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LINZ/ Landestheater: ELEKTRA . Premiere

20.01.2019 | Oper


Miina-Liisa Värelä. Foto: Linzer Landestheater/Reinhard Winkler

Linz: „ELEKTRA“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 19. 01.2019
Tragödie in einem Akt nach Sophokles, Libretto von Hugo von Hofmannsthal, Musik von Richard Strauss

1903 war Richard Strauss in Berlin Zeuge der Uraufführung von Hofmannsthals Tragödie „Elektra“, deren Vertonung er aber ob ihrer Ähnlichkeit zum psychischen Inhalt der „Salome“ anfänglich skeptisch gegenüberstand. Die Gewalt der Steigerungen zum Beispiel konnte er aber doch mit einem 111köpfigen Orchester, entgegen seinen anfänglichen Befürchtungen, gegenüber der Oper über die biblische Königsstieftochter noch intensivieren.

Eine bange Frage freilich stellt sich in Hinblick auf die aktuelle Wiener Inszenierung: wird man in Linz ohne Fahrstuhl auskommen (hatten wir ja auch im „Rigoletto“ vorige Saison…)? Man kam ohne aus, dafür bediente sich die Regie ausführlich der Drehbühne – bis auf das szenisch überraschende, aber plausible und durchaus rabenschwarz aus dem Stück heraus gedachte Ende. Weniger plausibel, warum die Handlung so ca. in den 1950ern angesiedelt ist – eine abgewohnte, einst noble Villa mit Jugendstil-Tapeten, teilweise in Renovierung begriffen, in Chrysothemis‘ Zimmer überraschenderweise mit Baumbestand. Elektras Gemach ist mit altem Spielzeug vollgestellt – irgendwie wartet man drauf, daß Horst Lichter mit seiner „Bares für Rares“-Runde um die Ecke biegt. Die Axt der Rache freilich ist schlau versteckt, wenn schon nicht vergraben. Ägisth entsteigt, nicht ganz nüchtern, einem Auto, das so ungefähr einer Lancia Augusta (1935) nachempfunden ist. Die Kleidung ist ebenso „gemäßigt modern“.

Diese Ausstattung wirkt natürlich allerspätestens, wenn die Rede auf Opfertiere kommt, befremdlich, und als verhärmt kann man die Darstellerin der Elektra auch nicht bezeichnen, auch nicht seitens der Maske. Aber die sorgfältig überlegte und engagiert umgesetzte Personenregie, mit dem Höhepunkt des psychologisch vielschichtig dargestellten Aufeinanderprallens von Elektra und Klytämnestra, überspielt diese Schwächen und Logiklöcher dann ziemlich gründlich, muß man auch sagen: Inszenierung Michael Schulz, Dramaturgie Ira Goldbecher, Bühne Dirk Becker, Kostüme Renée Listerdal.


Katherine Lerner und Chor. Foto: Linzer Landestheater/Reinhard Winkler

 

Wie bei der „Frau ohne Schatten“ 2017 sichert ein großartiges Damentrio den Erfolg des Abends: die Klytämnestra spielt das junge US-amerikanische Ensemblemitglied Katherine Lerner als Konglomerat aus Eleganz, Bösartigkeit und zerstörenden Ängsten – das alles mit großer Stimme präsentiert, die auch vor einem aufbrausenden Orchester keine Angst zu haben braucht. Die Finnin Miina-Liisa Värelä in der Titelrolle ist der einzige Gast dieser Produktion; wie als Färberin vor einem Jahr überzeugt sie mit großartiger Modulation ihrer fantastischen stimmlichen Reserven und ausgefeiltem Spiel als für ihre Rache lebende Halbwaise, aber auch liebende Schwester. Brigitte Geller als Chrysothemis schließlich spielt zwar den am wenigsten gebrochenen Charakter aus dem Trio, steht dabei mit ihren stimmlichen Fähigkeiten ihren Partnerinnen nicht nach – Strauss scheint ihr besser zu liegen als Mozarts Vitellia im „Titus“…


Michael Wagner, Matthäus Schmidlechner und Philipp Krajnc. Foto: Linzer Landestheater/Reinhard Winkler

Da der vielseitige und auf höchster Qualitätsstufe verläßliche Charaktertenor Matthäus Schmidlechner (Ägisth) derzeit ja auch als Vogelhändler Adam auf der Bühne steht, könnte man sagen: sein Auftritt hier ist das „Griaß Euch Gott, alle miteinander“, verlegt auf die dunkle Seite des menschlichen Charakterspektrums, und erwartungsgemäß läßt er auch unter diesen Umständen im Gesang und als Schauspieler keinerlei Wünsche offen.

Verhaltener im Spiel, wohl mit Bedacht, der Orest des Michael Wagner; stimmlich aber eine der dominanten Erscheinungen des Abends, um nicht zu sagen: ein Ereignis. Er und Herr Schmidlechner sind zudem die Artikulationsmeister dieser Aufführung.

Auch die kleineren Rollen sind makellos abgedeckt, teils mit den schon seit Anbeginn stimmlich durchaus reifen neuen Mitgliedern des Opernstudios: der Pfleger des Orest (hier eher: hit man) Philipp Kranjc, zwei Audrey-Hepburn-lookalikes („Breakfast at Tiffany’s“) als Vertraute und Schleppträgerin: Etelka Sellei und die Chorsolistin Kateryna Lyashenko, der (gar nicht so) alte Diener Timothy Connor, erste Magd Isabell Czarnecki (aus dem ersten Opernstudio), dritte und vierte Magd Florence Losseau und Svenja Isabella Kallweit.

Aus dem regulären Ensemble sind auch die restlichen Nebenrollen stimmlich und schauspielerisch sehr gut mit Mathias Frey (junger Diener – sein Tod würde einer CSI-Folge alle Ehre machen), Gotho Griesmeier (Aufseherin), Jessica Eccleston (zweite Magd) besetzt. Besonders hervorzuheben Theresa Grabners fünfte Magd, auch sie sozusagen im absoluten, düsteren Gegenteil ihrer Vogelhändler-Christl brillant.


Brigitte Geller. Foto: Linzer Landestheater/Reinhard Winkler

 

Der Chor des Landestheaters Linz (Einstudierung: Elena Pierini) ergänzt diese vokalen Glanzleistungen adäquat im Kollektiv, zusammen mit der Statisterie auch mimisch eindrucksvoll.
Das Bruckner Orchester spielt unter Markus Poschner in textgemäß großer Besetzung, die den geräumigen Graben des Musiktheaters recht gut ausfüllt. Die Damen und Herren sind mit absoluter Präzision und wunderbarer Musikalität bei der Sache, und Poschner schöpft nicht nur die Möglichkeiten dieser Besetzung aus (auf die Sänger braucht er bei deren stimmlichen Fähigkeiten keine Rücksichten außerhalb der Strauss’schen Dynamikvorschreibungen zu nehmen), sondern läßt auch sehr analytisch und damit stellenweise relativ langsam spielen – alles aber ohne die Sängerinnen und Sänger zu überfordern oder den Spannungsbogen zu überdehnen. Der musikalische Gesamteindruck ist einfach überwältigend!

Tosende Begeisterung, standig ovation für die Ausführenden, vernehmliche Buhrufe für das Produktionsteam.

Petra und Helmut Huber

 

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