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LINZ/ Landestheater: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG. Premiere

09.04.2023 | Oper in Österreich

– Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 08. 04.2023

Oper in drei Akten von Richard Wagner

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Erica Eloff (hängend), Heiko Börner und Dominik Nekel. Foto: Reinhard Winkler/ Landestheater

Auf der website der Linzer Singakademie, vormals „Sängerbund Frohsinn“, (www.linzersingakademie.at) findet sich eine bemerkenswerte Episode: „Aus Dank und in Anerkennung des künstlerischen Wirkens Bruckners überließ Wagner dem „Frohsinn“ den Schlusschor aus den „Meistersingern von Nürnberg“ zur Uraufführung, die zum glänzendsten Konzert unter der Leitung Bruckners am 4. 4. 1868 im Linzer Redoutensaal führte, 11 Wochen vor der Uraufführung des ganzen Musikdramas in München.“ (Zur Gänze zu erleben war das Werk in Linz erstmals am 27. 4. 1885, und seither gab es 8 weitere Produktionen – die aktuelle ist also Nr. 10).

Der historische Hans Sachs war – auf der klassischen Walz – übrigens 1513 und später für einige Zeit in Wels aufhältig, soll dort (wenigstens im Traum) „von den neun Musen geküßt worden“ sein und verfaßte sein „Buhlscheidlied“. In Wels gab es zudem eine Meistersingschule. Auch Ried i. I. und Braunau beherbergten den künstlerisch ambitionierten Schuhmacher und sind mit seiner „Silberweise“ und dem „Goldenen Ton“ verbunden (Gilbert Trathnigg, Jahrbuch des Welser Musealvereines 1954, pp. 127 – 180, insbes. 131/32)

UND: das langersehnte Linzer Musiktheater wurde am 11. April 2013 eröffnet, feiert also 10. Geburtstag – an dieser Stelle nochmals ein großes Dankeschön an die unbeirrbaren Vorkämpfer Gerda und Gerhard Ritschel!

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Markus Poschner, Paul Georg Dittrich, Anna Rudolph, Sebastian Hannak, Robi Voigt in der Premierenfeier. Foto: Petra und Helmut Huber

Einige gute Argumente für eine erneute oberösterreichische Produktion dieses Werkes, das sich in (nicht „nur“) komödiantischer Weise mit dem Wesen der Kunst und ihrer Erneuerung beschäftigt. Auf diesen Kern als Angelpunkt der Inszenierung beriefen sich auch Dirigent Markus Poschner und Regisseur Paul-Georg Dittrich im 92. „Sonntagsforum“ der Freude des Linzer Musiktheaters. Die Erzählung soll vor allem aus Evas Sicht erfolgen.

Und so spielt der erste Akt statt in der Katharinenkirche in Evas Zimmer, wo sie sich unter den Augen eines raumbeherrschenden Teddies aus einer Spielzeuglade ihren liegestützfähigen „knight in shiny armour“ zusammenbastelt (Bühne: Sebastian Hannak). Auch hält sie sich, naheliegend in der Stadt des Blechspielzeuges von Schuco oder Bing, eine aufziehbare Magdalena und einen ebensolchen David. Die Meister versammeln sich ebenfalls in ihrem Zimmer, freilich in Clownsbemalung, zunächst noch unter symbolisierten Schachfiguren verdeckt (Kostüme: Anna Rudolph). Letztendlich konnten auch erfahrenste Meistersingerkennerinnen und -kenner nur Sachs, Pogner und Beckmesser unterscheiden, alle anderen gehen in der gleichförmigen Maske unter. Lediglich der nörglerisch-sarkastische Beckmesser ist abgesetzt, indem er deutlich herabgezogene Mundwinkel verpaßt bekommen hat. Währenddessen ziehen an den Fenstern diverse Landschaften zu verschiedenen Jahreszeiten vorbei…

