Linz: „DIE FLEDERMAUS“ – Premiere im Musiktheater des Landestheaters Linz, Großer Saal, 21. 10.2023
Text von Richard Genée nach der Komödie Le Réveillon (Die Silvesterfeier) von Henri Meilhac und Ludovic Halévy in der deutschen Bearbeitung von Karl Haffner, Musik von Johann Strauss jun.
Kritische Gesamtausgabe herausgegeben von Michael Rot
Ensemble und Fenja Lukas. Foto: Barbara Palffy für Linzer Landestheater
Am 11. November 1876, 2½ Jahre nach der Uraufführung, erklang das Werk erstmals am Linzer Landestheater, damals natürlich noch an der Promenade. Samt dieser gab es bisher 14 Neuinszenierungen (und zahlreiche Saisonen mit Wiederaufnahmen), eine auch auf der „Freilichtbühne Märzenkeller“, und die vorerst letzte schon im neuen Musiktheater, mit Premiere am 14. Dezember 2013. Alleine seit 1945 wurde das Stück 297 mal vom Landestheater aufgeführt – zusammen mit den vorangegangenen Produktionen, für die auf https://statistik.musiktheater.at (noch) keine exakten Daten vorliegen, wird sich die Zahl wohl dem Tausender nähern.
Die letzten beiden hiesigen Inszenierungen waren von seltsamen Ideen geprägt – 2005 traten äh krochen die meisten Figuren durch Wurmlöcher in den Wänden auf, 2013 bestand die Bühne aus einer eher nur alpinistisch zu bewältigenden Treppe. Diesmal läßt Bad-Ischl-Intendant Thomas Enzinger mit seinem team (Evamaria Mayer, Choreografie, Bernd Franke, Bühne, Götz Lanzelot Fischer, Kostüme) „richtige“ Operette spielen, mit klar gezeichneten Handlungsräumen und einem ordentlichen Schuß Revuepracht. Letztere äußert sich z. B. in einer Fülle von luxuriösen Kostümen, die zwar in der Entstehungszeit des Werks verankert sind, aber in vielen Attributen bis ins Heute weisen. Lupenrein späte 1800er sind die Ausstattungen vieler Solorollen, insbesondere die der Rosalinde im 1. und 3. Akt. Das Ballett, insbesondere im 2. Akt, trägt hingegen Phantasieprodukte, die aber keineswegs dem Gesamteindruck zuwiderlaufen. Die reiche Bühnentechnik des Hauses wird ordentlich beansprucht und verhilft zu einer Fülle phantastischer, mitunter surrealer und traumhafter Bilder und zu verblüffenden Szenenübergängen. Im ersten Akt wird der gründerzeitliche Eisenstein’sche Salon auf einer Ausschnittsbühne dargestellt, gut ein Drittel der vollen Breite; letztere wird dann aber für das Fest bei Orlofsky fast immer genutzt, dabei mit Chor, Ballett und Statisterie sehr gut gefüllt, bleibt aber auch für „Kammerszenen“ tauglich. Die große genutzte Bühnentiefe scheint auch Mikrophonstütze zu fordern, was bei den gegebenen ganz und gar nicht stützbedürftig kräftigen Stimmen Ortungsprobleme erzeugt – wirklich nötig??
Die von Marc Reibel – wie der ganze Abend – mit Schwung, Stilsicherheit und Spannung geleitete Ouverture wird bespielt, und zwar mit teils klassischem Ballett und einer Szene, die die Verteilung von Einladungen zu einem Fest bei Prinz Orlofsky und die folgende hektische Suche nach passender Kleidung bedeuten soll. Ja eh. Notwendigkeit geht anders. Die Verteilung solcher Einladungen ans einströmende Publikum ist da eine Kleinigkeit origineller.
Herbert Lippert, Carina Tybjerg Madsen. Foto: Barbara Palffy für Linzer Landestheater
Der erste Akt ist flott inszeniert, manchmal burlesk. Die Versuche und Möglichkeiten des Alfred, sich zu verstecken, sind von Aberwitz geprägt (und meist für ziemliche Heiterkeit beim Publikum gut), ebenso das Versteck einer Notration Champagner. Die – nebst der Möblierung – durchaus im ersten Augenschein epocheentsprechende Tapete erweist sich im Verlauf der Handlung als mehr und mehr durchlässig, wie sich ja auch die bürgerlich-moralische Fassade der Eisensteins auflöst.
