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LINZ/ Landestheater/Gr. Saal: LA FORZA DEL DESTINO . Premiere

22.01.2023 | Oper in Österreich

Linz: „LA FORZA DEL DESTINO“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 21. 01.2023

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Peter Konwitschny beim „Sonntagsforum“. Foto: Petra und Helmut Huber

Oper in vier Akten von Francesco Maria Piave nach dem Drama Don Álvaro oder Die Macht des Schicksals von Ángel de Saavedra y Ramírez de Baquedano Herzog von Rivas, spätere Ergänzungen und Korrekturen von Antonio Ghislanzoni, Musik von Giuseppe Verdi

„Linzer Fassung“ (der Regisseur sagt, für diese ist hauptsächlich der Dramaturg Christoph Blitt verantwortlich), italienische Sprache mit Übertiteln

In Harenbergs Opernführer wird die Handlung dieser im Auftrag des Bolschoi-Theaters von St. Petersburg verfaßte Oper von 1862 als „diffus“ bezeichnet. Andererseits ist die Handlung eigentlich nur: „Der Sopran liebt den Tenor, der Bariton hat was dagegen. Am Schluß sind der Sopran und der Bariton tot und der Tenor unglücklich.“ (Dr. Blitt bei der Vorstellung der Produktion im Rahmen des Vereins der Musiktheaterfreunde). Und dazwischen? „Es wird gepredigt und immer wieder Bohnensuppe gegessen“ (Regisseur Peter Konwitschny, ebenda). Worauf es ankomme, sei ja das im Titel genannte ausweglose, und von Verdi explizit komponierte und instrumentierte Verhängnis. Und das lasse sich auch in einer wesentlich kürzeren Bühnenhandlung demonstrieren. Im Dialog mit dem erklärtermaßen besonders theateraffinen Dirigent Enrico Calesso sagt der als Opernregisseur sehr erfahrene Konwitschny auch: „nicht jeder Dirigent weiß, was Theater ist, nicht jeder Regisseur weiß, was Musik ist“. Schaumermal, ob die Ansage bei dieser Produktion werthaltig ist.

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Enrico Caesso und Dramaturg Christoph Blitt. Foto: Petra und Helmut Huber

Im Landestheater Linz war diese Oper erstmals am 30. April 1938 zu erleben. Ab 1945 gab es hier vier Inszenierungen mit insgesamt 54 Aufführungen.

Umstellungen und Kürzungen sind bei diesem Werk, aus verschiedensten Motiven heraus, schon lange, auch unter Verdis Aufsicht, üblich, und aufgrund der, ähnlich dem „Trovatore“, episodenhaften und mehrere Ebenen enthaltenden Struktur auch ohne Störung der musikalischen Substanz möglich. So werden im Begleitheft vor rund 100 Jahren entstandene Versionen des Dirigenten Georg Göhler und von Franz Werfel genannt. Die heute erstmals aufgeführte „Linzer Fassung“ weist, soweit uns erkennbar, folgende Änderungen zur gängigen Mailänder Fassung von 1867 auf: Es fehlen die Figuren Fra Melitone, der Alcalde und Mastro Trabuco; die Chorstellen mit Soldaten entfallen großteils ebenso, es bleiben im wesentlichen die – schrill und ironisch den Krieg „verherrlichenden“ – Stellen mit Preziosilla, in denen man aber eher ein Heer von menschgewordenen (gefleckten) Kriegshyänen oder Zombies zu sehen bekommt,  von eindrucksvollen optischen und akustischen Effekten illustriert und intensiviert, die den ganzen Saal und damit das Publikum miterfassen. Nota bene: das Konzept war schon längere Zeit vor dem russischen Überfall auf die Ukraine vom Februar 2022 fertig. Es bleiben 1½ pausenlos-intensive Stunden mit konzentrierter Interaktion der Hauptfiguren, mitunter vom „Zombiechor“ kommentiert oder kontrapunktiert. Im wesentlichen ist der einzige „Handlungschor“ der der Mönche bei der Investitur Leonores. Und im Finale wird noch einmal alles an stimmlicher Pracht ausgepackt; in einer Art Apotheose singen auch die Toten, angefangen von Vater Calatrava, mit.

Die Szenerie (ebenfalls von Peter Konwitschny konzipiert, Mitarbeit Anna Beck, Kostüme Karin Waltenberger) ist in einer nicht näher zu bestimmenden Zeit verortet, moderne und „unmoderne“ Elemente werden zwanglos und dramaturgisch durchaus plausibel zusammengemischt. Während der Ouverture öffnet sich der Vorhang, sehr, sehr langsam; dazuerfundene „Vor-Handlung“ hat die Inszenierung nicht nötig.

Handlungsort ist ein bunkerartiger rostbrauner Hinterhof – und wenn sich die Bühne dreht, ist das nächste Bild wieder genau das selbe rostige Eck, und wieder und wieder: die Akteure sind in ihrem Schicksal gefangen, ihr mitleidsloses Biotop ist unentrinnbar. Für die Sängerinnen und Sänger bringt diese Bühne freilich einen gewaltigen Bonus, denn die Form ist ideal als Stütze für ihre Stimmen! In diesen auch – sinnvollerweise gewollt – klaustrophobischen Räumen, die jeweils den komprimierten Akten entsprechen, spielen meist nur zwei, drei Personen, die entsprechend auch die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums haben.

