Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

LINZ/Landestheater: DER FREISCHÜTZ, Dritte Aufführung der Produktion im Musiktheater

03.10.2023 | Oper in Österreich

Linz: „DER FREISCHÜTZ“ – 3. Aufführung der Produktion im Musiktheater des Landestheaters Linz, Großer Saal, 02. 10.2023

Oper von Friedrich Kind, Musik von Carl Maria von Weber

fr2
Fenja Lukas, Erica Eloff. Foto: Reinhard Winkler für Linzer Landestheater

Nach den napoleonischen Kriegen, die von der zumindest vordergründig hehren Zielsetzung der Verbreitung der revolutionären Ideale zu einem Macht- und Gewaltrausch verkommen waren, konnte Europa 1816 noch lange nicht aufatmen: Der ungeheure Ausbruch des Tambora im damaligen Niederländisch-Indien  überzog die ganze Welt mit einer stratosphärischen Vulkanascheschicht, die zu einem Jahr ohne Sommer, und im Gefolge zu Hungersnöten und Seuchen führte. Der Zusammenhang mit dem Vulkanausbruch blieb damals unbekannt, und so führte diese Katastrophe neben der Verdüsterung des Himmels auch zu einer Verdüsterung des Denkens. Freilich verdanken wir dieser Situation auch die expressiven Himmelsfarben auf den Gemälden William Turners und Caspar David Friedrichs – und eine Reihe von prototypischen und bis heute faszinierenden „Gothic Novels“.

Wohl aus diesem Geiste heraus griff auch der Librettist dieser Oper eine 1810 veröffentlichte Gespenstergeschichte von August Apel auf, meint Dramaturg Christoph Blitt in seinem ausführlichen Elaborat zu Umfeld und Hintergrund dieser Oper im Programmheft. Jedenfalls war die Uraufführung des „Freyschütze“ am 18. Juni 1821 ein riesiger Erfolg, und schon in den 1830ern sollen Stücke wie „Jungfernkranz“ oder „Jägerchor“ buchstäblich rund um die Welt als Gassenhauer zu hören gewesen sein. In Linz hatte die erste Produktion vor 200 Jahren (am 31. Jänner) Premiere, bis 2001 folgten 12 weitere Inszenierungen.

Intendant Hermann Schneider hat die aktuelle Aufführungsserie, die am 23. September Premiere hatte, eingerichtet und inszeniert. Er hat beträchtlich ins Werk eingegriffen, indem er dem Teufel, also Samiel, eine quer durchs Stück tragende und pessimistischer- (oder realistischer)weise bestimmende Rolle gab, die mit verschiedenen Sprechtexten hauptsächlich zur Oper zeitnahen Ursprunges unterfüttert wurde; am eindrücklichsten dabei „Les Litanies de Satan/Die Litanei des Teufels“ von Charles Baudelaire. Dazu wurde auch filmhistorisch („The Exorcist“, „Shining“) „erprobt teuflische“ Musik, nämlich „Polymorphia“ von Krzysztof Penderetzki, verwendet – und diese fügt sich durchaus organisch in das Gesamtbild, deutlich besser als so manche andere „modernistische Ergänzungen“ in vergangenen Saisonen. Insgesamt fühlt sich diese Bearbeitung des ohnedies sprechtextreichen Werkes durchaus flüssig an, ohne Längen oder Brüche in der – freilich neu aufgesetzten – Logik. Ein weiterer gedanklich schriller, trotzdem stimmiger Neuzugang ist „Ein feste Burg ist unser Gott“ von Martin Luther und Johann Sebastian Bach, welches Samiel mit den Schwingen des Todes vorträgt und dabei – schließlich ist er Schauspieler, nicht Sänger – einen Ton wie für einen Brecht/Weill-Song anschlägt, der überraschend gut paßt. Andererseits wird einiges gestrichen, wie z. B. die 1. Szene des 3. Aktes, oder auch die Rezeptur der Freikugeln mit gemahlenen Kirchenfenstern und Krötenaugen – stattdessen vertraut diese Inszenierung auf die Kraft der Wildsau!

frh
Sven Mattke in der Wolfsschlucht. Foto: Reinhard Winkler für Linzer Landestheater