Der zweite Akt ist schiere Pracht und show, mit einer Fülle optisch und akustisch eindrucksvoller gags: die zweite Strophe von Orlofskys „Einladungsarie“ wird mit „We will rock you“ von Queen verschnitten, es werden mit der Ausrufung von ‚Champagner I.‘ das alte Ägypten und Rom zitiert, und als Einlage erhält das Ballett zu „Unter Donner und Blitz“ op. 324 ein effektvolles und an dieser Stelle bewährtes Brillanzstück. Dr. Falke bekam von der Dramaturgie (Martin Schönbauer) ein paar kurze Erklärungssätze zur doch einigermaßen komplizierten Intrige spendiert. Und: der zweite Akt wird zwischen „Dieser Anstand“ und den „Klängen der Heimat“ durch die Pause unterbrochen.
Thomas Mraz, Fenja Lukas, Tina Josephine Jaeger, Tomjaz Kovacic. Foto: Barbara Palffy für Linzer Landestheater
Dadurch erfolgt der Übergang zum Gefängnisakt fließend, sogar auf offener Bühne, was mit den Hubpodien im Musiktheater anscheinend kein Problem ist. Die Frosch-Szene ist dann aber doch ein leichter Durchhänger, was weniger an der mehr larmoyanten denn bissigen Darstellung durch den (Star)Gast Thomas Mraz liegt als daran, daß man ihm doch ein bissl viel Text über schon vielfach Durchgekautes gegeben/belassen hat.
Der als Eisenstein vorgesehene Matjaž Stopinšek mußte vorerst leider gesundheitsbedingt absagen; er wurde (schon vor der Generalprobe) durch Herbert Lippert schauspielerisch und gesanglich hervorragend ersetzt, der auch die komplexen Bewegungsaspekte der Rolle kurzfristig perfekt verinnerlicht hat. Rosalinde ist Carina Tybjerg Madsen – jugendlich-frischer Sopran ohne Schärfe, aber mit Kraft, dazu köstliche Schauspielerin; als Reminiszenz an ihre Rolle der Vorsaison wird sie am Fest als „Gräfin Mariza“ vorgestellt…
SeungJick Kim, Thomas Mraz. Foto: Barbara Palffy für Linzer Landestheater
Für den Chorsolisten Tomaz Kovacic ist der Gefängnisdirektor Frank unserer Erinnerung nach seine bislang größte Solorolle, und er hat sie stimmlich wie in seinem darstellerischen Einsatz vorzüglich abgedeckt. Prinz Orlofsky wird von Manuela Leonhartsberger rätselhaft, androgyn und mit vorzüglicher Stimme gegeben. Der Koreaner mit beruflicher Heimat in Köln SeungJick Kim ist ein wunderschön weich timbrierter, höhensicherer Alfred, der von einer leicht öligen Aufdringlichkeit im 1. bis zur komischen Verzweiflung im 3. Akt auch ein breites darstellerisches Spektrum drauf hat.
Martin Achrainer, Fenja Lukas und Ensemble. Foto: Barbara Palffy für Linzer Landestheater
Dr. Falke ist Martin Achrainer, der mit vollem und dunklem Bariton die von ihm erdachte Szenerie überzeugend und mit hintergründigem Humor dirigiert. Jonathan Hartzendorf ist als Dr. Blind rollengemäß eine eher fatale Erscheinung, sängerisch freilich ohne jeden Makel.
Fenja Lukas schneidet sich als Adele wieder ein berechtigt großes Stück vom Applauskuchen ab, mit ihrer präzisen Koloratur an den Herrn Marquis, die ganz und gar nicht als hektisches Bravourstück präsentiert wird, sondern als selbstbewußte Argumentation, ähnlich hervorragend auch die „Schönheit vom Lande“. Eine kompetente Ida ist Tina Josephine Jaeger, die bei einigen Aufführungen auch die Adele singen wird.
Das großartige und sehr viel beschäftigte Tanzensemble: Franziska Gaßmann, Katharina Glas, Tura Gómez Coll, Beatriz Scabora, Erick Aguirre, Adrian Infeld, Paul Kraml und Armando Rossi. Auch der Chor unter Elena Pierini agiert und singt perfekt.
Das Bruckner Orchester musiziert mit Lust, „wienerischem“ feeling und im besten Einklang mit dem Bühnengeschehen.
Schließlich an die 15 min. Begeisterungskundgebung des Publikums – zusätzlich zum schon oft und reichlich gespendeten Szenenapplaus. Auch das Produktionsteam wurde einhellig gefeiert.
Schlussaplaus Ensemble. Foto: Petra und Helmut Huber
Schlussaplaus Produktionsteam. Foto: Petra und Helmut Huber
Petra und Helmut Huber