Linz: „SOMETHING ROTTEN oder Hamlet oder Omlett, das ist die Frage“ – Premiere im Musiktheater des Landestheaters Linz, Großer Saal, 16. 11.2024
Musical von Karey Kirkpatrick, Wayne Kirkpatrick und| John O’Farrell, Übersetzung von Roman Hinze und Niklas Wagner
Deutschsprachige Erstaufführung
Lukas Sandmann, Valerie Luksch. Copyright: Philip Brunader/Landestheater
Gegen 2015 war es wieder so weit: es wurde nach mehr Humor in der Musicalwelt gerufen. Gut 50 Jahre davor hatte dieser Ruf zu Stephen Sondheims Geniestreich „A Funny Thing…“ geführt, dessen brillante Linzer Umsetzung bedauerlicherweise nach wenigen Aufführungen von COVID abgewürgt wurde. Diesmal war ein team mit einer schon 20 Jahre gewälzten Idee am Werken: Musiker und Komponist Wayne Kirkpatrick, der u. a. mit der Country-Gruppe Little Big Town spielt und dessen Werke auch von Garth Brooks, Joe Cocker oder Eric Clapton zu höchsten Chartplacierungen gebracht worden waren; dessen Bruder Karey, der sich als Real- und Trickfilmregisseur sowie Drehbuchautor einen Namen gemacht hat (The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy, Over the Hedge) war ebenso dabei wie der „Alibibrite, wegen Shakespeare“ (Matthias Davids, tongue-in-cheek) John O’Farrell. Letzterer spielte schon mit 12 Jahren an der Seite von Donald Pleasence im Film, schrieb bei „Spitting Image“ und zahlreichen weiteren erfolgreichen TV-Serien mit, aber auch am Animationsfilm „Chicken Run“, wo er erstmals mit Karey Kirkpatrick zusammenarbeitete.
Gernot Romic, Daniela Dett. Copyright: Reinhard Winkler/Landestheater
Das Trio fand, daß man (wie Monty Python‘s „The Life of Brian“) das Werk als Gegengeschichte zu einer überragenden historischen Figur aufziehen könnte, in diesem Falle William Shakespeare. Die Helden wären die ruhm- und erfolglosen Londoner Theaterbetreiber und Konkurrenten des „Barden“, Nick und Nigel Bottom (bottom = Tiefpunkt, Hintern…), die durch Wahrsprüche zu den Erfindern der Gattung Musical würden – in London 1595 ff. Der Erfolg rechtfertigte die Idee: beginnend mit der Broadway-Premiere im St.-James-Theatre am 22. April 2015 gab es in dieser Produktion 708 Aufführungen, garniert mit 10 Tony-Nominierungen.
Im 107. Sonntagsfoyer der Musiktheaterfreunde, das am 3. d. M. vor dem Hintergrund eines in schönsten Herbstfarben leuchtenden Volksgartens abgehalten worden war, präsentierten die Übersetzter ihre Arbeitsmethoden. Arne Beeker, der sein Pseudonym Roman Hinze als „Ergänzung“ zu der beiden deutschen Musicalgrößen Heinz Rudolf und Michael Kunze wählte, demonstrierte mit seinem Münchner Kollegen, wie man Sinn, Rhythmus und Witz wahrt – und wie viel Arbeit das ist. Der Aufwand hat sich gelohnt: schon textlich ist der Abend mit seinen pointierten Zitaten von Shakespeare und aus zahllosen Musicals von „The Fantasticks“ bis „West Side Story“, von „Starlight Express“ bis „My Fair Lady“ ein Vergnügen!
Gernot Romic und Ensemble. Copyright: Reinhard Winkler/Landestheater
Das Design lag – dies ist keine franchise-Produktion! – in den bewährten Händen von Andrew D. Edwards (Bühne) und Adam Nee (Kostüme): Grundstruktur ist der, sehr wandelbar gestaltete, Innenhof des Globe Theatre zu Londen – zur Handlungszeit eines von etwa 20 Theatern der Stadt. Die Renaissancekostüme sind nur auf den ersten Blick historiengetreue Pracht; nicht nur sind sie unauffällig „tänzerfreundlich“ gestaltet, auf den zweiten Blick fällt eine Menge parodistischer und köstlich satirisch-anachronistischer Ideen auf – sei es der „Rockstar“ Will Shakepeare, sei es die mit großem Mut zur Häßlichkeit gestaltete Wahrsagerin, sei es die plötzliche Verwandlung der Renaissancekostüme in Charlestonkleider. Das Lichtdesign von Michael Grundner schafft dramaturgisch dienliche Akzente und Stimmungen.