Die Straße in Nürnberg wurde durch das Spielfeld eines Flippers, auch pinball genannt, ersetzt. Dabei wird anscheinend „herausgezoomt“, denn Evas Zimmer erkennt man, deutlich kleiner, noch im Bühnenhintergrund. Der Teddybär ist entsprechend geschrumpft, allerdings hat man bei Details im Vergleich zum Riesenbären des ersten Aktes geschlampt. Die Bühne wird umrandet von bilderbuchhaft vereinfachten Stadtansichten Nürnbergs, von der Altstadt bis zum Reichsparteitagsgelände. Die bumper aka Schlagtürme (auch von Walther zum Boxtraining genutzt) sind von Bratwürsten gekrönt, die hauptsächliche Handlung spielt sich auf den beiden Flipperfingern im Vordergrund ab. Beckmesser tritt als Rockstar auf, was er so überzeugend macht, daß man Evas Ablehnung jetzt eigentlich nicht ganz versteht. Und ein Detail geht bemerkenswert schief: die Regie hängt ihm als Äquivalent der gekonnt fies aus dem Graben scheppernden „Beckmesser-Harfe“ (Christoph Bielefeld) ein sogenanntes „keytar“ um (keyboard für die rechte Hand, das wie eine Gitarre umgehängt und gehalten wird, wobei die linke Hand Effektschalter bedient) – ein Instrument, das laut div. Lexikoneinträgen besonders in der „Neuen (!!) Deutschen Welle“ (DAF, Trio) verwendet wurde: ausgerechnet! Am Kopfteil des Flippers oben im Hintergrund wird (störungsbehaftet) teils aus dem „Hinterzimmer“  übertragen, teils das Geschehen mit jingles aus dem „Flipperslang“ kommentiert (Video: Robi Voigt). Die finale Schlägerei involviert und ruiniert auch einige Flipperkugeln (Statisterie), was etliche aus der Nürnberger Bevölkerung dazu animiert, sich mit den kaputten Kugeln auf Selfies zu verewigen.

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Erica Eloff, Heiko Börner und Ensemble. Foto: Reinhard Winkler/ Landestheater

Der dritte Akt findet in einem gealtert-sichtbetonartigen Halbrund statt – vielleicht ein Raum am Parteitagsgelände? Jedenfalls weder Sachsens Kontor noch später eine Festwiese. Jetzt ist man auch aus dem Flipper herausgezoomt, und es kommen nach und nach insgesamt 12 solcher Geräte bzw. Attrappen ins Spiel. Auch die Niederschrift von Stolzings Preislied erfolgt irgendwie auf so einem Gerät, und Beckmesser stielt/kopiert mit einem tablet. Wo dann die peinlichen Lesefehler herkommen, die zu Beckmessers Demütigung führen, bleibt damit rätselhaft. Und gegen Ende bekommt Eva den Schlußsatz von Walther („Will ohne Meister selig sein“) in den Mund gelegt und stürmt hinaus. Das so oft als hypernationalistisch verbellte Ende läuft aber unbearbeitet ab (Dramaturgie: Katharina John).

Auf der Habenseite der Produktion ist aber eine sehr sorgfältig konzipierte und umgesetzte Personenführung zu verbuchen, wobei ausnahmslos alle Darstellerinnen und Darsteller schauspielerisch hervorragende Leistungen bringen. Auch die „stilistischen Disputationen“ in diesem Werk werden, ungeachtet der verwirrenden Überlagerungen und eingezogenen Meta-meta-Ebenen, gebührend szenisch herausgearbeitet.

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Claudio Otelli, Heiko Börner. Foto: Reinhard Winkler/ Landestheater

Hans Sachs ist der Gast Claudio Otelli, der mit sorgfältiger Diktion und durch alle drei Akte vorzüglich strömendem Baßbariton mit Legatokultur glänzt. Nur im weit entfernten „hinteren Kammerl“ zu Beginn des „Fliederduftes“ ist er zu leise – dafür gelingt ihm der Wahnmonolog als besonderes Gustostück. Seine Interaktionen mit Eva und Beckmesser überzeugen. Beim Schlußapplaus merkte man, daß er wohl an einem angeschlagenen „Kreuz“ litt – also ein Extraapplaus für sein Durchhaltevermögen! Alternativbesetzung in dieser Rolle ist Ensemblemitglied Michael Wagner, der bei der Einführungsveranstaltung und einer öffentlichen Probe des 2. Aktes vielversprechend klang.

Dominik Nekel ist als Veit Pogner in seinem Element, mit schönem Fundament, sauberer Artikulation und vorzüglicher Phrasierung.

