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LINZ/Landestheater: WONDERLAND – Musical von Jack Murphy, Musik von Frank Wildhorn. Premiere

09.09.2024 | Operette/Musical

Linz: „WONDERLAND“ – Premiere im Musiktheater des Landestheaters Linz, Großer Saal, 08. 09.2924

Musical von Jack Murphy, Musik von Frank Wildhorn, Buch von Jennifer Paulson-Lee & Gabriel Barre nach dem Original-Buch von Gregory Boyd & Jack Murphy auf Grundlage des Romans „Alice’s Adventures Under Ground/in Wonderland“, auch mit Elementen aus „Through the Looking Glass“ von Lewis Carroll
Deutsch von Wolfgang Adenberg (deutsch- und englischsprachige Untertitelung)
Europäische und deutschsprachige Erstaufführung

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Queen of hearts (Caroll). Foto: Wikipedia

Das 1865 erschienene (bei weitem nicht nur) Kinderbuch des Mathematiklehrers, Photographen und Theologen Charles Lutwidge Dodgson, der sich dafür Lewis Carroll nannte, ist ein kulturhistorisches Monument: auf wikipedia werden, neben vielfältigsten anderen Einflüssen auf Literatur und andere Künste, 41 Verfilmungen (ab 1903) und zahlreiche weitere Filme mit Zitaten oder Paraphrasen angeführt; dazu kommen, soweit überblickbar, 14 Musicals, 13 Opern und Tanzstücke und viele Computerspiele. Sogar ein psychiatrisches Syndrom, das nach der Geschichte benannt ist, gibt es. Das Buch, das wohl auf einem Bootsausflug auf dem „Isis“ genannten oberen Themseabschnitt am 14. Juli 1862 konzipiert worden war, war von Beginn an ein riesiger Erfolg und ist seither weltweit andauernd in Druck. Frühe Verehrer reichten von Oscar Wilde bis zu Queen Victoria.

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Valerie Luksch, E. Winkelhofer, Max Niemeyer. Foto: Herwig Prammer/Landestheater

WONDERLAND Das heute gezeigte Musical begann seinen Weg im Spätherbst 2009 in Tampa FL, kam nach Houston TX und hatte, nach nochmaligen Testläufen und Überarbeitung, Broadway-Premiere in Marquis Theater am 27. April 2011. Viel Erfolg war ihm nicht beschieden: nach 31 previews und 33 offiziellen Vorstellungen war Schluss, bei überwiegend negativen Kritiken und dem – bei neuen Werken nur selten vorkommenden – Fehlen jeglicher Nominierungen für Preise. Auch eine Tournee 2017 im Vereinigten Königreich war bald zu Ende.
Die Hauptidee zur Begründung der Handlung und Verbindung zur „modernen Welt“ ist ein Traum, den die (erwachsene) Titelfigur träumt, um ihre Probleme mit Beruf und Familie zu verarbeiten. In der Uraufführungsversion ist Alice Schriftstellerin, hier in Linz arbeitet sie bei einer Computerspielfirma namens Everheart, mit einer fordernden Chefin und einer bunten, nicht immer sympathischen Schar von Kollegen. Ansonsten folgt die Handlung, vereinfacht, aber psychoanalytisch überarbeitet, dem Roman, wobei die Heldin auf die Suche nach ihrem früheren kindlichen Ich geschickt wird. Es werden auch Charaktere und Episoden aus dem ersten Alice-Buch weggelassen und durch solche aus dem zweiten ersetzt; so lernen wir zwar Tweedledee, Tweedledum und Humpty-Dumpty kennen, aber leider nicht Jabberwock, Jubjub-Vogel und den fruminösen Bandersnatch. Was übrigbleibt, ist aber immer noch für genügend Wirbel gut! Am Schluss renkt Alice durch die Erlebnisse und Lehren aus dem Wunderland auch ihr Leben und ihre Familie mit viel Liebe und Grießschmarren wieder ein – ein doch etwas „weiches“ Finale nach der durchaus frechen und temporeichen Handlung.

Die Musik ist vielfältig, mit einer gewissen Dosis Musical-Lyrik (vor allem am Ende, sonst nur selten eingestreut), einem beherzten Cha-Cha-Cha für „El Gato“ (dem hier aktiven Verwandten der Cheshire-Katze), Rock, Funk und Soul. Aber es ragen dann noch zwei großangelegte Swing-Nummern in Stilrichtung von Film- und TV-Titelklängen der 1960er Jahre für Mad Hatter und Herzkönigin hervor. Die 16 Damen und Herren der Club-Wonderland-Band unter Tom Bitterlich legt dazu die brillante Basis.