Das Orchester sitzt hinten oben auf den Rängen des „Globe“, besteht aus 11 Damen und Herren und nennt sich „The Rotten Eggs“ – nicht nur auf den Eierkuchen-Zweittitel gemünzt (der sich aus einer Verwechslung mit „Hamlet“ seitens der Wahrsagerin ergibt!), sondern auch auf einen Ortsnamen im nahen Mühlviertel, den uns einmal ein Freund aus GB als den schönsten in ganz Österreich genannt hat. Tom Bitterlich dirigiert vom keyboard aus und legt die präzise und swingende Basis, die sich über unendlich viele Stilrichtungen und Rhythmen erstreckt und stets unterhaltsam und abwechslungsreich klingt. Auch in der Komposition sind eine Menge Zitate versteckt (oder auch nicht: „Jesus Christ Superstar“ hört schließlich jeder und jede heraus!).
Kim Duddy und Matthias Davids beim Schlussapplaus. Copyright: Petra und Helmut Huber
Matthias Davids hat diese Geschichte aus Konkurrenzneid, Ideenklau, Feminismus, Gedankenfreiheit, Puritanismus und natürlich auch Verschwörungstheorien um die wirklich wahre Autorschaft von Shakespeares Werken temporeich und mit wunderbar herausgearbeiteten Charakteren inszeniert. Es hilft natürlich, daß der Text von köstlichen Frechheiten, „schmutzigen“ Anspielungen, Seitenhieben aufs „Regietheater“ und politischer Unkorrektheit durchzogen ist; daß drei Rollen von männlich auf weiblich umgeschrieben wurden, funktioniert gut. Zum Tempo und den teils atemberaubenden Showmomenten trägt auch wesentlich die Choreografie von Kim Duddy bei.
Der glücklose Impresario Nick Bottom ist Gernot Romic, der diesmal mehr schauspielerische als akrobatisch-tänzerische Aufgaben hat und diese erwartungsgemäß glänzend absolviert. Bruder Nigel, der Bühnenautor (der auch Sonette schreiben kann, daß ein Shakespeare erblaßt) gibt Lukas Sandmann in lyrischer Bestform – schließlich ist er ja in die Puritanertochter Portia (Valerie Luksch, empathiefordernd) verliebt.
Sanne Mieloo und Gernot Romic. Copyright: Reinhard Winkler/Landestheater
Wahrsagerin Nancy Nostradamus (Nichte des Gleichnamigen) ist eine große und großartige Aufgabe für Daniela Dett, die sie zum allerallergrößten Vergnügen fürs Publikum gestaltet. Nicks Gattin Bea hat öfter die Hosen an als ihr Ehemann, und Sanne Mieloo bringt diese Figur ähnlich wirksam über die Rampe wie Frau Dett die Nancy.
Christian Fröhlich. Copyright: Reinhard Winkler/Landestheater
Der weder unter mangelndem Selbstbewußtsein noch übertriebenen Skrupeln leidende Shakespeare wird von Christian Fröhlich als Rockstar hingeknallt, daß die Balken des Globe ächzen (und das Publikum vor Lachen nach Atem ringt); Höhepunkt seines auf vielen Ebenen ausgefochtenen Krieges mit Nick ist ein „tap & rap“ Duell der beiden, das mit „legendär“ nur dürr beschrieben ist.
Zur Ouverture transferiert uns Enrico Treuse als Spielmann ins 16. Jahrhundert, in dem auch die Puritaner unter dem ausdrucksstark engstirnigen Bruder Jeremiah (Karsten Kenzel) heraufdräuen. Shylock (Max Niemeyer) stellt sich als Produzent zur Verfügung, als die Geldgeberin Lady Clapham (köstlich zickig: Alexandra-Yoana Alexandrova) zu Shakespeare umgeschwenkt ist.
Das vielbeschäftigte und brillante Ensemble: Claudia Artner, Leon de Graaf, Luuk Hartog, Aeneas Hollweg, Magnus Jahr, Matthew Levick, Susannah Murphy, Astrid Nowak, Liam Solbjerg, Lynsey Thurgar, Matteo Vigna und als Omelett-Ei Elies de Vries.
Schlussapplaus Ensemble und Produktionsteam. Copyright: Petra und Helmut Huber
Schon der Szenenapplaus erreicht oft Begeisterungsstärke, und am Schluß dieses gelungenen Nachfolgers von „A Funny Thing…“ tobt ein Applausorkan durchs Haus.
Petra und Helmut Huber