Matthias Frey, Hans Schöpflin. Foto: Linzer Landestheater/ Sakher Almonem
Linz:„DER BETTELSTUDENT“– Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 11. 10.2019
Operette in drei Akten nach denVorlagen„Les Noces de Fernande“ vonVictorien Sardou und „The Lady of Lyons“ von Edward Bulwer-Lytton; Libretto von F. Zell und Richard Genée, Musik von Carl Millöcker
Daß mitten in Dresden, der Hauptstadt des Mutterlandes der Reformation, eine katholische Hofkirche steht, kommt daher, daß der Herrscher desKurfürstentums Sachsen als Konvertit das nach dem Tode von Jan III. Sobieski „herrenlose“katholische Polen einheimsen konnte – und eine stark verbesserte Ausgangsposition für einen Wettiner als römischer Kaiser erhoffte sich der „starke August“ damit wohl auch…Besagte Kirche, die mehr Grundfläche als die evangelische Frauenkirche einnimmt, erbaute allerdings erst sein Sohn und Ämternachfolger.
Die sächsische Herrschaft wurde jedenfalls in Polen trotz des religiösen Spagates des neuen Königs nicht mit Begeisterung aufgenommen. Um die daraus resultierenden Konflikte, gewürzt mit Liebe und Rache, dreht es sich in dieser Operette, die 1704 in Krakau spielt. Am 6. Dezember 1882 fand im Theater an der Wien ihre Uraufführung statt; in Linz war das Werk bereits am 24. Februar 1883 erstmals zu hören. Seit 1945 ging es 171 mal über die Bühne an der Promenade; heute Abend, das 172. Mal, erstmals im Musiktheater am Volksgarten.
Karl Absenger hat nun die vierte Operetteninszenierung in diesem Haus geleitet – und leider muß man sagen, daß der heutige Abend bei weitem nicht so gelungen ist wie die letzten drei; speziell Zellers „Vogelhändler“ im Vorjahr hatte in so gut wie allen Facetten quasi seine Ware abgeschossen… Es mag dieser ungünstig ausgehende Vergleich freilich auch etwas an der weniger emotionell eingängigen Musik Millöckers liegen, der doch recht in Märsche verliebt gewesen sein dürfte und dessen musikalische Lyrik vergleichsweise etwas konstruiert und trocken wirkt. Die Personenführung funktioniert zum größten Teil, wird oft aber durch die Bühne konterkariert.
Die gebotene Szenerie ist nämlich auch wenig animierend zum Mit-Fühlen mit den Charakteren: zu karg,technisch-kalt wirkt diese Bühne (Thomas Pekny, Licht Johann Hofbauer), vorwiegend in hellem Holz und grauen Stahlstäben, was im Eröffnungsbild (Gefängnishof) angeht, aber dann als Anmutung oder Sinnbild (Abbild muß ja nicht sein!) des Rynek Główny bzw. der Tuchhallen versagt. Und als Saal im gräflichen Schlosse (mit wiederum technisch-karg anmutender Treppe) ist dieser Stil ebensowenig glaubwürdig wie als der finale Schloßgarten. Zudem bergen die großen, glatten Flächen beachtliches Reflexionspotential für die Stimmen, was mitunter zu stereophonischer Verwirrung führt.
Die Kostüme (Götz Lanzelot Fischer) animieren da schon eher zum Versenken in eine Theaterwelt – in vielen Fällen in barocker Pracht gehalten, allerdings auch manchmal, ohne szenisch einzuleuchten, in die Entstehungszeit des Werkes abschweifend oder in die Jetztzeit. Ein geradezu schmerzender Fremdkörper sind die aalglatt-silbernen Bikinis der cheerleaders, die die auftretende Blaskapelle begleiten – da hätte z. B. eine, quasi surreale, Kreuzung mit barockem Stilohne wesentlich größeren Aufwand zumindest einen witzigen Effekt gebracht. Der einzige plausible Verweis auf andere Zeiten als die von August dem Starken findet sich im Video, das die Ouverture begleitet: als neben dem „Zauber der Montur“ verschiedener Bürgerwehren auch der Wochenschau-Ausschnitt vom 1. September 1939 gezeigt wird, in dem Wehrmachtssoldaten den polnischen Grenzschranken zur Seite drehen; da hat sich doch einmal die Geschichte ausnahmsweise nicht als Farce wiederholt, sondern als wohl unvergleichlich blutigere Neuauflage…
Gotho Griesmeier und Ensemble. Foto: Linzer Landestheater/ Sakher Almonem
Auch sängerisch läuft nicht alles perfekt. Was allerdings sicher nicht für das protagonistische Damentrio (Gräfin Nowalska mit ihren Töchtern Laura und Bronislawa) gilt: Christa Ratzenböck, Fenja Lukas und Theresa Grabner machen einfach Freude mit ihren hervorragenden Stimmen (Frau Lukas und Frau Grabner als perfekte, leichtfüßige Soubretten) und ihrem „durchtriebenen“ Spiel. Diese drei glänzen auch durch die beste Diktion aller Bühnenpersonen, sowohl in den Sprech- als auch den Gesangsabschnitten.
