Linz: „PRISCILLA“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 01. 01.2022
Die drei Diven/ hängend: Judith Jandl, Hanna Kastner und Daniela Dett. Foto: Barbara Palffy für Landestheater
Musical von Stephan Elliott und Allan Scott, Deutsche Dialoge von Michael Alexander Rinz; in deutscher Sprache, mit englischen Gesangstexten und Übertiteln.
Österreichische Erstaufführung.
Priscilla ist zuerst einmal, wissen die Lexika, eine Koseform des römischen Namens Prisca (die Altehrwürdige) → „Altehrwürdigchen“?? Jedenfalls hat dieser Name Lt. James Frederick Wagner und dessen Gattin Anna Lillian so gefallen, daß sie ihn ihrer 1945 geborenen Tochter ins Leben mitgaben. Vielleicht hat diesen Namen auch Pvt. Elvis Aaron Presley schön gefunden – jedenfalls hat er diese Priscilla als Soldat in einer US-Garnison in Deutschland kennen gelernt und später geheiratet.
Priscilla – hier im ursprünglichen Namenssinne zweifelsfrei korrekt – ist aber auch der Name eines in die Jahre gekommenen Autobusses, der eine Truppe von bunten Vögeln, Travestiekünstlern mit sehr unterschiedlichen Hintergründen, durch das (in mehreren Aspekten feindselige) australische Outback zu einem Auftritt in Alice Springs bringen soll. Dieses Vehikel und seine Besatzung standen im Zentrum eines Films des Australiers Stephan Elliott, der 1994 ein großer Erfolg war; mit Terence Stamp spielte auch ein internationaler Star mit – von Modesty Blaise über Teorema bis Star Wars Episode I in zahlreichen bekannten Filmen. Fast zeitgleich wurde die Geschichte (als „To Wong Foo…“) auch in den USA verfilmt, u. a. mit Patrick Swayze und Wesley Snipes. Das daraus entwickelte Musical hatte am 7. Oktober 2007 in Sydney Uraufführung.
Das Wesen von Travestieshows ist ja meist, daß schon bekannte Schlager oder Chansons jedenfalls weiblicher Interpreten von entsprechend kostümierten und geschminkten Männern entweder im Playback oder live gesungen werden. Originalmaterial ist die Ausnahme. Diese Mischung gilt auch heute. Und: „Priscilla“ fällt auch in die Kategorie der „Jukebox-Musicals“, ist also eine Abfolge von Hits von Cyndi Lauper, Donna Summer, Elvis Presley, Village People, Shocking Blue, sogar etwas aus Zeiten von Fred Astaire u. v. a. m. – bis hin zu einem Zitat aus „La Traviata“. Von dieser Sorte haben wir schon eher Lahmes gesehen, wie eine Walt-Disney-Revue, bei der das Drumherum, das Auditorium Theatre in Chicago, weit interessanter als das Stück war, aber auch intelligent und spannend gestaltete Werke wie 2016 in London ein Musical um die „Kinks“. Und weil für die Handlung textlich und situativ passende WIRKLICHE Schlager genommen werden, braucht man sich auch nicht zu sorgen, daß mäßig einfallsreiche und oft klebrige neuere Standard-Musicalkompositionen den Abend prägen.
