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LINZ/ Landestheater: GRÄFIN MARIZA – Operette von Emmerich Kálmán. Premiere

23.10.2022 | Operette/Musical

Linz: „GRÄFIN MARIZA“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 22. 10.2022

Operette in drei Akten von Julius Brammer und Alfred Grünwald, Musik von Emmerich Kalman (Kálmán Imre)

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Carina Tybjerg Madsen, Matjaž Stopinšek. Foto: Barbara Palffy/Landestheater Linz

Das am 28. Februar 1924 im Theater an der Wien uraufgeführte Standardwerk der silbernen Operettenära wurde bislang in Linz neun Mal inszeniert, beginnend mit Dezember 1924. Das Handlungsgerüst bietet nicht sehr viel Raum für Zeitkritik, aber ist doch sehr in den Folgen des Zerfalls des Habsburgerreiches und Aufhebung der Adelsprivilegien verwurzelt. Das kann natürlich eine recht sentimentale Angelegenheit werden, aber kitschig wollten die Textautoren wohl nicht sein. Unterhaltung mit klassischen Theatertypen war das Ziel, und damit auch finanzielle Einträglichkeit. Jedenfalls: das Stück hält sich bis heute auf den Bühnen.

Der Lehár-Festival-Chef Thomas Enzinger ist verantwortlich für die neue Inszenierung; er bemüht sich nicht, gescheiter als die Autoren zu sein, und widmet sich stattdessen – erfolgreich – sorgfältiger Charakterzeichnung und Handlungstempo. Für die Showeffekte sorgen Evamaria Mayer mit teils atemberaubender Choreografie und vielfältigem Einsatz der acht Damen und Herren des Balletts, die geschickt mit Versatzstücken arbeitende, mit großer Tiefe angelegte Bühne von Bernd Franke und die mit Witz zwischen ländlichen wie städtischen Zwanzigerjahren und Revueglamour changierenden Kostüme von Götz Lanzelot Fischer. Am Bühnenhintergrund sorgen die Videos von Andreas Ivancsics für atmosphärische Verdichtung und manchen gag – am verblüffendsten die Ankunft des „Baron“ Zsupan, der auch sonst den einen oder anderen Trick auf Lager hat. Mitunter schafft letzteres Trio richtiggehend surrealistische Bilder – immerhin auch ein Stil, der in den 1920ern wurzelt. Besonders bei den vielen raschen Umzügen von Ballett, Chor und Statisterie sei auch lobend auf die Kostümassistenz (u. a. Elisabetta de Cave, Doris Hornsey) verwiesen!

Eingebettet ist das Ganze in eine Art Rahmenhandlung, in der ein kleines Mädchen (Isabela Guadalupe Mehr) in einer Bibliothek die Geschichte der Gräfin Mariza findet und liest… Vielleicht nicht unbedingt notwendig, stört aber auch nicht. Eine weitere Klammer ist der virtuose Bühnengeiger (Sorin Stefan), der natürlich auch eine wichtige Rolle etwa bei der Tenorarie „Komm, Zigány“ spielt.

Dramaturg Christoph Blitt, ein großer Freund der politischen Korrektheit, hat für das Programmheft eine sehr interessante Abhandlung über die Silberne Operettenära verfaßt. Bei einem weiteren Artikel über die Verwendung des „Z-Wortes“ in der Operette gerät er jedoch merklich an seine Grenzen.

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Sorin Stefan, Michael Wagner, Carina Tybjerg Madsen. Foto: Barbara Palffy/Landestheater Linz

Die umschwärmte Gräfin Mariza ist Carina Tybjerg Madsen, Ensembleneuzugang aus Dänemark, und zwar ein sehr beeindruckender: nicht nur, daß sie in dieser Rolle eine höchst attraktive Erscheinung ist, sondern kann sie auch mit einer mehr als beachtlichen Stimme aufwarten – freie, scheinbar mühelose Höhen, vorzügliche Phrasierung, erstklassige Diktion. Dazu ist sie auch eine köstliche Komödiantin.

