Daniela Dett. Copyright: Linzer Landestheater
Linz: „PIAF“ – öffentliche Generalprobe am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 04. 09.2020
iMusical Play von Pam Gems in der Bearbeitung für das Donmar Warehouse, London (2008), übersetzt von Roman Hinze, Musik eingerichtet von Svenn Eric Kristoffersen und Tom Bitterlich.
In einem nach Corona-Regeln nicht ganz dicht, aber doch relativ gut besetzten Saal begrüßte Musical-Chef Mathias Davids das Publikum zur ersten Aufführung nach Sommer- und Lockdown-Pause. Am Programm steht ein Musical Play der britischen Autorin Pam Gems (1925 – 2011), das das Leben der französischen Chanteuse Édith Giovanna Gassion, als „La Môme Piaf“, später Édith Piaf zu Weltruhm gelangt. Trotz ihres – auch finanziellen – Erfolges war ihr kurzes Leben (sie starb mit nicht einmal 48 Jahren) in allen Phasen von Elend, tristen sozialen Verhältnissen, Sucht und Krankheit gezeichnet; auch sie selbst war wohl für ihre Umgebung kein einfacher Umgang.
Episoden dieses Lebens bilden das Handlungsgerippe, in das – meist chronologisch korrekt – ihre großen Hits eingebettet sind; nur das (freilich auch nur vordergründig) fröhliche „Milord“, geschrieben von George Moustaki und Marguerite Monnod, wird aus dem Entstehungsjahr 1959 zur Befreiung Frankreichs von der deutschen Besatzung vorverlegt.
In ein karges und abstrahierendes Bühnenbild von Mathias Fischer-Dieskau, das aber auch mit einigen sehr smarten Überraschungen aufwartet (ganz besonders aufregend und emotionell: der von Édith geträumte Marcel Cerdan wird auf fast filmische Weise eingeblendet), hat Matthias Davids eine sehr detaillierte und sorgfältig ausgearbeitete Inszenierung gestellt, die auch vor – plausibel authentischen – Derbheiten nicht zurückschreckt. Das Leben ist kein Ponyhof, und das von Édith Piaf war schon gar keiner.
Die Kostüme sind von Judith Peter mit großer Sorgfalt zeitauthentisch gestaltet worden, Choreografie (Hannah Moana Paul) und Lichtdesign (Michael Grundner) vervollständigen das überzeugende Gesamtbild. Leider nicht genannt werden die Verantwortlichen für die Maske, die bei den Wandlungen der Titelfigur ebenso Großes leisten!
Zwei immense Hypotheken hat das Unternehmen freilich: die Plattenaufnahmen Piafs sind immer noch recht verbreitet, und 2007 gab es eine sehr erfolgreiche Filmbiographie („La Vie en Rose“) von Olivier Dahan, in der Marion Cotillard mit einer atemberaubend intensiven Darstellung der Sängerin sämtliche denkbaren Preise abräumte. Dagegen muß man einmal aufstehen können…
Mit Daniela Dett in dieser Rolle freilich KANN man!! Nicht nur, daß sie das Stück mit einer netto mehr als zweieinhalbstündigen Bühnenpräsenz trägt, nicht nur, daß sie die bekannten Chansons zwar in ähnlichem Tonfall und Timbre wie Piaf, doch nicht imitierend, sondern angeeignet und spannend interpretiert, nicht nur, daß sie ihren Gesangsstil den rund 30 Jahren, die diese Biographie umfaßt, anpaßt und modifiziert – das alles wäre schon eine sehr eindrucksvolle Leistung. Aber nein, sie reicht auch schauspielerisch Marion Cotillard das Wasser, und zwar eimerweise: von der im Bordell aufgewachsenen unbekümmert-groben Straßengöre über den launischen, manipulativen Star der Music-Halls bis zur von persönlichen Katastrophen, Unfällen, Arthritis, Sucht und Depressionen verwüsteten frühen Greisin IST sie einfach die Piaf, mit absoluter Selbstverständlichkeit und Glaubwürdigkeit, mit atemberaubender Detaillierung – alleine schon ihre „arthritischen“ Hände sind sensationell; wenn man Filme von Piafs Auftritten in späten Jahren kennt und dann diese Darstellungsleistung, diese verblüffend authentische Körpersprache erlebt, kann man – vielleicht! – ermessen, wie tief und sorgfältig sich Frau Dett in diese Aufgabe hineingekniet haben muß… Das alles am Stück, UND noch dazu mit dem so unglaublich unmittelbar und ehrlich wirkenden Gesang: einfach eine gewaltige Leistung, für uns noch größer als die von Frau Cotillard. Bitte nichts mehr daran ändern bis zur Premiere!!!
Die übrigen Darstellerinnen und Darsteller sind Frau Dett erstklassige Partner, absolut auf Augenhöhe – im Detail werden wir deren Leistungen bei der Premiere würdigen.
Unter der musikalischen Leitung von Juheon Han ließ ein rund zehnköpfiges Orchester unter dem Namen „Les Bohémiens de Montmartre“ sehr gut einstudiert epoche- und genregerechte Klänge hören, meist so frappant am Original, wie man es z. B. vom Palastorchester des Max Raabe kennt.
Begeisterung im Publikum, besonders für Daniela Dett.
Es folgen noch einige „Previews“ – die Linzer Musicaltruppe geht, wenn auch im eigenen Haus, sozusagen off-Broadway (bzw. müßte man da wohl eher sagen off-Blumau…), bevor die offizielle Premiere am 18. September angesetzt ist.
Petra und Helmut Huber