Linz: „STRIKE UP THE BAND oder DER KÄSEKRIEG“ – Premiere im Musiktheater des Landestheaters Linz, Großer Saal, 25. 05.2024
Musical von George S. Kaufman (Buch), Ira Gershwin (Librettist), Musik von George Gershwin
Übersetzung Roman Hinze; deutsche und englische Untertitel
Konzertante oder eigentlich 2/3-szenische Produktion
Max Niemayer, Karsten Kenzel. Foto: Linzer Landestheater/Reinhard Winkler
Das erste Musical des damals 21-jährigen George Gershwin erschien 1919 („La La Lucille„), und bald war er, in Zusammenarbeit mit seinem Bruder Ira, eine etablierte Größe am Broadway. 1927, 5 Musicals, eine Rhapsodie in Blau und ein Klavierkonzert später, nahm sich das Brüderpaar eines Stoffes von George S. Kaufman an. Kaufman, bösartiger und temporeicher Satiriker u. a. Hausautor der Marx Brothers, hatte ein Stück über Monopole, Wirtschaftsimperialismus und nonchalante Kriegsbegründungen geschrieben – fürwahr Themen, die sich seither nicht aus der Welt verabschiedet haben. Vorerst scheiterte das Projekt allerdings. Erst nach Überarbeitung durch Maurice Ryskind konnte man 1930 am Broadway reüssieren – wobei dieser seine Arbeit „Krieg und Frieden für die Three Stooges umzuschreiben“ nannte. Im Linzer Bühnenkommentar wurden die Stooges durch Laurel & Hardy ersetzt; das Bild stimmt auch so. Diese Produktion nutzt die Urfassung.
Kurz umrissen geht es darum, daß ein à priori nicht ganz sauber agierender Käsefabrikant Maßnahmen gegen importierte Schweizer Konkurrenzprodukte ergreift, mit Beeinflussung bis hinauf zum Präsidenten in Washington. Schließlich zieht er sogar in einen – privat finanzierten – Krieg gegen „dieses kleine Land gleich neben Liechtenstein„, und irgendwie geht eh alles gut aus, umgebende Liebschaften und Intrigen eingeschlossen. Allerdings dräut zum Schluß (immerhin hatte man sich gerade feierlich geschworen „Nie wieder Krieg„) ein Konflikt mit Frankreich über Rotweinpreise herauf…
Linsey Thurgar, Karsten Kenzel, Christian Fröhlich, Max Nemayer. Foto: Linzer Landestheater/Reinhard Winkler
Dramaturg Arne Beeker hat in sicherlich engstmöglicher Zusammenarbeit mit dem Übersetzer das Szenario von der Schweiz auf Österreich geändert – an sich ja eine nette Idee, aber kulinarisch-geschichtlich anzweifelbar: zwar gab es in Monarchiezeiten und wohl bis zum 2. Weltkrieg einige österreichische Käsesorten von internationalem Renommee (z. B. der sogar in Frankreich gut verkaufte „Mondseer“, der damals angeblich dem Époisses das Wasser reichen konnte), aber Schweizer Käse hatte da schon lange einen sprichwörtlich legendären internationalen Ruf. Nach 1945 dauerte es bis zum EU-Beitritt, um die Verwüstungen im Käsegenuß geheilt werden konnten, die die weit über den Nachkriegsmangel hinaus beibehaltenen Kartellierungen hierzulande angerichtet hatten,.
Die Übersetzung ist an sich gut gelungen, was ja nicht von allen deutschen Texten für das Great American Songbook gesagt werden kann. In diesem Musical kommen jedenfalls beispielsweise „The Man I Love“ = „Der Mann für mich„, „I’ve Got a Crush on You“ = „Ich bin verknallt in dich“ und dem Titellied „Strike up the Band“ als „Hier kommt die Band“ ganz ordentliche, mit originalem Rhythmus und Phrasierung eingängige Versionen zum Vortrag. Einiges an Handlung ist abgekürzt und wird durch eine Erzählerin übernommen – Daniela Dett mit Eleganz und Humor.