Oberst Ollendorf ist Michael Wagner. Auch er ein zuverlässiger Komödiant und klangvoller Baßbariton – jedoch das „nur“ beim Schulterkuß (C) liegt ihm zu tief, was seine Auftrittsarie, den bekanntesten hit dieser Operette, etwas in der Luft hängen läßt. Und seine aktuellen „schwammüberwischten“ Anmerkungen (Dramaturgie Anna Maria Jurisch) sind, trotz des überwältigenden Pointenangebotes der aktuellen Politik, nicht extrem profund geraten.
Des Oberstsadelige Entourage (Wangenheim, Henrici, Schweinitz) sind die zuverlässigen Chorsolisten Csaba Grünfelder, Markus Schulz und Markus Raab; Kornettvon Richthofen wird von Gotho Griesmeier fürwitziges Profil gegeben.Bei den Dialogstellen erhält diese Gruppe (soweit erkennbar nicht Frau Griesmeier) Mikrophonverstärkung, die nicht unbedingt zur Sprachdeutlichkeit beiträgt.
Die beiden Tenorrollen Jan Janicki und Titelfigur Symon Rymanowicz werden vom stimmlich nicht sehr gewichtigen, aber eleganten Mathias Frey und von Hans Schöpflin dargeboten – letzterer leider mit deutlicher Enge (und im dritten Akt auch Ansatzproblemen) in den höchsten Registern, die zusammen mit dem heute ebenfalls wenig präsenten tenoralen Schmelz nun einmal für ein effektvolles „Ich knüpfte manche zarte Bande“ unerläßlich wären.
KerkermeisterEnterich, wurde von Alfred Rauch bärbeißig, profund korrupt und mit solider Singstimme verkörpert.
Militärmusik. Foto: Linzer Landestheater/ Sakher Almonem
Einstudierung und Dirigat von Marc Reibel sind die Klammern, die den Abend wenigstens musikalisch vorzüglich zusammenhalten, denn Schwung und musikantische Leichtigkeit, die aus dem Graben kommen (Bruckner Orchester in mittlerer Besetzung, wie damals im Theater an der Wien), sind ebenso untadelig wie – mit einer winzigen Ausnahme im ersten Akt – die Koordination mit der Bühne. Dazu kommt noch eine besondere Hürde in diesem Werk: das Theaterorchester muß mit einem Blasorchester auf der Bühne synchronisiert werden – hier in Gestalt der Militärmusik Oberösterreich unter OStv Gerhard Dopler; das funktioniert bei beiden Auftritten (im 2. Akt, der nach dieser effektvollen Szene durch die Pause unterbrochen wird, und im Finale) hervorragend.
Theresa Grabner, Matthias Frey. Foto: Linzer Landestheater/ Sakher Almonem
Der Chor des Landestheaters unter der Leitung von Elena Pierini ist erneut stimmlich und – zusammen mit der Statisterie – schauspielerischbis hin zu choreographierter Beweglichkeit (Wei-Ken Liao) eine der Stärken der Produktion.
Der Applaus fällt nicht rasend animiert aus, wobei die drei Damen, Herr Wagner, Dirigent(en) sowie Chor und (die) Orchester deutlich am besten abschnitten; einige Buhs für das Produktionsteam.
Petra und Helmut Huber