestaltet, aber noch deutlich besser als der Minister von Martin Achrainer, für den diese Rolle deutlich zu tief liegt, und der insgesamt einen fahlen Eindruck macht – man traut diesem Don Fernando nicht die Lösung der Probleme zu, und der Augenblick der Rache des Pizarro wird wohl auch nicht so schlimm sein…

Da ist der Florestan des Gastes Marco Jentzsch (bislang in Österreich als Hoffmann an der VOpW und in Klagenfurt als Tannhäuser in Erscheinung getreten) aus anderem Holz geschnitzt: druckvoll, mit einer Portion Schmelz, mühelos wirkende Höhe, vielleicht der Jubel beim Phantasma der Leonore etwas überschießend, aber absolut plausibel – eine erstklassig rollendeckende Besetzung! Ähnliches gilt für die Leonore von Erica Eloff, ebenfalls a. G.: bei allem dramatischen Stimmvermögen und in allen Lagen ohne Schärfe, aber mit Druck und Beweglichkeit – auch sie eine vorzügliche Besetzung, sowohl seitens der Stimme als auch seitens des Schauspiels.


Katherine Lerner, Bühnenorchester, Klaus Müller-Beck. ©Herwig Prammer und Robert Josipovic für das LTL

Die „unspektakuläre“ Stimme der britischen Kurzoper kam von  Mezzo Katherine Lerner. Bei dieser mit harmonischen Schwierigkeiten gespickten Rolle, zu der Frau Lerner nicht nur eine makellose, saaldominierende Stimme, sondern auch intensiven körperlichen Einsatz mitbringt, ist dieses Adjektiv freilich nur stark relativiert einzusetzen: Frau Lerner liefert nämlich eine tolle Leistung! Die stumme, aber durchaus eindrückliche (Video)Rolle des „Mannes“: Klaus Müller-Beck.


Erica Eloff, Marco Jetzsch. ©Herwig Prammer und Robert Josipovic für das LTL

Insgesamt nicht sehr animierter Applaus – daran war nicht die coronabedingt reduzierte Saalbelegung schuld, haben wir nämlich schon anders gehört (bei „Piaf“). Deutlich lauter, mitunter bis zum Jubel, wurde der Beifall aber bei den Damen und Herren Eloff, Jentzsch, Lerner, Lukas und Nekel, und auch Chor(leitung) und Markus Poschner, der sich unvermeidlicherweise für die Verbeugungstour Gummistiefel zum Frack angezogen hatte, erhielten ausdrückliche Zustimmung. Es gab aber auch etliche Buhrufe (mit aufgesetzter Maske, immerhin…) für das Produktionsteam.

Petra und Helmut Huber

 

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