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LINZ/ Landestheater/Musiktheater: MEDEE von Luigi Cherubini

Eine Opernrarität in neuem Gewand – und es passt ausgezeichnet

30.05.2019 | Oper

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Martin Achrainer, Theresa Grabner. Foto: Landestheater/ Reinhard Winkler

LINZ: Landestheater/Musiktheater: MEDEE von Luigi Cherubini Österreichische Erstaufführung der französischen Fassung 29. Mai 2019 (Premiere war am 4. Mai 2019)

Eine Opernrarität in neuem Gewand – und es passt ausgezeichnet

 „Hoch gepriesen und lässig besucht, von allen bewundert, von wenigen geliebt, das ist jederzeit das Schicksal der Cherubinischen Medea gewesen.“ So beschrieb der gestrenge Musikkritiker Eduard Hanslick, nach einer Aufführung 1880 in Wien, das Schicksal der auch von Beethoven hochgeschätzten Oper und ihres Komponisten. In der Tat hat es das 1797 auf Französisch uraufgeführte Werk (eine italienische Textfassung wurde erst 1865 erstellt) nach wie vor schwer, sich durchzusetzen. Gerade in letzter Zeit aber ist ein verstärktes Interesse zu registrieren. So wurde im Oktober 2018 an der Berliner Staatsoper das Werk herausgebracht, inszeniert von Andrea Breth, mit Barenboim am Dirigentenpult und mit Sonja Yoncheva in der Titelpartie. Und heuer im Sommer wird Cherubinis Meisterstück im Rahmen der Salzburger Festspiele zur Aufführung kommen, in der Regie von Medea-Spezialist Simon Stone, der erst im Herbst am Burgtheater seine Version der Medea nach Euripides präsentiert hat, und unter der musikalischen Leitung von Thomas Hengelbrock. Wieder einmal aber ist es das Linzer Landestheater, das die österreichische Erstaufführung der französischen Fassung für sich reklamieren kann. Und das ist kein Einzelfall: So waren in der nun zu Ende gehenden Saison u.a. Othmar Schoecks Oper Penthesilea sowie die Musicals Ragtime und Ein Amerikaner in Paris österreichische Erstaufführungen.

Die Inszenierung am Musiktheater des Landestheaters Linz – eine Koproduktion mit der Opéra von Nizza und dem Theater Erfurt – verwendet, wie in der Urfassung, gesprochene Zwischentexte. Diese werden allerdings auf Deutsch gesprochen und sind stark eingekürzt. Die Handlung (szenische Leitung Stephanie Kuhlmann) ist in die Gegenwart verlegt, als Schauplatz dient das in einem Wolkenkratzer befindliche Büro eines offenbar florierenden New Yorker Unternehmens. Jason ist ein smarter Manager, der sich in Dircé, die Tochter des Firmenchefs Créon, verliebt hat. Als musikalisch stark in die Handlung eingebundener Chor fungiert das Personal. Als Regieeinfall nicht gerade neu. Aber es funktioniert!

Die Oper setzt mit den Hochzeitsvorbereitungen ein. Alle freuen sich auf das Ereignis. Nur die Braut wirkt höchst angespannt und beunruhigt. Sie ahnt: Draußen lauert irgendwo Medea, die unberechenbare, von Jason verstoßene erste Frau und Mutter seiner zwei Söhne, und wartet auf die Stunde der Vergeltung.

Einer der Gründe, warum die Médée/Medea so selten auf den Opernbühnen anzutreffen ist, liegt in den ernormen gesanglichen und darstellerischen Anforderungen an die mit der Titelpartie betraute Solistin. Diese „Mörderpartie“- im wahrsten Sinn des Wortes – schreit nach einer Sopranistin, die in er Lage ist, die in vielfältigen Anläufen erfolgenden Charakterisierung der Seelenlage der Protagonistin glaubwürdig darzustellen. Kein Wunder also, dass man die Partie der Medea unwillkürlich mit Maria Callas gleichsetzt. Die Callas war es ja dann auch, die im legendären Film von Pier Paolo Pasolini 1969 die Hauptrolle übernommen hatte.