Gernot Romic, David Arnsperger, Karsten Kenzel. Foto: Barbara Palffy für Landestheater
Die ursprüngliche Motivation des Films war, die, nach einer gewissen Emanzipation in den 70ern, wieder deutlich feindseligere Stimmung gegenüber Homosexuellen im Gefolge des Auftauchens des HIV aufzubrechen – was durchaus gelang. Und diese Grundrichtung ist auch in der Musicalfassung erhalten geblieben: Die drei Protagonisten treffen auf ihrem Weg von Sydney ins Red Center allerhand finstere, nur allzu rechtschaffene Typen, unter anderem auch in Coober Pedy – einem Ort „an dem man ansetzen würde, möchte man der Welt einen Einlauf geben“; und wenn man sich gegen eine aggressive Schwulenfeindin – erfolgreich – wehren möchte, ist eine Wortwahl angesagt, die die angeblich (nicht) vom „Bierwirt“ gegenüber einer Grünen-Abgeordneten getroffene um Längen über- bzw. unterragt. Auch dem einen oder anderen physisch schlagkräftigen Argument ist man nicht abgeneigt – und für die Fauna Australiens ungünstige Zusammentreffen mit dem Bus spart man auch nicht aus (Dankenswerterweise ist der Chefdramaturg der Musicalsparte, Arne Beeker, kein eiserner Verfechter von political correctness!). Zudem macht auch die „Titelfigur“ altersbedingte Spompernadeln…
Als übergeordnete Klammer geht es darum, daß einer unserer drei Helden aus seiner früheren Ehe einen Sohn hat, den er in Alice Springs erstmals treffen soll, was ihm einige Sorgen bereitet – unbegründet, wie sich schließlich herausstellt. Dazwischen gibt es jede Menge Gelegenheiten, live oder mit playback in Travestienummern zu schwelgen – und wenn dem Trio im Bus einmal die Luft auszugehen droht, schwebt vom Himmel ein Trio von „Diven“ und legt ein musikalisches Schäuferl nach.
Unter der musikalischen Leitung von Tom Bitterlich am keyboard spielen mit viel Rock, Swing und Soul „D. J. Ridoo and the Kangaroos“ – übrigens personell mit einigen Überschneidungen zur vorzüglichen „Solo para ti“-band letzten Herbst in Traun.
Die Inszenierung von Christoph Drewitz mit Choreografie von David Hartland, Bühne Andrew D. Edwards, Kostüme Adam Nee, Lichtdesign Michael Grundner arbeitet mit geschickt verteilten „australischen“ Versatzstücken mit Verweisen auf die Kunst der „Aborigines“, verblüffenden Fahreffekten des gar nicht kleinen Busses auf der Drehbühne, prachtvollen Sonnenuntergängen – und mit einem Kostümspektrum von alltäglich bis zu den abenteuerlichsten und fantasievollsten Federboa-, Flitter- und Straßräuschen, natürlich kombiniert mit dem exakt dazu passenden Bewegungsspektrum. Wäre nicht die humorvoll erzählte Geschichte mit Tiefgang und die exzellent neu interpretierte Musik: alleine die Schauwerte rechtfertigten des Eintrittspreis!
Finale: Karsten Kenzel, Gernot Romic, David Arnsperger, . Foto: Barbara Palffy für Landestheater
Tick (Karsten Kenzel) ist der zwischen Familie und Travestie Hin- und Hergerissene mit vielen Zwischentönen; David Arnsperger spielt mit Sorgfalt und Finesse die bürgerlich solide, fast nüchterne „Bernadette“ und Gernot Romic der bunte Vogel Adam, der durch die buntesten und verrücktesten Auftritte im Rahmen dieses Trios glänzt, die nicht nur der Kostümabteilung zu verdanken sind. Im Laufe des Stückes stößt Bob dazu, ein geschickter Auto(bus)mechaniker, dessen Leben durch die neuen Freunde eine Wendung nimmt – John F. Kutil in sympathischer Bühnenpräsenz.
Die drei Diven, die trotz ihrer oft sehr exponierten Position am Hängegeschirr fröhlich und unbeschwert und vor allem mit dem richtigen drive Cyndi Lauper oder die Weather Girls zitieren: Judith Jandl, Hanna Kastner und Daniela Dett.
Lukas Sandmann ist u. a. eine „teuflisch verführerische“ Miss Understanding, Marion, die Geschiedene von Tick sehr beweglich Nina Weiß, ihr Sohn Benji Tobias Pointner mit zwangloser Bühnenpräsenz.
Eengagiert und lustvoll in weiteren kleineren und Ensemblerollen Danilo Brunetti, Christian Fröhlich, Aloysia Astari, Susanne Rietz, Silke Braas, Brad Corben, Oliver Edward, Mark Lenskær Fries, Wei-Ken Liao, Joel Parnis, Celina dos Santos, Brittany Young.
Begeisterung im Publikum, standing ovation.
Petra und Helmut Huber