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LINZ / Musiktheater: DER FREISCHÜTZ

Samiel oder Das Böse ist immer und überall

13.10.2023 | Oper in Österreich
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Das Ensemble beim „Freischuss“. Alle Fotos: Landestheater Linz / Reinhard Winkler

LINZ / Musiktheater: DER FREISCHÜTZ

12. Oktober 2023 (Premiere 23. September 2023)

Von Manfred A. Schmid

2003 klagte der Regisseur Kurt Palm das Linzer Landestheater, weil man bei zwei Aufführungen ohne Rücksprache mit ihm seine Inszenierung der Weber-Oper von ursprünglich zwei Stunden und zehn Minuten Dauer auf eine Stunde und 15 Minuten gekürzt hatte. Das ist bei der Inszenierung von Hermann Schneider nicht zu befürchten. Ganz im Gegenteil: Der Chef des Hauses hat nicht gekürzt, sondern die übliche Dauer einer Aufführung von Der Freischütz um gut eine halbe Stunde verlängert, indem er die Figur des Samiel zu einem omnipräsenten, ziemlich geschwätzigen Conferencier aufgeblasen hat, der mit seinem Opfer Kaspar das Geschehen rund um den dubiosen Freischuss retrospektiv nochmals aufrollt und sich dabei als maßgeblicher Fädenzieher in Szene setzt. Zudem werden vom Regisseur auch noch Texte von Goethe, Charles Baudelaire und aus eigener Werkstatt eingearbeitet sowie Luthers Choral „Ein feste Burg ist unser Herr“, der vom Schauspieler Sven Mattke (im Satz von J.S. Bach am Cembalo begleitet) in brechtscher Manier gesungen wird. Doch damit nicht genug. Schneider hat offenbar wenig Vertrauen, dass für die gruselige Spannung, die er erzeigen will, die Musik Carl Maria von Webers, ausreicht, weshalb er auch noch Krzysztof Pendereckis Polymorphia für Streichinstumente heranzieht, zu der Baudelaires „Die Litanei des Satans“ rezitiert wird. Da Pendereckis unruhig vibrierende Musik in Horrorfilmen wie Der Exorzist und Shining bereits erfolgreich zur Erzeugung von Gänsehaut eingesetzt wurde, rechnet er wohl damit, damit nichts falsch machen zu können. Doch weit gefehlt. Hermann Schneider hat das Gegenteil eines Horror-Thrillers erreicht: gepflegte Langeweile. Die Handlung zerbröselt durch diese vielen Einschübe, zieht sich in die Länge und wird lähmend statt packend. Die Erkenntnis: Fast drei Stunden sind weit mehr als man ertragen kann, und zu viele Köche verderben den Brei. Klagen aus urheberischer Sicht sind nicht zu erwarten. Goethe, Luther, Weber und Baudelaire sind schon mehr als 70 Jahre tot (die Schallmauer des Urheberrechts), und Penderecki freut sich über die Tantiemen. Klagen kann nur das Publikum und das hat es bei der Premiere mit Buhrufen, wie berichtet wurde, auch getan. Gut, dass der Schauspieler Sven Mattke als dämonischer Samiel genügend Bühnenpräsenz mitbringt und so diese Inszenierung doch noch halbwegs erträglich machen kann.

Wieder einmal die traurige Erkenntnis: Die Inszenierung, naja, ähm. Aber immerhin ist die Musik gut. Das Bruckner Orchester Linz und Ingmar Beck als musikalischer Leiter der Aufführung lassen keine Zweifel über die Güte der Musik von Carl Maria von Weber aufkommen, und zeigen, wieso dieser Komponist auch für Richard Wagners Opernschaffen zu einem wichtigen Impulsgeber werden sollte. Die Herausforderung, die Pendereckis Stück für 48 Streicher darstellt, meistern sie grandios, zeigen aber in der Wolfsschlucht-Szene, dass die Partitur Webers auch schon genug Anlass für effektvolle Spannungsmomente bereithält. Der Chor der Jäger singt tadellos und tritt nicht ohne eine humoristische, augenzwinkernde Note auf, wenn etwa ein Sangesbruder zu spät auf der Bühne erscheint und sich verlegen einreiht. Auch die Brautjungfern überzeugen mit homogenem, freudvollem Gesang.

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Sven Mattke als Samiel, Engel mit schwarzen Flügeln

Erica Eloff als Agathe singt ihre zarte, pianissimo vorgetragenen Arie „Leise, leise, fromme Weise“ und die angstvoll bebende Kavatine „Und ob die Wolke sich verhülle“ mit feinem Schmelz und inniger Gestaltung. Ein Inbegriff reiner Unschuld und das starke, unerschütterliche Zentrum des Opernabends. Agathes Freundin Ännchen (Fenja Lukas) hingegen ist dem bösen Treiben Samiels bereits erlegen und irrt wie ein Zombie umher, irre lachend und sich blutig kratzend. Eine imponierende schauspielerische Leistung, die aber auch gesanglich mehr als bemerkenswert ist. Wie sie das unbeschwert-fröhliche „Kommt ein schlanker Bursch gegangen“ beinahe ins Gegenteil verkehrt und verhöhnt, verfehlt seine Wirkung ebenso wenig wie ihre balladeske Romanze von der „sel‘gen Base“, in der die dunkle Grundierung ebenfalls vorherrschend ist.

Michael Wagner ist ein von Samiel vor sich hergetriebener, gehetzter Jägerbursche Kaspar. Abgründig und geradezu verzweifelt klingt sein Bekentnis im Lied „Hier im ird’schen Jammertal“, das den Vergleich mit Mephistos Walzerlied in Gounods Faust nicht scheuen muss, vor allem was die höllisch pfeifenden Holzbläser betrifft. Eigentlich hätte es der ausdrucksstarke Bass gar nicht nötig, aber er forciert etwas zu viel, um seine prekäre Situation – die ihm von Samiel gesetzte Frist droht mit fatalem Ausgang zu Ende zu gehen – zu schildern.

Schade, dass Timothy Richards Stimme für die Rolle des Max nicht groß genug ist. Es muss ja nicht unbedingt ein Heldentenor sein, ein guter Sänger für den Tamino tät es auch, aber was Richards zu bieten hat, auch darstellerisch, ist einfach zu wenig. Sich immer wieder ratlos und halb verzweifelt am Kopf zu kratzen oder durch das Haar zu streifen, überzeugt nicht, und in den tiefen Tönen ist er fast unhörbar.

Gut Leistungen erbringen der Bariton Adam Kim als geachteter böhmischer Fürst Ottokar und der Bass Markus Raab als jovialer, sorgenvoller fürstlicher Erbförster Cuno. Als Eremit, der am Schluss für ein mehr als fragwürdiges Happyend sorgt, weil auch er längst von Samiel „umgedreht“ worden ist und von ihm als Marionette für seine üblen Machenschaften eingesetzt wird, lässt Changhyun Yun mit seinem sonoren, tiefschwarzen Bass aufhorchen.

Das Publikum wirkt beim freundlich-höflichem Schlussapplaus, der beim Verneigen einiger Sängerinnen und Sänger deutlich aufrauscht, schon etwas mitgenommen und verwirrt. Kein Wunder: Das Böse ist immer und überall und Samiel der heimliche Sieger. Mit dieser Gewissheit macht man sich nicht gerne auf den Heimweg.

 

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