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LINZ/ Musiktheater/Black-Box: DIE POLNISCHE HOCHZEIT von Joseph Beer. Premiere

17.03.2019 | Operette/Musical


Dominik Nekel, Philipp Krajnc, Michael Wagner, Timothy Connor, Seunggyeong Lee. Foto: Herwig Prammer/ Landestheater

Linz: „DIE POLNISCHE HOCHZEIT“ – Premiere des Oberösterreichischen Opernstudios am Musiktheater des Landestheaters, Black Box, 16. 03.2019

Operette in drei Akten und einem Vorspiel, Libretto von Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda, Musik von Joseph Beer

Beer, Sproß einer Lemberger Bankiersfamilie (geboren 1908), sollte Ius studieren. Er fühlte sich aber zur Musik hingezogen, hatte schon am Konservatorium seiner Heimatstadt Komposition gehört und konnte seine Studien schließlich in Wien (bei Joseph Marx) 1930 abschließen. Der junge Dirigent geriet mit seinen Kompositionsskizzen in den Gesichtskreis des Operetten-Zentralgestirns Dr. Fritz Löhner, der ihn als Agent unter seine Fittiche nahm.

Schon bald entstand ein erfolgreiches Werk, „Der Prinz von Schiras“ (UA 1934, Stadttheater Zürich). Drei Jahre später folgte die „Polnische Hochzeit“, ebenfalls in Zürich zum ersten Mal zu hören, und dann weltweit in 40 Theatern und in acht Sprachen. Beer war mit 29 Jahren am Weg zum Weltstar, jedoch jüdischer Herkunft, also blieben ihm Bühnen des Deutschen Reiches verschlossen; wenig später mußte er – als “Ostmärker“ – sogar um sein Leben fürchten. Vorerst konnte er sich nach Paris retten, aber, wie wir wissen, blieb das auch kein sicherer Hafen. Er schaffte es 1940 nach Nizza und konnte dort, versteckt im „nichtbesetzten Frankreich“, dem Zugriff der mörderischen Antisemiten entgehen; seine Eltern allerdings, auch sein Förderer und Librettist Löhner-Beda, überlebten das KZ nicht.
Nach dem Krieg konnte oder wollte Beer – wegen des Verlustes seines künstlerischen Umfeldes und zu vieler übriggebliebener Nazis im Theaterbetrieb – nicht wieder an seine frühen Erfolge anknüpfen. Die im Versteck komponierte „komische Oper von außerordentlichem Rang“ (Kurt Pahlen) über (Alessandro) „Stradella in Venedig“ wurde 1949 in Zürich uraufgeführt; weitere Werke entstanden bis zu seinem Tode 1987.

Das Stück des heutigen Abends wurde ab 1982 wieder auf skandinavischen Bühnen produziert, 2012 erstmals auch in Österreich (Wien); erstmals? Das Archiv unseres Landestheaters sagt nein, denn es sind Aufführungen des Werkes im Stammhaus an der Promenade für 6., 7. und 13. November 1937 verzeichnet! Über die Grazer Produktion der aktuellen Saison war im print- wie online-Merker ja ausführlich zu lesen.

Die Handlung spielt im zwischen Preußen, Österreich-Ungarn und dem russischen Zarenreich geteilten Polen 1831 – 1914, mit einem verschuldeten Landgut und einem schon sechsmal geschiedenen, vermögenden Grafen, der mittels Heirat der Schwester des Gutsherrn nämliches sanieren könnte. Betreffende aber liebt einen anderen, einen heimlich aus dem Exil zurückgekehrten Freiheitskämpfer, seinerseits Neffe des reichen Grafen. Die titelgebende „polnische Hochzeit“ ist ein Schmäh, mit dem der Schurke ruiniert wird. Natürlich gibt es ein happy end, was aber vielleicht nicht für die Leber zweier Figuren gilt…


Svenja Isabella Kallweit, Rafael Helbig-Kostka,  Seunggyeong Lee, Etelka Sellei. Foto: Herwig Prammer/Landestheater

Die Inszenierung des Studioleiters Gregor Horres ist temporeich, sprüht vor Witz und serviert die Geschichte samt ihren Verwicklungen und vor allem Pointen einfach mitreißend, wozu auch die Choreografie von Wei-Ken Liao beiträgt. Was auch bedeutet, daß die Darstellerinnen und Darsteller deren Konzept sehr gut umgesetzt, mit prallem Leben erfüllt haben. In der einfachen, durch Schiebevorhänge wandelbaren Bühne von Jan Bammes finden sich zahlreiche Holzkisten, oft mit Flaschen voll klaren Flüssigkeiten, die textlich von Löhner und Herzer als Jarzebinka, Kontuszówka, Borovička, Sliwowitz etc. präzisiert wurden… Die Möblierung ist modern-zweckdienlich, die Kostüme ca. zwischen 1880 und 1930 angesiedelt – alles bleibt ein bißchen in „Studiocharakter“, damit im Einklang mit dem Spielort. Anna Maria Jurisch besorgte die dramaturgische Betreuung; auf sie soll auch die Idee, den Chor als Kinderchor auftreten zu lassen, zurückgehen – unter der Leitung von Ursula Wincor hat der Kinder- und Jugendchor des Landestheaters Linz seine Sache exzellent gemacht und war eine wahre szenische Bereicherung!