Entscheidend zur Stringenz des Konzeptes tragen Bühne, Kostüme und Videodesign von Falko Herold bei: In einem Einleitungsvideo wird auf das „Kalte Herz“ von Wilhelm Hauff (1827) verwiesen – leider nicht in Abstimmung zur dabei laufenden Ouverture. Die Bühne erscheint dann als düsterer Salon des bedrohlich-eleganten Samiel, der sich an den Qualen des soeben, äh, operierten Caspar delektiert. Die Hinterwand öffnet sich, und wir sind mitten im Geschehen mit romantischem Gebirgshintergrund und überwiegend „trachtiger“ Population. Nur die protagonistischen Figuren sind kleidungsmäßig davon abgesetzt und kommen modern daher, mit ausdrücklichen Charakterfarben. In der Wolfsschlucht wird mit Bühneneffekten nicht gespart – teils fühlten wir uns an den New Yorker „Ring“ in der Ausstattung von Carl Fillion erinnert. Und dann gibt’s noch so böse Details wie das Kreuz des Eremiten…

Die Hauptfigur ist hier und heute also Samiel, der „schwarze Jäger“; Sven Mattke trägt ihn mit verführerischer, mitunter bedrohlicher Eleganz, beeindruckt mit saalfüllender, trotzdem fein modulierter Stimme – nur mitunter ist er, für Effekte, via Mikrophon zu vernehmen. Immer auch sehr textdeutlich!

Sein Werkzeug und erstes Opfer Caspar wird von Michael Wagner druckvoll und dunkel timbriert gesungen (samt einigen gar nicht trivialen stunts), dabei immer exzellent artikuliert – auch in seinen ausführlichen Sprechpartien, nicht zuletzt bei Baudelaire; wobei sich die Frage stellt, ob solche Lyrik nicht ohnedies einem erfahrenen Sänger besser in der Kehle liegt?

Sehr große Freude bereiten auch Erica Eloff als bewegend lyrische Agathe und Fenja Lukas als Ännchen, das schließlich auch dem Teufel nur zu williges Werkzeug und übel zugerichtetes Opfer ist. Beide müssen oft aus ihrem (meist) unschuldig-weißen Reservat, einer Box im mittleren bis hinteren Teil der Bühne, singen – auch das funktioniert mit brillanter Textverständlichkeit und gefühlsentsprechend weit aufgefächerter Modulation.

Timothy Richards als Max macht seine Sache ebenfalls recht gut, kann aber nicht ganz die Saalfüllung der vorgenannten erreichen. In den lyrischen Abschnitten wirkt er absolut adäquat, sorgfältig moduliert, in den dramatischen erreicht er seine Grenzen, vermeidet aber, sie zu überschreiten. Auch er verfügt über sehr gute Diktion.

Nur relativ kurz können wir den vorzüglichen Bariton von Adam Kim als Ottokar genießen. Markus Raab als Cuno, fürstlicher Erbförster, hat eine etwas kehlige Tiefe, ist ansonsten aber ebenso eine adäquate Besetzung wie Alexander Yorks Kilian. Der Eremit von Dominik Nekel ist eine stimmlich gewichtige Erscheinung zum guten Ende, das sich aber nicht als so richtig gut herausstellt. Er ist wohl nicht ohne Grund Samiels Schachpartner…

Die Brautjungfern Karina Jay Bailey, Nelya Kravchenko, Kateryna Lyashenko, Alina Martemianova, Ran Seo-Katanic, Vaida Raginskytė, Willemijn Spierenburg und Amy Van Looy winden einen fein detaillierten, tänzerischen Jungfernkranz, der hier nicht von einer Totenkrone, sondern von einem reptilischen Geschenk Samiels unterbrochen wird. Selbiger sorgt als Schnitter Tod auch für den Brautstrauß…

fr5
Aufstellung zum Probeschuß. Foto: Reinhard Winkler für Linzer Landestheater

Chor und die Herren des Extrachores des Landestheaters (Einstudierung Elena Pierini, Martin Zeller und David Alexander Barnard) machen ihre Sache sehr gut, wie auch das Bruckner Orchester im Graben – leider haben die Hörner in der Ouverture noch ein paar Mucken. Aber davon abgesehen strahlt Webers Musik ebenso wie Penderetzkis Polymorphia im Dirigat von Ingmar Beck, der auch die Koordinaton mit der Bühne perfekt im Griff hat.

Etwas zögerlicher Szenenapplaus, recht kräftig dann am Schluß für die Herren Mattke, Wagner, die beiden Soprane, Dirigent, Chor und Orchester, und etwas gedämpfter für Timothy Richards. Ganz vereinzelt hört man auch Buhs – auch wenn das Produktionsteam natürlich heute nicht auf die Bühne kommt.

Es erhebt sich freilich die Frage, ob man die Oper unbedingt umbauen MUSS, so umbauen muß. Wie üblich ist bei solch einer Frage die Antwort: nein! Immerhin aber erfolgte der Umbau mit dramaturgischem Geschick und ohne dogmatische Überfrachtung. Jedoch wäre man nicht fehlgegangen, hätte man diese Version „Samiels Marionettentheater“ genannt.

Petra und Helmut Huber

 

Diese Seite drucken