Gotho Greismeier macht ihre Sache gut und bewältigt die Herausforderung stimmlich und darstellerisch mit beachtlichem Geschick. Wie sie im letzten Akt. zwischen Mutterliebe und Vergeltungstrieb hin und hergerissen, sich schließlich doch zum unfassbaren Racheakt entschließt, ist von Cherubini mit musikdramatischem Gespür genial ausgeleuchtet und wird von ihr unter die Haut gehend vorgeführt. Man vermisst etwas die geheimnisvolle Aura, die die aus einem anderen Kulturkreis stammenden Frau und Zauberin umgibt, die der Liebe wegen nicht nur ihre Heimat aufgegeben, sondern dafür auch schreckliche Taten vollbracht hat. Griesmeier bleibt bis zum Schluss eine perfekt assimilierte und gestylte Frau.

Matjaz Stopinsek als Jason gibt einen Mann, der der Frage nach seiner Verantwortung und etwaigen Folgen seines Handelns bis zu Schluss ausweicht und dann vor vollendeter, schrecklicher Tatsache steht. Ob er wirklich aus Liebe Dircé zugetan ist oder nur aus Karrieregründen, bleibt offen. Dass ihm das Wohl seiner Kinder sehr am Herzen liegt, nimmt man ihm schon eher ab, auch wenn er es verabsäumt, angesichts der sich ankündigenden Gefährdung die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Er vertraut lieber den geschickten Vorspiegelungen und Versprechungen seiner „Ex“. Stopinsek, der schon mehrfach bei der Bühne Baden als Gast in Erscheinung getreten ist, verfügt über eine schöne Tenorstimme und weiß sie effektvoll einzusetzen.

Dircé ist eine junge Frau, die zum Spielball in einem unheilvollen Geschehen wird. Entscheidungen treffen die anderen – ihr Vater, Jason, Medea. Und so wird sie von Theresa Grabner auch dargestellt: als hilfloses Unterpfand in einem Machtkonflikt. Ihre Liebesgefühle erscheinen so von Anfang an mit der Angst vor Gefährdung und Ungewissheit vermischt.

Die Partie des Créon legt der mit einem ausdrucksstarken, noblen Bariton ausgestattete Martin Achrainer, ein Linzer Publikumsliebling, als einen souverän agierenden, jovialen Firmenchef an. Eine starke Leistung liefert Jessica Eccleston als Néris, Begleiterin der Médée. Sie hat nur eine einzige Arie zu singen, aber diese absolviert sie mit Bravour.

Die musikalische Leitung des Abends liegt in den Händen des erfahrenen Bruno Weil. Er hält den großen Bogen, schweißt die abwechslungsreiche Abfolge von dramatischen, lyrischen und deklamatorischen Elementen zu einer imponierenden Einheit zusammen und macht so das Urteil von Johannes Brahms – „Diese Medea, das ist, was wir Musiker unter uns als das Höchste in dramatischer Musik anerkennen“ – einigermaßen nachvollziehbar. Ein leuchtendes Beispiel für die musikdramatische Kraft Cherubinis liefert das tonmalerisch gespenstisch geschilderte Gewitter zu Beginn des dritten Akts, das den inneren Konflikt Médées angesichts ihres ungeheuren Racheplans vorwegnimmt. Erwähnung gebührt den beiden als Solisten in Erscheinung tretenden Flötisten und Fagottisten aus den Reihen des beherzt aufspielenden Bruckner Orchesters Linz.

Ein Besuch einer Aufführung dieser bemerkenswerten Inszenierung einer Opernrarität – Vorstellungen gibt es noch am 31. Mai sowie am 6. Juni – wird sehr empfohlen.

29.5. (Manfred Schmid)

 

 

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