„Martern-Arie“: Brigitte Geller, Hans Schöpflin. Foto: Reinhard Winkler/ Linzer Landestheater
Linz:„DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL“– Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 15. 11.2019
Singspiel in drei Akten nach der „Operetten“-Vorlage von Christoph Friedrich Bretzner, Libretto von Johann Gottlieb Stephanie d. J., Musik von Wolfgang Amadé Mozart
François De Carpentries, dessen hintersinniger Humor auch hier in Linz schon einige Mozart-Produktionen geprägt hat, hat sich nun des Salzburger Meisters prototypischen deutschen Singspiels angenommen. Er betont, nicht dogmatisch-feministisch, sondern immer mit dem Schalk im Nacken, die Macht der Frauen, die in diesem Stück eine größere Rolle spielt als den Protagonisten lieb ist. Das hat er, mit dramaturgischer/textlicher Unterstützung von Ira Goldbecher und Katharina John, so charmant und selbstverständlich gemacht, daß man sich bald gar nicht mehr wundert, warum die Handlung 1924 im Wiener Café Central beginnt – zunächst allerdings mit doch ein bißchen viel gesprochenem Text und einem überraschenden Brief. Von dort aus geht es13 Jahre zurück. Nicht ins eigentliche „Türkenland“, sondern in den Magrib, nach Tripolitanien, unmittelbar vor Beginn der italienischen Kolonialzeit, also sehr wohl osmanisches Land.
Theresa Grabner, Brigitte Geller. Foto: Reinhard Winkler/ Linzer Landestheater
Constanze ist eine Filmpionierin, die nordafrikanisches Leben in bewegten Bildern dokumentieren will; als adelige Dame hat sie auch 1911 selbstverständlich eine Zofe, Blonde – und der Kameramann heißt Pedrillo. Die soziale Ordnung bleibt auch gültig, nachdem das Trio von Selim gefangengenommen wurde. Später, nach dem Großen Krieg – also in der Rahmenhandlung – geraten diese geordneten Verhältnisse, den anderen Zeiten entsprechend, aus den Fugen… mit auch Resultat davon, daß sich Belmonte im Finale der eigentlichen Opernhandlung als Charakterverwandter des Don Ottavio erwiesen hat.
Weil wir uns in der frühen Moderne befinden, hat Karine Van Hercke Bühnenräume geschaffen, die mit ihrer eleganten und durchaus stimmungsträchtigen Abstraktion der maurischen Architektur an die Arbeit eines Emil Pirchan erinnern. Vervollständigt wird dieser „Orient“ durch antikischeVideos, die aus Constanzes/Pedrillos Filmen bestehen (AurélieRemy – dazu die im klassischen Stummfilmstil gehaltenen Zwischentitel nicht zu vergessen!) undden vom Regisseur mit Herbert Sachsenhofer vorzüglich ausgeloteten Lichtstimmungen. Auch Frau Van Herckes Kostüme sind dem frühen art déco verpflichtet, und fürdie Ausstaffierung des „Wanderers“ (oder hergelauf‘nen Laffen) namens Belmonte, der vor dem Palast des Bassa auftaucht, wurde wohl an Indiana Jones Maß genommen…
Modern wirkt auch die körperbetont-temporeiche Bühnenaktion, wenn auch nicht solch wildes Gerangel wie zwischen Diana Damrau und Nicholas Ofczarek 2006 am Burgtheater verlangt ist. Allerdings verlieren sich mitunter die meist sehr wenigen Personen auf der großen Bühne, trotz vieler action– diesem für die viel kleinere Hofbühne entworfene Kammerspiel hätte wohl ein für die 1911er-Handlung verkleinertes Bühnenportal mehr Konzentration und Stringenz gebracht, die die Musik des späteren 18. Jahrhunderts noch nicht zu ergänzen imstande ist.
