Linz: „DIE TOTE STADT“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 24. 09.2022
Erica Eloff (Marie/Marietta), Andreas Hermann (Paul). Foto: Philip Brunader
Oper in drei Akten von Paul Schott (Julius Korngold) nach dem Roman „Bruges-la-mort“ von Georges Rodenbach, Musik von Erich Wolfgang Korngold
Die – laut Marcel Prawy „letzte echte“ – Oper, die dritte der fünf des „Wunderkindes“ E. W. Korngold, wurde gleich an zwei Orten am 4. Dezember 1920 uraufgeführt: in Hamburg unter Egon Pollak und in Köln unter Otto Klemperer. In Linz stand sie bislang nicht auf dem Programm. Allerdings gab es im Oktober 2013 als erste Premiere dieser Sparte im neuen Musiktheater unter dem Titel „Schwanengesang“ ein Tanzstück von Mei Hong Lin nach dem selben Stoff, wenn auch die Musik nichts mit Korngold zu tun hatte.
Ensemble. Foto: Philip Brunader
Die Inszenierung von Andreas Baesler hält sich, was den eigentlichen Handlungsablauf anlangt, so gut wie völlig an das originale Buch, anders als die Grazer Produktion von 2015. Lediglich zu Beginn verunsichert ein augenscheinlicher Kriminalbeamter, der zusammen mit Frank auftritt, das Publikum, als er viele Details der „Kirche des Gewesenen“ eingehend untersucht. Im dritten Akt löst sich dieses Rätsel (auch das einer immer wieder am oberen Bühnenabschluß sichtbare vermutliche Überwchungskanzel), als die Regie eine besonders düstere Erklärung für Pauls Obsession liefert… aber immer: ohne Konflikt zum Originaltext!
Dramaturgie: Katharina John – sehr interessantes, lesenswertes Programmheft!
Bühne (Harald B. Thor) und Kostüme (Tanja Hofmann) bleiben ebenso im Stil der Handlungs- bzw. Entstehungszeit wie die Gestaltung der Projektionen (Philipp Ludwig Stangl), der z. B. für die Prozession im dritten Akt Bilder kreiert, die wie Filmen von Fritz Lang entsprungen erscheinen – immerhin hat dieser Filmregisseur 1921 mit „Der müde Tod“ ebenso eine Paraphrase des Rodenbach-Stoffes geschaffen. Die Prozession bleibt aber nicht auf bewegtes Schwarzweiß beschränkt, sondern bricht dann auch in die Realität – oder den Traum? – auf der Bühne ein. Manches erinnert auch an die zu Korngold zeitgenössischen Surrealisten. Das Lichtdesign von Stefan Bolliger unterstreicht einerseits die oft fürs Auge nur diskret >ver-rückte< Realität, schafft aber auch gänzlich surreale Stimmungen, besonders in den Verführungsszenen.
Jedenfalls arbeitet die Regie sicher nicht gegen die Sängerinnen und Sänger. Und so kann sich der ursprünglich lyrische Tenor (Essen, Mannheim) Andreas Hermann a. G. in der teuflisch schweren Rolle des Paul auf Gesang und Text im Einklang mit der Handlung konzentrieren. Sein Rollendebut gelingt ihm so ganz vorzüglich – trotz seiner nach wie vor schlanken Stimme kann er sich, ohne vernehmliche lautstärkemäßige Hilfe seitens des Dirigenten, auch gegen das volle Orchester von ca. 80 Mitgliedern durchsetzen. Er vergißt dabei auch nicht auf eine sorgfältige schauspielerische Charakterisierung. Allenfalls zu Beginn des dritten Aktes kann man eine leichte Ermüdung der Stimme bemerken, jedoch schwingt sich Herr Hermann im Finale noch einmal zu ordentlich Druck, feiner Lyrik und sicherer Höhe auf. Immer bleibt er auch hervorragend sprachverständlich.
Ensemblemitglied Erica Eloff ist als Marietta / Erscheinung Mariens schlichtweg eine Idealbesetzung – egal, ob Umfang, Druck und Modulation ihrer Stimme, schauspielerische Gestaltung, Tanz (! – Choreografie Yuko Harada), sie liefert eine begeisternde, mitreißende und – nicht zuletzt Verdienst des exzellenten Librettos – emotionell aufwühlende Leistung! Oder auch: den Vergleich mit der seinerzeitigen Spitzen-Marietta Maria Jeritza hält sie absolut aus.
Pauls Freund Frank ist, präzise, ausdrucksstark, wortdeutlich und höhensicher, Martin Achrainer; Haushälterin Brigitta wird von Manuela Leonhartsberger, gebürtige Linzerin, derzeit an der Wiener Volksoper im Ensemble, mit Wärme und Hingabe gestaltet.
Ensemble. Foto: Philip Brunader
Die fast wie in einem Film Fellinis ins „Venedig des Nordens“ einfallende schrille, quirlige und sängerisch zur protagonistischen Besetzung mindestens adäquate Theatertruppe besteht aus Juliette (für die kleine Rolle luxuriös: Ilona Revolskaya), Lucienne (Gotho Griesmeier), Gaston (Domen Fajfar), Victorin (Jin Hun Lee) und Graf Albert (Yuranny Hernández Gómez). Hervorstechend Pierrot Fritz, von Adam Kim mit erstklassigem lyrischem Bariton gestaltet.
Die Basis liefert immer wieder der Chor des Landestheaters Linz, mitunter auch der Kinder- und Jugendchor, perfekt einstudiert von Elena Pierini. Auch feine Charakterisierungen (Kriminalinspektor, Bischof/Prozessionsteilnehmer) aus den Rängen der Statisterie runden das Gesamtbild ab.
Das Bruckner Orchester klingt diesmal über weite Strecken ausgesprochen samtig, immer präzise und musiziert die hochkomplexe Partitur des genialen Orchestrators Korngold, unter der Leitung von Markus Poschner, natürlich wieder in hervorragender Abstimmung und Balance zur Bühne.
Schlussapplaus. Foto: Petra und Helmut Huber
Nach 2 ¾ Stunden Begeisterung des Publikums bis zur standing ovation, vorrangig für Frau Eloff und Herrn Hermann, aber auch für Dirigent und Orchester; das Produktionsteam bekommt ebenso ausdrückliche Zustimmung. Insgesamt eine Produktion, die dieses über Jahrzehnte übersehene Werk in ein verdient vorteilhaftes Licht rückt!
Petra und Helmut Huber