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Ensemble. Foto: Herwig Prammer/Landestheater

Die Inszenierung von Christoph Drewitz kann zwar nicht alle logischen Schlaglöcher des Stückes ausbügeln, sorgt aber für scharf gezeichnete Charaktere, präzise in Szene gesetzten Wirbel (Choreografie David Hartland) und ein insgesamt buntes Bild. Allerdings bleibt das präfinale Duell zwischen Mad Hatterin und Alice, trotz durchaus effektreichen Ablaufes, etwas nebulös. Dramaturgische Betreuung, mit lesenswertem Programmheft: Arne Beeker.

Andrew D. Edwards hat eine für rasche Szenenwechsel und vielerlei Effekte bestens geeignete Spielstätte geschaffen, die vor allem die Drehbühne effektiv einsetzt, mit passendem Lichtdesign durch Michael Grundner. Ein Wunderland ist dabei aber nicht entstanden, vielmehr ein recht technisches Gelände. Ein Märchenland taucht nur zu Beginn am Rande auf (Videodesign Leo Flint), als Alice ihrer Tochter vorliest. Auch der Schluß wird per Projektion recht blumig umrahmt – freilich reicht das nicht, um das klebrige Finale in ein ironisches Licht zu tauchen und damit leichter verdaulich zu machen.

Großen Aufwand durfte Adam Nee bei den Kostümen treiben, und das hat sich gelohnt: nicht wenige Figuren bekommen schon beim Auftreten einen Lacher, so bunt und (handlungsadäquat!) verrückt sind sie. Unsere Favoriten waren Hutmacher, Raupe und Königin samt ihrer Entourage.

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Valerie Luksch und Ensemble. Foto: Herwig Prammer/ Landestheater

Valerie Luksch hat als Alice sehr viel zu tun: sie ist fast andauernd auf der Bühne, hat dementsprechend eine Menge zu singen und zu sagen und macht das alles, samt Ausdruck und Choreographie, hervorragend. Ihre Tochter im realen Rahmen und Jung-Ich im Wunderland war präzise und ausdrucksstark Rosa Gruber (wird mit Helena Unger sowie Eva und Greta Winklhofer alternieren).

Als Ms. Maddie Quizzle (Rahmen) und Verrückter Hutmacher brilliert Sanne Mieloo mit großer Stimme, großer Körperbeherrschung und großen Emotionen – sie alleine ist schon den Besuch der Produktion wert! Mrs. Everheart, im Wunderland die Herzkönigin, ist Daniela Dett mit bösem Witz und witziger Bosheit, die sich an einer Stelle im zweiten Akt aber auch zur Bedrohung auswachsen kann.

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Valerie Luksch, Enrico Treuse. Foto: Herwig Prammer/Landestheater

Alices Ehemann Jack bzw. Weißer Ritter: Max Niemeyer mit sauberer, feiner Darstellung, auch in den kitschigeren Passagen. Daß aus Mr. Hopper in der Firma dann im Wunderland das weiße Kaninchen wird, ist nicht weiter überraschend, ebensowenig, daß Christian Fröhlich aus beiden Rollen mit seinem Können und seiner Erfahrung für das Publikum alles herausholt. Der nerdige Tyrell Leggett (Karsten Kenzel) wird in Alices Traum zur zwerchfellerschütternden Raupe, Lukas Sandmann mutiert von einem der West Side Story entsprungenen Jose Purrez zu einem tänzerisch wie sängerisch extrem beweglichen Gato. Enrico Treuse ist u. a. ein aberwitziger mad scientist an der Seite des Hutmachers.

Weitere, vielfältig (auch atemberaubend akrobatisch) eingesetzte Ensemblemitglieder sind Alexandra-Yoana Alexandrova (auch als Alternativ-Alice), Lynsey Thurgar, Astrid Nowak, Sophia Aregger, Kenia Bernal Gonzalez, Katharina Theil, Luuk Hartog, Matteo Vigna, Romeo Salazar, Evan Livesey, Danilo Aiello, Davide Venier und Jan Ungar.

Standing ovation für Bühnen- und Produktionspersonal sowie die Band und damit für eine bunte, weit überwiegend kurzweilig bunte Show, die die noch geplanten gut 20 Vorstellungen eigentlich gut verkaufen sollte.

Petra und Helmut Huber

 

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