Angekündigt wurde, daß man aus diesem zu Unrecht vergessenen Werk eine Menge Ohrwürmer nach Hause nehmen würde – ja, das kann man bestätigen. Die ideensprühende Musik geht einfach „runter wie Öl“; sie vermeidet, auch bei lyrischen Szenen, so dick aufzutragen, daß man an Kitsch denkt, und ist ansonsten flott, zeigt Spuren von Swing, viele Tanzrhythmen… Man versteht, daß die Operette 1937 ein sofortiger Erfolg war, und auch 82 Jahre später sorgt Martin Braun am Dirigentenpult für den überspringenden Funken. Er leitet das Bruckner Orchester, das, wie oft in der Black Box, hinter der Bühne aufgebaut ist. Balance und Koordination funktionieren jedenfalls sehr gut (mit Ausnahme eines sehr stark agogischen Krakowiak bald nach Beginn, in dem es kurz etwas wackelt).

Der Held der Geschichte ist Graf Boleslav Zagorsky: Rafael Helbig-Kostka, ein herrlicher, mitunter wirklich strahlender lyrischer Tenor mit Schmelz, aber ohne Schmalz in der Stimme und mit einer guten Portion an komischem Talent. „Seine“ Jadja, die sich der böse Onkel schnappen will, ist Svenja Isabella Kallweit – eleganter und präziser Sopran ohne Schärfe, vielleicht nicht typisch operettenhaft leicht: aber sie hat ja auch eine relativ dramatische Rolle. Ihr verschwenderischer Bruder, Gutsherr Baron Mietek Oginsky wird von Philipp Kranjc mit samtigem, gut fundiertem Bariton und lustvoller Schlitzohrigkeit verkörpert.


Michael Wagner, Florence Losseau. Foto: Herwig Prammer/Landestheater

Die wahre Heldin und Herrin des Geschehens ist aber „die Wildkatze“ Suza, durch deren Witz, Selbstbewußtsein und Schlagkraft der Knoten der Geschichte gelöst werden kann. Florence Losseau ist dafür eine Idealbesetzung: eine perfekte Operettensoubrette erster Güte, mit tänzerisch beweglichem, leuchtenden Sopran und immenser Spielfreude. Casimir, Praktikant, ist an sich ihr Partner, jedoch, siehe Flascheninhalt, nicht immer voll einsatzfähig. Leider, jedoch aus jahreszeittypischen viralen/bakteriellen Gründen, ebensowenig einsatzfähig das dafür studierte Opernstudiomitglied Timothy Connor. Für ihn sprang, sehr kurzfristig!, der Spielbariton Roman Straka ein, der in der Wiener Produktion von 2012 diese Rolle innehatte – er hat sich trotz der Vorbereitungszeit von nur zwei Tagen mit köstlicher Komik wohl nicht zufällig in der Maske Donald O’Connors (!!) im Filmmusical „Singing in the Rain“ ausgezeichnet eingefügt, großen Respekt!


Timothy Connor, Florence Losseau, Kinderchor Katzenaugen. Foto: Herwig Prammer/Landestheater

Ebenfalls an der Intrige wesentlich beteiligt: Verwalterin Stasi – Etelka Sellei mit beweglicher Stimme und quirligem Spiel, und Stani – Seunggyeong Lee, ein weiterer klangvoller Bariton.
Michael Wagner ist der böse Graf Staschek Zagorsky mit druckvollem, aber auch beweglichem Baß und ausgesprochen lustvoll-maliziösem Spiel. Nur am Schluß hängt er erbärmlich in den Seilen (und an der Flasche), zusammen mit dem Repräsentanten der russischen Macht, Hauptmann Korrosoff (Dominik Nekel – auch er vorzüglich als bestens mit Zeitmessern versorgter Baßbuffo). Das letzte Bild gehört, nach Abgang des Liebespaares, diesen beiden: man feiert die Resignation in einem ironisch-weinseligen Wienerlied – auch hörbar entmachtet, da sie hier Naturstimme verwenden.

Zwar bietet die Produktion keine Titelprojektion, aber die sehr gute Artikulation der Sängerinnen und Sänger macht, nebst der einleuchtenden Regie, das Verständnis der Handlung leicht.
Nach viel Szenenbeifall auch am Ende des gut zweistündigen Abends (mit einer Pause) begeisterter Applaus und Jubel, uneingeschränkt für alle.

Petra und Helmut Huber

 

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