Auch noch so kleine Einwände freilich sind bei der musikalischenEinstudierung (ihrer ersten in Linz) und Aufführungsleitung durch Katharina Müllner nicht angebracht: angefangen von einer sehr flott genommenen, aber präzise wiedergegebenen Ouverture regieren plausible und musikalisch wie zur Handlung selbstverständlich passende Tempi, Eleganz und immer einfühlsame Partnerschaft zu Sängerinnen und Sängern – ein perfekt gelungener Einstand im Premierenbetrieb! Das Bruckner Orchester produziert seidige, tänzerisch-leichte Klänge, und mit Ausnahme eines winzigen Cello-Ausrutschers im Vorspiel zur Martern-Arie hält es auch jeglichen Präzisionsanforderungen stand. Großartiger Mozart ist das Resultat.
Den Selim Bassa gibt diesmal ein Sänger, der offensichtlich auch in präziser und dramatisch-emotionell plausibler Sprechweise zu Hause ist: Hans Schöpflin.
Hans Schöpflin, Brigitte Geller. Foto: Reinhard Winkler/ Linzer Landestheater
Konstanze ist KS Brigitte Geller; längs im dramatischen Fach etabliert, mit hervorragenden Auftritten als Strauss’sche Kaiserin oder Chrysotemis, liegt ihr dieser Mozart nicht unbedingt – die Koloraturen in „Ach ich liebte, war so glücklich“ sind bisweilen doch etwas verrutscht, jedoch gelingt die Martern-Arie, auch hinsichtlich der „geläufigen Gurgel“, sehr gut. Und insgesamt, auch in den bewegend gestalteten lyrischen Teilen der Rolle, liefert sie eine sehr zufriedenstellende Leistung.
Die Blonde von Theresa Grabner ist erwartungs- und rollengemäß quirlig, immer mit rundem, fast samtigem Stimmcharakter, auch in den Koloraturen; auch darstellerisch eine delikat selbstbewußte Gestalt. Erneut eine hervorragende Mozart-Verkörperung der Ensemble-Soubrette.
Der Belmonte des Abends ist ein Gast aus Würzburg: Johannes Strauß ist ein erstklassiger Kavalierstenor, strahlende Stimme mit einem Hauch von Träne, wunderbares Legato, und auch ein kompetenter (Sprech-)Schauspieler. Mit der Baumeister-Arie seiner Verkörperung ein zusätzliches Glanzlicht aufzusetzen hat ihm diese Produktion allerdings – vermutlich im Interesse eines stringenten Handlungsablaufes im dritten Akt – vorenthalten. Alternativbesetzung in einigen Aufführungen wird sein Fachkollege vom Haus, Mathias Frey, sein.
Für den köstlichen Schauspieler und vorzüglichen Charaktertenor Matthäus Schmidlechner ist der Pedrillo „ein Heimspiel“, wie Intendant Hermann Schneider bei der Premierenfeier richtig bemerkte. Im doppelten Sinne natürlich, für das langjährige und verdientermaßen beliebte Ensemblemitglied… Er wird gelegentlich vom Opernstudio-Tenor Rafael Helbig-Kostka vertreten werden, der eine gelungene Talentprobe für diese Rolle bei der öffentlichen Generalprobe ablegte.
Aufseher und Wutbürger Osmin war heute Michael Wagner (Alternativ: Dominik Nekel): köstliches Schauspiel, über den größten Teil des Registers prachtvoll tragende, wo nötig richtiggehend zum (samtig angesetzten) Donnern und Wüten fähige Stimme – nur die allertiefsten Register sind (noch) nicht so ganz seins, auch wenn er, bei reduziertem Druck, durchaus die Töne zu Gehör bringt.
Der Statisterie des Hauses entstammten die grimmen Janitscharen in Bassas Reich und die diskreten Kellner des Café Central.
Zufriedener Applaus des ausverkauften Saales, ein Buh-Ruf für das Produktionsteam, prompt von den Applaudierenden kompensiert.
Petra und Helmut Huber
Bei der öffentlichen Premierenfeier: Johannes Strauß, KS Brigitte Geller, Hans Schöpflin, Seollyeon Konwitschny (Abendspielleitung/Regieassistenz), Aurélie Remy, Karine Van Hercke, Francois de Carpentries. Foto: Petra und Helmut Huber