Hier sei angemerkt, daß mit Stützmikrophonen gearbeitet wird, was mit der großen Bühnentiefe sicher nicht nur bei Dialogstellen hilfreich ist. Andererseits ist aber insbesondere bei Spitzentönen festzustellen, daß uns der Großteil des Schalls „direkt“, nicht auf dem Umweg durch die Lautsprecheranlage erreicht. Dies aber ohne merklichen Zeitversatz oder sonstige gegenseitige Beeinflussung der „beiden Tonquellen“ – die Tontechnik ist also auf Draht (Kai Mäder und Kollegen)!

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Michael Wagner, Carina Tybjerg Madsen. und ein Mulatsagopfer. Foto: Barbara Palffy/Landestheater Linz

Michael Wagner gibt als Fürst Populescu einen nicht nur fiesen, sondern auch bedrohlich-eleganten Intriganten, großartig als Baßbuffo. Sein Gegenstück im Tenorregister ist in der Rolle des Baron Zsupán der Ensembleneuling Jonathan Hartzendorf: nicht nur hervorragend bei Stimme, tragend und sehr schön timbriert in allen Lagen, sondern auch ein körperlich höchst präsenter Komödiant, bis hin zu fast akrobatischen Tanzeinlagen – besonders in der aufwendig und höchst gagreich präsentierten „Varasdin“-Nummer kann er einerseits mit seinem klassischen Gesang brillieren, andererseits punktet er auch mit einem köstlichen rap. Minutenlanger Szenenapplaus war der Lohn.

Den Graf Tassilo gestaltet Matjaž Stopinšek nahe am tenore di grazia, mit wunderbarem Legato, vorzüglicher Höhe und überzeugendem Schauspiel. Gerade bei ihm kommen rollengemäß auch Melancholie und Resignation nicht zu kurz – aber all das bleibt auch sauber und gradlinig, ohne billige Larmoyanz. Seine Schwester Lisa ist mit großem, ansteckenden Vergnügen Fenja Lukas, die sich damit (auch) wieder einmal als erstklassige Operettensoubrette präsentiert.

Als Komikerduo im dritten Akt machen April Hailer (Fürstin Božena) und Markus Raab als Kammerdiener Penižek Spaß, wobei aber großteils darauf verzichtet wird, aktuelle Satire einzubauen; allenfalls die „Schönheitschirurgie“ kriegt ein paar Watschen.

Tschekko, einem alter Diener Marizas, wird von Thomas Pohl Profil verliehen. Der kurze Auftritt der jungen Wahrsagerin Manja wird von Karina Jay Bailey präzise und mit einer kleinen Prise Dämonie absolviert.

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Tanzensemble. Foto: Barbara Palffy/Landestheater Linz

Das phänomenale Tanzensemble (Zigeuner, Bauern, Revuetruppe und und und…) besteht aus Ilia Dergousoff, Katharina Glas, Mischa Hall, Lan Dan Kerstanj, Elisa Lodolini, Rutsuki Povrazník, Lukas Ruzizka und Beatriz Scabora. Neben vielen toll choreographierten „Originalszenen“ der Gräfin Mariza bekommen diese als Brillanzstück im 2. Akt eine Einlage, die der „Herzogin von Chicago“ des selben Komponisten entnommen wurde. Chor (Einstudierung Elena Pierini) und Statisterie vollenden den vorzüglichen Gesamteindruck der Produktion.

Marc Reibel dirigierte, wie alle Operettenpremieren der letzten Jahre. Er entlockte dem in Johann-Strauss-Besetzung angetretenen, makellos präzisen Bruckner Orchester schwebende Walzer, ehrliche Lyrik, spannungsreiche Csardas‘ (mit präziser und organischer Agogik) und jazzig-schwungvolle Ragtimes und Charlestons. Bühne und Graben agierten in perfekter Einheit.

Nach viel Szenenapplaus auch abschließend große Begeisterung, standing ovation, besonders für die fünf Hauptrollen, Dirigent und Orchester, aber auch deutlich für das Produktionsteam eines vergnüglichen, Kitsch vermeidenden und viel fürs Auge bietenden Unterhaltungstheaters.

 

Petra und Helmut Huber

 

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