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LINZ/ Landestheater: „I CAPULETI E I MONTECCHI (ROMEO UND JULIA)“ – Premiere, diesmal vor Publikum

23.05.2021 | Oper in Österreich

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Anna Alàs i Jové, Joshua Whitener. Foto: Reinhard Winkler/Landestheater

Linz: „I CAPULETI E I MONTECCHI (ROMEO UND JULIA)“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 22. 05.2021
Tragedia lirica in zwei Akten von Felice Romani, Musik von Vincenzo Bellini

„Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.“ Verlangte Vincenzo Bellini selbst. Gerade das – leider ewige – Sujet der unglücklich, ja unheilvoll Liebenden, die aus gegnerischen Kriegsparteien stammen, müßte sich zur Erfüllung dieses Postulats eignen.

Die 1830 in Venedig (La Fenice) uraufgeführte Oper erklang im Jänner 1834 erstmals in Linz. Romanis Libretto ist nicht am im damaligen Italien kaum bekannten Shakespeare orientiert, sondern an älteren italienischen Novellen, etwa von Matteo Bandello. Die Besetzung des Romeo mit einer Frau mag den Ensemblebedingungen 1830 in Venedig geschuldet sein, wurde von Bellini aber musikdramaturgisch zum Vorteil gewendet: es sang die auch in Wien bekannte Giuditta Grisi (Inspiration für Bertès „Dreimäderlhaus“??)

Die Ouverture wird bei geschlossenem Vorhang gespielt. Kommt in der letzten Zeit zumindest hier in Linz (immer) öfter vor. Das erfreut – noch dazu, wenn sich Orchester und Dirigent so innig mit der Musik befassen wie bei dieser Produktion! Ab dem Moment, in dem das – berückend feingliedrig-melodiös von den hohen Holzbläsern gespielte – Seitenthema einsetzt, wird auf den Vorhang eine durcheilte, graue, unscharf-verregneten Landschaft projiziert, gemischt mit Szenen aus der Beziehung zwischen Romeo und Julia, bis zu dem tristen Moment, in dem die beiden einander entgleiten…

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Michael Wagner, Anna Alàs i Jové. Foto: Reinhard Winkler/Landestheater

Die Inszenierung durch Opernstudioleiter Gregor Horres hält sich – trotz modernen set designs – weitestgehend ans Werk. Nur das finale Blutbad wird etwas überstrapaziert: Lorenzo wird in den Straßenkämpfen zwischen Ghibellinen- und Welfenanhängern von Tebaldo tödlich verwundet (nicht einfach nur festgesetzt), Tebaldo tötet dann (natürlich) nicht Romeo, aber aus Entsetzen über den Tod Julias sich selbst. Und Giulietta findet noch eine Pistole, mittels derer sie aktiv dem vergifteten Geliebten folgt. Gefühlswelten und Interaktionen der Protagonisten wurden jedenfalls darstellerisch exzellent erarbeitet, wozu auch die Choreografie von Ilja van den Bosch beiträgt. Insgesamt ist diese Produktion dem vorgenannten Postulat des Komponisten somit zweifelsfrei dienlich!

Ebenso damit kompatibel ist die visuelle Gestaltung – Bühne Elisabeth Pedross, Kostüme Yvonne Forster – mit einem machtvoll-unheilskündenden dunklen Monolithen als Zentralelement, der durch die Drehbühne vielfältig variiert werden kann. Die Bühnengestaltung ist auch akustisch gelungen – Stütze des Gesanges, aber keine störenden Nebenechos. Kleidung und generelle Aufmachung sind modern gehalten, aber nicht beschränkt auf eintönige graue Businessanzüge, sondern liefern Charakterbilder. Ein kleiner Lapsus allerdings ist, daß die im Text klar erwähnte, handlungsrelevante Verkleidung Romeos als Welfe keinen Niederschlag findet. Die Aufmachung des grau gekleideten Chors mit an Astronautenanzüge gemahnenden Ringen um den Hals und Silberschminke beschäftigt uns seit der Netzpremiere im April – live und in 3 D betrachtet könnte das ein Verweis auf eine Rüstung sein?

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Ilona Revolskaya. Foto: Reinhard Winkler/Landestheater

Musikalisch hat der Würzburger GMD Enrico Calesso glänzende Arbeit geleistet: transparent, herrliche Kantilenen, dann wieder perlende Italianità … und auch die zutiefst beseelten, emotionellen Momente gestaltet der Dirigent großartig, läßt das Orchester mit Sängerinnen und Sängern – und mit der Gefühlswelt – atmen. Das, so nicht mit Blasinstrumenten befaßt, maskenbewehrte Bruckner Orchester Linz liefert die wunderbare Leistung, die für den Erfolg dieser ausgefeilten Konzeption Voraussetzung ist.

Chor und Extrachor des Landestheaters Linz unter Elena Pierini und Martin Zeller treten machtvoll auf, sind aber, gegenüber der Originalpartitur, ihres weiblichen Anteils beraubt. Dies mag coronabedingten Beschränkungen geschuldet sein, aber die dadurch bedingte dunklere Grundstimmung paßt gar nicht schlecht zur Handlung.

Capellio, Oberhaupt der Capuleti und Vater Giuliettas, ist Dominik Nekel, nobel wie emotionell eindrucksvoll. Tebaldo ist Joshua Whitener besetzt, Gast aus Würzburg; kraftvolle Stimme mit Schmelz und sicherer Höhe, ein Genuß! Der nicht nur gegenüber Julia mit allerlei Mittelchen hantierende Dottore Lorenzo ist das Ensemblemitglied Michael Wagner, der rollengemäß menschlich wie stimmlich Wärme ausstrahlt.

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Anna Alàs i Jové. Foto: Reinhard Winkler/Landestheater

Der fantastische Eindruck, den die beiden Ensembleneulinge in den Hauptrollen bei der Netzpremiere gemacht haben, hat sich auch live im Saal bestätigt: Ilona Revolskaya (u. a. aus dem Theater an der Wien bekannt) ist eine bezaubernde und aufwühlende Giulietta mit Dramatik, tiefer Emotion, Sanftheit, Hingabe – einfach allem, was man für eine bewegende Gestaltung dieser Rolle braucht; ihre saalfüllende Stimme kennt auch in den Momenten großer Dramatik keine Schärfe, nur samtige, dabei höchste Intensität. Mezzo Anna Alàs i Jové läßt Romeo über die Bühne wirbeln, hervorragendes Schauspiel vom angespannten Kämpfer bis zum hingebungsvoll Liebenden. Auch ihre Stimme hat Gänsehautqualitäten – anders kann man dieses niemals scharfe Spektrum von glasklaren, druckvollen Tönen am untersten Rand des Stimmumfanges bis zur strahlenden Höhe, mit intensivsten emotionellen Färbungen, nicht beschreiben. Die beiden kassieren auch so gut wie immer Szenenapplaus – manchmal durchaus schmerzlich, weil durch selbigen die so sorgfältig von Darstellerinnen, Dirigent und Orchester aufgebaute Stimmung gebrochen wird… auch wenn mitunter sogar das Publikum ein paar Sekunden durchatmet, um die Emotionen vor dem Applaus zu verarbeiten.

Nach dem traurigen Schluß geht es nach solch tollen Leistungen natürlich definitiv nicht ohne Applaus, der lautstark und reichlich gespendet wird.

Petra und Helmut Huber

 

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