Linz: „UNSERE KINDER DER NACHT“ – Uraufführung im Musiktheater des Landestheaters Linz, Großer Saal, 19. 01.2025
Vaida Raginskyte, Daniel Morales Péres. Foto: Reinhard Winkler für Landestheater
Eine musikalische Geschichte für Erwachsene und Kinder ab 12 Jahren von Helmut Jasbar (Text und Musik)
Allen, die Radio Ö 1 hören, ist Helmut Jasbar seit Jahren ein Begriff: am häufigsten wohl als Gastgeber im RadioCafé beim „Klassik-Treffpunkt“, aber ebenso tritt er als Musiker und Komponist bzw. Autor auf.
„Etwas ist verschoben in der Welt: Kinder fallen wie tot von ihren Stühlen; ein Komiker rutscht auf einer Bananenschale aus und kann nicht mehr damit aufhören; die Zeit ist aus den Fugen; Seltsames, Unheimliches geschieht. Sind wir alle in Gefahr? Schließlich nehmen die jungen Menschen, die sich nicht ernst genommen fühlen, das Geschick in ihre eigenen Hände und brechen zu einer Reise mit unbestimmtem Ausgang auf. Sie suchen einen Ort, der nicht gerade für seine Hilfsbereitschaft und Menschenfreundlichkeit bekannt ist: Hades Incorporated, das Reich der Nacht. … eine Erzählung für Orchester, Vokalsolisten und Kinderchor über Zusammenhalt und Mitgefühl in Zeiten des Unheils“ (lt. website Landestheater). Und: wie Dramaturgin Anna Maria Jurisch in der Einführung erklärte (und im Programmheft schrieb), es geht um Kinderrechte!
Unter der umsichtigen und sorgfältigen Leitung von Ingmar Beck spielte das mit kräftigem Schlagwerksanteil aufgestellte, präzise Bruckner Orchester eine Partitur, die einen guten Teil (oft durchaus melodiöser) Minimal Music enthielt, aber auch mit Clustern und dramaturgisch gut eingesetzten atonalen Passagen arbeitet. Insgesamt zwar recht gut anzuhören, aber auch ohne dabei wirklich zu packen oder tiefer in die Emotionen zu gehen.
Vaida Raginskyte. Foto: Reinhard Winkler für Landestheater
Wortwörtlich „Regie“ gab es keine – Intendant Hermann Schneider war gemäß Programmheft für die „szenische Einrichtung“ zuständig; dementsprechend kommt das Werk am ehesten als szenisch umspieltes Oratorium daher. Auch die Bühne von Dieter Richter (seit Hindemith’s „Harmonie der Welt“ 2016/17 immer wieder in Linz tätig, demnächst für den „Holländer“) hält sich zurück: eine Projektionswand als hinterer Abschluß, Schulbänke, in denen die Kinder meist sehr ruhig sitzen, allenfalls schüchtern Kuscheltiere herumschupfen, sicher aber nicht wie tot von den Stühlen fallen oder sonstige Unheimlichkeiten zeigen; rechts vorne ein Küchentisch, an dem gefrühstückt wird und die Souffleuse sitzt. Den Großteil der Aufführung befindet sich die „Schulklasse“ hinter einem Gazeschleier, auf den projiziert wird.
Diese Videos von Gregor Eisenmann umfassen textlich passend verfremdete Bilder von Linz, mathematische Formeln, Textbausteine und, als Kreidetext auf eine Schiefertafel geschrieben, Kapiteleinteilungen des Stückes. Meentje Nielsen hat einfache, plausibel im Heute verankerte Kostüme anfertigen lassen – dazu als Gegenpart elegant, aber auch mit Humor gestaltete Traumfiguren und einen Zerberus, der der Verwandtschaft von Paulchen Panther angehören dürfte. Das Licht von Johann Hofbauer gestaltet den vorgegebenen Raum passend zur jeweiligen Situation des Stückes.
Gotho Griesmeier, Christian Drescher. Foto: Reinhard Winkler für Landestheater
Am Frühstückstisch reden die Mutter (Gotho Griesmeier) und der Vater (Christian Drescher) formelhaft-sinnleer – wenn auch gesanglich qualitätsvoll – aneinander und natürlich an den Kindern vorbei. Herr Drescher singt auch den kurz auftretenden Zerberus. Ein ebenso in Formeln gefangener, empathiearmer (aber „wichtiger“) Experte wird von Martin Achrainer mit gewohnter Intensität gesungen. Der Lehrer von Gregorio Changhyun Yun kann die Kinder auch nicht für irgendetwas interessieren – naja, auch dessen guter Baßbariton kann wohl nicht trockene mathematische Formeln wettmachen.
Wie und warum die Kinder schließlich die „Hades Inc.“ aufsuchen, kommt weder textlich noch szenisch wirklich heraus. Jedenfalls scheint das ganze Klassenzimmer in die (auch nicht weiter aufregende) Unterwelt zu fahren, wo sie von Zerberus begrüßt werden, worauf Nyx, die griechische Göttin der Nacht und der Magie, die Szenerie übernimmt; Vaida Raginskytė verleiht ihr mit ihrem tragfähigen, gut geführten und deutlich artikulierenden Mezzo einnehmende Persönlichkeit. Zusammen mit Hypnos (nochmals Herr Yun) singt sie, wie schon die Kinder zu Beginn des Stückes, von einem Amboss, der neun Tage in die Tiefe fällt (repräsentiert also wohl die stückrelevante Bedrohung?) und versetzt die Kinder in Schlaf.
Als die Kinder in der Oberwelt wieder aufwachen, tauchen auch die Eltern wieder auf, die ihnen versichern, sie in Hinkunft ernst zu nehmen; freilich klingt das genauso formelhaft und leer wie der elterliche Text zu Beginn des Stückes…
Daniel Morales Pérez. Foto: Reinhard Winkler für Landestheater
Ein ans Erscheinungsbild von Buster Keaton angelehnter Slapstick-Artist (Daniel Morales Pérez) rutscht als running gag immer wieder auf einer Bananenschale aus und stürzt beachtlich akrobatisch – aber ohne augenfälligen Bezug zu den vorgenannten Personen. Auch in der Unterwelt schaut er mit derselben Nummer vorbei, als Thanatos (sogar mit etwas Text, aber der klingt spanisch…), jetzt dementsprechend mit schwarzen Schwingen versehen.
Der Kinder- und Jugendchor des Landestheaters unter Elena Pierini spielt zwar eigentlich die tragende Rolle, bleibt aber lautstärkemäßig unterbelichtet (wenn auch sein Text mitzulesen ist, jedoch wenig Aufschluss für Fortgang und Motivation des Stückes liefert) und erhält auch keine Chance, bewegungsmäßig in den Vordergrund zu treten.
Schlussapplaus mit Produktionsteam und Helmut Jasbar, Foto: Petra und Helmut Huber
Helmut Jasbar mit Ensemble. Foto: Petra und Helmut Huber
Wenig enthusiastischer Applaus, ausgenommen für den jungen Chor, der sich aber natürlich die bisweilen aufflammende lautstarke Anerkennung von Freunden und Verwandten redlich verdient hat.
Petra und Helmut Huber