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Martin Achrainer. Foto: Reinhard Winkler/ Landestheater

Der Sixtus Beckmesser von Martin Achrainer ist ein hochkomplexer Charakter, zum Hassen, zum Bemitleiden – und als Darsteller zum Bewundern, sei es aufgrund seiner (einst musicalgeschulten) Agilität, sei es wegen seines wandlungsfähigen körperlichen wie stimmlichen Ausdruckes, sei es wegen seiner druckvollen, höchst tragfähigen, dabei, wenn gewollt und situativ passend, auch schön timbrierten Stimme

Auch die übrigen Meister boten hervorragende Leistungen – Vogelgesang: Jonathan Hartzendorf, Kothner: Michael Havlicek, Zorn: Matthäus Schmidlechner, Eißlinger: Markus Miesenberger, Schwarz: William Mason, Foltz: Krzysztof Borysiewicz, dazu die Opernstudiomitglieder Navid Taheri Derakhsh als Nachtigall, Conor Prendiville als Moser, Gregorio Changhyun Yun als Ortel).

Den „Eindringling“ Walther von Stolzing gab der schon oft als Gast in großen Wagner- und Strauß-Rollen in Linz überzeugende Heiko Börner, der auch diesmal nicht enttäuschte und mit seinem baritonal fundierten, heldischen Tenor ausdauernd vorzüglich lyrisch zu phrasieren vermochte (auf der Anfahrt zum Theater haben wir uns Leo Slezaks Preislied-Aufnahme vom April 1912 angehört: schlanker geführte, scheinbar leichtere Stimme, aber kein relevanter Qualitätsunterschied). Die zweite große Tenorrolle, die des David, wurde von Matjaž Stopinšek ebenso eindrucksvoll und nahe an der Perfektion ausgefüllt: feine Stimmkultur, komödiantisch beweglich, konnte sich trotz seines grundsätzlich lyrischen Charakters gut gegen das große Orchester in all seiner Pracht behaupten.

Erica Eloff hat mit der Eva schon wieder – wie in allen bisher in Linz übernommenen Rollen recht unterschiedlicher Fächer – eine überzeugende, ja strahlende Leistung geliefert; sie ist ein wahrer Diamant im Ensemble! Ihre Amme Magdalena war beim Gast Manuela Leonhartsberger ebenso bestens aufgehoben, erneut eine treffsichere Besetzung wie schon kürzlich ihre Preziosilla.

Den Nachtwächter übernahm hier der Kinder- und Jugendchor des Landestheaters – also wenn diese Rolle das Sprungbrett für einen künftigen Hans Sachs ist, müssen wir noch sehr viele Jahre warten…

Die stimmlich wie körperlich muntere Schar der Lehrbuben: Sophie Kidwell, Zuzana Petrasová, Florentina Serles, Tetiana Stytsenko, Calon Danner, Xoiden Derwishi, Hans-Jörg Gaugelhofer, Georg Hartl, Sergey Kanygin, Lucas Pellbäck, Paul Skalicki, Vladimir šlepec.

Die prachtvollen Chorleistungen kamen neben dem Kinderchor vom Haupt- und Extrachor des Landestheaters, Leitung Elena Pierini und Martin Zeller.

Über all das, natürlich samt dem wunderbaren, präzisen, edel timbrierten Bruckner Orchester Linz, regierte an dem Abend Markus Poschner, der dynamisch, spannend und dabei detailreichst transparent musizieren ließ, in perfekter Balance mit der Bühne. Als geradezu berückend sei das Vorspiel zum 3. Akt genannt. Einige der restlichen Aufführungen werden von Marc Reibel dirigiert, der bei der Einstudierung eine wichtige Rolle innehatte.

Dementsprechend am Schluß, nach fast sechs Stunden (2 x 40 min. Pause) große Begeisterung für Dirigent, Orchester, Chöre und die Solistinnen und Solisten. Das Regie- und Ausstattungsteam kassierte ausgeprägte Mißfallenskundgebungen.

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Premierenfeier mit Intendant Hermann Schneider und „Beckmesser“ Martin Achrainer. Foto: Petra und Helmut Huber

Petra und Helmut Huber

 

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