Linz – 9.112024 : Günther Groissböck mit Schuberts „WINTERREISE“ im Linzer Landestheater
Florian Krumpöck, Günther Groissböck
Die Winterreise, op. 89, D 911, ist ein Liederzyklus, bestehend aus 24 Liedern für Singstimme und Klavier, den Franz Schubert im Herbst 1827, ein Jahr vor seinem Tod, vertont hat. Die Texte stammen aus einer Gedichtsammlung des Dichters und Schriftstellers Wilhelm Müller (1794-1827) mit dem Titel Wanderlieder von Wilhelm Müller-Die Winterreise in zwölf Liedern, die später durch eine Fortsetzung erweitert wurden. Der 2. Teil bestand ebenfalls aus 12 Liedern. (Schubert unterteilte sie in die Erste und Zweite Abtheilung.) Dennoch erscheint das Werk aus heutiger Sicht wie aus einem Guss, sodass es auch durch die ansonsten übliche Aufführungspause nicht unterbrochen werden sollte. Es schildert die Reise durch ein scheinbar unerfülltes Leben, geprägt durch enttäuschte Liebe und absolutes Außenseitertum.
Der Dichter Wilhelm Müller hat dem Komponisten Franz Schubert, beide jung verstorben, damit nachgerade aus dem Herzen gesprochen. Ja, man könnte fast von einer Art Wahlverwandtschaft sprechen. Durch die Vertonung der rhythmisch unregelmäßigen Verse mit zahlreichen Wortkreationen revanchierte sich der Komponist mit dem Geschenk der Unsterblichkeit an den Dichter. Denn ohne Schubert wäre Wilhelm Müller in heutiger Zeit wahrscheinlich fast völlig vergessen. Die Dichtung, überhöht von der Komposition, dringt tief in menschliche Gefühlswelten ein und berührt damit auch das Publikum, indem sie erahnen lässt, dass wir alle auf Erden nur auf der Durchreise sind.
Ursprünglich konzipierte Schubert den Liederzyklus für Tenor und Klavier. Gleichwohl war für ihn das Transponieren in die Stimmlage des jeweiligen Sängers eine zu seiner Zeit selbstverständlich geübte musikalische Praxis. Die Winterreise wurde daher seit den Zeiten ihres vermutlich ersten Interpreten Johann Michael Vogel (1768-1840) aus Schuberts Freundeskreis in die Baritonlage transponiert, ehe sich im 20. Jahrhundert wieder die Tenorstimme durchsetzte. Inzwischen hat man Die Winterreise aber auch schon von Frauenstimmen gehört, und siehe da, es geht alles.
Und dann tritt da plötzlich ein Sänger auf den Plan, der mit seinem kostbaren Bass nicht nur Liedgut interpretiert, sondern auch jenseits der Opernbühne in der Lage ist, Schicksale erstehen zu lassen. Die einzelnen Strophen dieser Komposition, die Schubert selbst als „schauerliche Lieder“ und dennoch – zu Recht – als eine seiner besten bezeichnete, lassen Bilder winterlicher Unerbittlichkeit und klirrender seelischer Kälte aufscheinen. Günther Groissböck, der sich bei seiner Ankunft im Linzer Landestheater als noch ein bisschen indisponiert outete, durchlebt in seiner sensiblen Mimik und mit wenigen kleinen Gesten alle Stationen dieses bitteren Daseins eines imaginären Ichs. Die Wärme seiner Stimme kontrastiert da spannungsreich mit den düsteren frostigen Bildern, die Lebensüberdruss und Todessehnsucht verbreiten.
Kongeniale Unterstützung und Partnerschaft am Flügel erfährt er dabei von dem vielseitigen Liedbegleiter Florian Krumpöck, der auch Dirigent, Pädagoge, Komponist und Kulturintendant ist. Stundenlang hätte man diesen Beiden zuhören mögen. Das endende Lied vom Leiermann holte einen jedoch in die Wirklichkeit zurück.
Das Publikum, das teilweise aus den umliegenden Orten und auch aus Wien angereist war, verließ den Großen Saal dennoch nicht deprimiert, sondern beglückt von dieser hinreißenden Darbietung und bedankte sich mit Standing Ovations.
Ursula Szynkariuk