Matthias Davids hat das Stück teilszenisch umgesetzt. Dabei erhält das mit fast 50 Mitgliedern angetretene Bruckner Orchester neben dem nur gering abgesenkten Orchestergraben größere Teile der Bühne, wo dann auch die genretypischen Instrumente wie Saxophone und ein klassisch-kompaktes Jazz-Schlagzeug Platz finden. Darstellerinnen und Darsteller agieren zwischen den Orchestergruppen und auf der Passerelle, die „Neubauintendant“ Rainer Mennicken mit Recht so wichtig war. Aber: das für screwball-Komödien, gerade die besonders zugespitzten Werke von Kaufman oder Coward, typische und essentielle hohe Tempo fehlt hier, besonders im 1. Akt. Nach der Pause legt die Inszenierung den einen oder anderen Zahn zu, aber so richtig außer Atem gerät man als Publikum bis zum Ende nicht.
Bühnengestaltung mit kleineren, cartoonartig gezeichneten Versatzstücken: Aleksander Kaplun, unterstützt vom Lichtdesign (Simon Wagner). Videos (Paul Eckschlager) sorgen für graphische teils bewegliche Hintergrundprojektionen mit witzigen Details.
Die Kostüme von Richard Stockinger sind teils von (halb)moderner Zweckmäßigkeit, schlagen aber dann beim Käsefabrikanten-als-Kriegsherren und dessen General in boshafte Pfauenhaftigkeit um. Auch für das gut getarnte Käseheer hat er sich Vergnügliches einfallen lassen. Die Kriegstouristinnen, die gerne für eine blutige show Eintritt bezahlen und davon natürlich selfies machen, sind ebenso bis zur Kenntlichkeit entlarvend gestaltet. Für Choreografie (Hannah Moana Paul) ist nicht rasend viel Platz.
Der Käsetycoon Horace J. Fletcher, der seinen tapferen Kriegern, einstigen Fabrikarbeitern, schließlich eröffnet, daß sie jetzt durch Roboter ersetzt würden, ist bei Karsten Kenzel in bester darstellerischer Obhut; seine eher scharf timbrierte Stimme macht sich in der Rolle sehr gut, und daß er Leute zum Kuschen bringen kann, nimmt man ihm auch ab. Seine Tochter Joan wird von Valerie Luksch exzellent und extrem höhenfähig gesungen und überzeugend gespielt.
Valerie Luksch, Gernot Romic. Foto: Linzer Landestheater/Reinhard Winkler
Jim Townsend, anfänglich lästiger Reporter und unwillkommener Milchexperte, der später als Waffenverweigerer mit einer schlauen Intrige den Krieg abkürzt: Gernot Romic, von verläßlicher Exzellenz als Sänger und Darsteller. Die nicht immer ganz nüchterne Mrs. Draper erhält von Lynsey Thurgar klassisches Vaudevillekomik-Profil. Deren Tochter Ann (Cornelia Mooswalder) und Timothy Harper (Lukas Sandmann) sind das sympathische und sängerisch vozügliche Liebespaar.
Lukas Sandmann, Cornelia Mooswalder. Foto: Linzer Landestheater/Reinhard Winkler
Der moralelastische Colonel Holmes, der bei weitem nicht so sachlich und unbestechlich ist, wie es seine zahlreichen Titel und die Position als Geheimer Präsidentenberater verlangen würden, wird von Max Niemeyer mit boshaftem understatement porträtiert.
Der Molkereimanager C. Edgar Sloane (Christian Fröhlich) hat mehr als nur ein Gesicht, wie sich herausstellt. Noch weit mehr Gesichter aber hat George Spelvin, denen Enrico Treuse höchst abwechslungsreiches, buntes Leben verleiht.
Tom Bitterlich leitet das alles zu berückender Klangqualität an, auch in den präzisen Ensembles, ohne den swing zu vergessen: ein audiophiles Erlebnis, zu dem nicht nur das exzellente Orchester und die hervorragenden Solo- und Chorstimmen (Leitung: Elena Pierini) beitragen, sondern auch eine bis zur kompletten Unmerklichkeit abgestimmte Tontechnik (Kai Mäder und Jennifer Spohn).
Schlussapplaus mit Leading-Team. Foto: Petra und Helmut Huber
Abgesehen von Szenenbeifall gibts aber nur relativ kurzen und nicht wahnsinnig engagierten Schlußapplaus, gerade gut 4 Minuten, andererseits keine Buhrufe, auch nicht für das leading team. Insgesamt eine musikalisch gediegene Produktion, die szenisch nicht besonders spannend ausfällt (was ja auch in der gewählten Form möglich wäre, wie man in früheren Saisonen an „On the Town“ oder „Chess“ erleben konnte).
Petra und Helmut Huber