Die Figuren beachten intensive schauspielerische Interaktion (Mitarbeit Inszenierung Seollyeon Konwitschny), sehr realistisch – „Forza“ wird ja gerne auch als Verdis „veristischeste“ Oper betrachtet. Nur einmal wird die Realitätsebene verlassen: der Tod des Marchese von Calatrava kommt durch eine Kugel, die ihn – natürlich besonders bösartig unentrinnbar und unaufhaltsam – in Zeitlupe trifft.

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Erica Eloff, Dominik Nekel. Foto: Reinhard Winkler /Landestheater Linz

 

Dieser Marchese ist Michael Wagner mit nobel strömendem Bass, der auch dieser kleinen, wenn auch handlungsentscheidenen Rolle seine ganze Aufmerksamkeit schenkt. Seiner Tochter Leonora wird durch Erica Eloff mitreißend plastisches Leben verliehen, mit zartester Lyrik, tiefer Verzweiflung, intensivsten Ausbrüchen, mühelos über das groß besetzte Orchester hinweg – kurz gesagt, sie fügt ihren fantastischen Leistungen als Fidelio, Figaro-Gräfin oder Marietta eine weitere Großtat hinzu. Wobei man gleich anmerken muß, daß die Zweitbesetzung dieser Rolle, Carina Tybjerg Madsen, bei ihrem Auftritt im Sonntagsfoyer zu dieser Produktion sehr ansprechend klang! Leonoras Bruder Don Carlo ist für Adam Kim wohl genau das Richtige für seine Kehle – so selbstverständlich und druckvoll gestaltet er die Partie! Dabei kann er auch, in den Duetten mit seinem Todfeind Don Alvaro, ebenso berührend sein.

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Adam Kim, Sung-Kyu Park. Foto: Reinhard Winkler/Linzer Landestheater

Sung-Kyu Park singt und spielt diesen wegen seiner Herkunft verachteten exotischen Prinzen. Er ist der einzige Gast in der Besetzungsliste, wenn auch, von Aida und Trovatore her, ein alter Bekannter. Er schließt sich den vorgenannten erstklassigen Stimmen nahtlos an, schafft ohne merkliche Anstrengung Druck, etlichen Schmelz, freie Höhen – ein Vergnügen (wenn die Handlung nicht so düster wäre…)! Besonders feingewebt sein „Solenne in quest´ora“, von Herrn Kim kongenial ergänzt.

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Manuela Leonhartsberger und Chor. Foto: Reinhard Winkler/ Linzer Landestheater

Die Preziosilla von Manuela Leonhartsberger ist, mit heller, klarer, schön angesetzter und timbrierter Stimme ein quicklebendiger Kriegskobold, der den Zombiescharen vorsteht. Der Franziskaner-Guardian von Dominik Nekel ist die stimmlich machtvolle Autorität, der sich die verzweifelte Leonore einfach unterwerfen MUSS.

Leonoras Zofe Curra (Vaida Raginskytė) und der Militärarzt (Tomaz Kovacic) sind von erprobten Chorsolisten kompetent und mit guten Stimmen dargestellte  Charaktere; unterstützt werden sie von der Statisterie. Hervorzuheben auch der durchaus zum Schauspiel talentierte Bühnen-Klarinettensolist Herbert Hackl im dritten Bild.

Der Chor des Landestheaters ist stimmlich wie in der Erscheinung brillant als bisweilen plötzlich hingemähte Kriegstote (oder -untote), sei es als Klosterbrüder; präzise wie immer einstudiert von Elena Pierini.

Das Bruckner Orchester legt dazu, nach einer überirdisch schönen Einleitung, den spannenden, emotionsreichen, präzisen, dynamischen, makellos intonierten Untergrund, den es unter Maestro Calesso erarbeitet hat, und der perfekt mit den großartigen Stimmen auf der Bühne, und natürlich mit all den Abläufen harmoniert.

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Schlussapplaus. Foto: Petra und Helmut Huber

Große Begeisterung im Publikum, einige wenige Buhs für die Regie, für die geschickt verdichtete, dabei dramaturgisch absolut plausibel gebliebene „Schicksalsoper“ Verdis, der es trotz der ausgedehnten Striche nicht an musikalischer Attraktivität und Balance gebricht. Und, in Hinblick auf die Skepsis gegenüber manchen Dirigenten und Regiearbeiten, die beim 90. Sonntagsforum der Musiktheaterfreunde vom am Premierentag exakt 78-jährigen Peter Konwitschny geäußert wurde: Regieteam und Dirigent haben ihre Hausaufgaben offensichtlich gründlich und im (Ein-)Verständnis mit- und füreinander UND für Verdi gemacht!

Petra und Helmut Huber

 

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