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LINZ/ Landestheater: DAS LAND DES LÄCHELNS von Franz Lehár. Premiere

10.10.2020 | Operette/Musical


Foto: Herwig Prammer/ Landestheater

Linz: „DAS LAND DES LÄCHELNS“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 09. 10.2020

Operette in drei Akten von Ludwig Herzer und Fritz Löhner-Beda nach Viktor Léon, Musik von Franz Lehár

Neue Textfassung für das Landestheater Linz von Simon W. Alexander

Am 10. Oktober 1929 fand die Uraufführung der neuesten Operette von Franz Lehár statt, im Berliner Metropol-Theater – was die Frage aufwirft, warum man diese Linzer Premiere nicht wie sonst meist auf einen Samstag legte, wegen der präzise 91 Jahre wärs g‘wesen…

Fragen gibt es zur Operette, zu Lehár und seinem Umfeld natürlich weit gewichtigere; jüngstens tauchte auch diese auf: was hat eigentlich einen Volks-Rock’n Roller kürzlich getrieben, Franz Lehár CD-gepreßt als „Hosenscheisser“ zu bezeichnen, weil dieser Fritz Löhner-Beda nicht aus dem KZ geholt habe? Abgesehen davon, daß der zur fraglichen Zeit 70jährige genug Angst um seine jüdische Gattin haben mußte: als in Frieden und Sicherheit aufgewachsenes Nachkriegskind von Nazi-Untertanen den Mut und die Selbstverleugnung von Widerstandskämpfern als selbstverständlich einzufordern ist schlicht und einfach schäbig. Woraus die Frage folgt, warum der junge Hubert Achleitner nicht seinen großartigen Einfluß beizeiten auf den nur geringfügig  älteren Mit-Goiserer Jörg Haider ausgeübt hat? Da hätte er – mit vergleichsweise vernachlässigbarem Risiko – was bewirken können, aber das hätte er halt SELBST machen müssen…

Eine Frage hatte Lehár, zusammen mit seinen Textautoren, jedenfalls einige Zeit davor umgetrieben: welchen Stellenwert hat die Operette nach dem Ende der Belle Époque, nach dem ungeheuren Leid von Weltkrieg, „Spanischer Grippe“ und Hyperinflation, und auch im Angesicht neuerdings entwickelter gänzlich anderer Kompositionsstile? Ist nicht viel zu viel Unsinn ins Operettengetriebe geraten? Die Antwort fand sich fürs erste in der Überarbeitung eines traditionell konzipierten Werkes aus den frühen Zwanzigerjahren – noch mit seinem früheren Librettisten Victor Leòn, basierend auf einer Idee dessen Tochter, geschaffen: „Die gelbe Jacke“. Denn braucht das Publikum von 1930 wirklich ein happy end? Kann man sich als etablierter Komponist nicht auch widerborstige, „moderne“ Klänge im Unterhaltungswerk leisten, mit denen man das Drama spannend unterstreicht, ohne das Publikum zu vergrätzen? Dazu noch die tenorale Fachberatung von Richard Tauber, mit dem Lehár eine Woche vor der Uraufführung schon im Berliner Odeon-Studio die wichtigsten Stücke aus dem neuen Werk aufgenommen hatte: fertig war ein Welthit!

In Linz war das Werk erstmals am 23. April 1930 zu erleben, und dann ab der Saison 1947/48 in bislang 213 Aufführungen von 6 Inszenierungen, zuletzt in der Saison 2009/10; unter den Produktionen (Oper-Operette-Musical) der betreffenden Saisonen sticht die Aufführungszahl des Lehár-Werkes jeweils deutlich hervor… also: ein Renner. Aber gilt das auch für die neueste Ausgabe?

Die Neufassung von Simon Alexander (Dramaturgie Katharina John) würfelt das Stück beträchtlich durcheinander und reduziert den Personalbedarf deutlich; dafür treten die meisten Hauptfiguren in zwei Versionen (Wien und Beijing) auf. Es wurde in Rahmenhandlung und einen im wesentlichen original gebliebenen Teil umgebaut, der innerhalb des Rahmens ein Traum Lisas ist. Der Beginn spielt im Wiener Völkerkundemuseum, in dem eine große China-Ausstellung vorbereitet wird. Man blickt durch ein Fenster im Hintergrund über den Burggarten zum Palmenhaus, der herbstliche Abend bricht herein. Im Museum wird eine Sponsorparty gefeiert, zu der Direktor Schang als Überraschung die Protagonisten der neuen, „chinesischen“ Lehár-Operette, soeben in Berlin erfolgreich uraufgeführt, als musikalische Überraschung eingeladen hat. Gleich nach der Ouverture singt Richard Tauber mit „Immer nur Lächeln“ noch eine kurze Probe, bevor die Gäste eintreffen. Lisa hat die Berliner Aufführung gesehen und ist vom Tenor fasziniert, nicht mehr so von ihrem Freund Gustl. Der findet dafür Gefallen an der Bühnenpartnerin Taubers, Hella Kürty.

Direktor Schang stellt in seiner Ansprache fest, daß man jetzt, wo man Exponate aus allen Erdteilen im Haus hätte, wahrhaft von einem Weltmuseum sprechen könne… und setzt eine Aktion, die Kuratoren und Versicherungen zum Wahnsinn treiben würde: er holt einen goldenen Zeremonienmantel aus der Ausstellung und bittet Tauber, ihn als „gelbe Jacke“ anzuziehen, bevor er nach China abreise, um die Filmfassung der Operette vorzubereiten (in Wirklichkeit geht es nur nach München, wo 1930 die erste Verfilmung gedreht wurde).

Lisa schafft es, Tauber zu einer Tasse Tee zu überreden – Rum möchte er keinen drin haben; naja, nimmt sie halt ein paar Schluck davon. Die beiden kommen einander näher, aber Lisa schläft ein und wird schließlich von Tauber mit der gelben Jacke zugedeckt. Sie träumt daraufhin (nach der Pause) den gekürzten zweiten und dritten Akt der Operette – bis uns der Ausklang wieder ins Museum zurückführt.

Die Inszenierung von Andreas Beuermann läßt diese Geschichte ganz nett, aber ohne große Spannung ablaufen, auch aktuelle Witzchen sind eher blass. Insbesondere in den „chinesischen“ Szenen fällt oft eine Diskrepanz auf zwischen der auftrumpfenden Musik, die auf Massenszenen zugeschnitten ist, und dem kargen Personal (neben zwei, drei Protagonisten oft nur zwei Tänzer – Choreografie Kevin Schmid). Da die Bühnenfläche in diesen Szenen wesentlich kleiner ist als im „Museum“, haben wohl darauf auch weniger Leute corona-gerecht Platz.

Bernd Franke hat eine wandlungsfähige Bühne bauen lassen, die einerseits ein getreues Abbild des alten Museums für Völkerkunde gibt, andererseits aus einigen Versatzstücken und aufklappenden Kisten samt ein paar animierten wie animierenden chinoisen Projektionen (Daniël Veder) plötzlich einen goldglänzenden Palast in Beijing zaubert. Das gibt Schauwerte, und Götz Lanzelot Fischer hat bei der Kostümabteilung auch noch eine Menge von wirklich noblen chinesischen Kostümen, Zwanzigerjahre-Eleganz und -Sportlichkeit in Auftrag gegeben, samt ein paar schrägen stilistischen Ausreißern.

Die Protagonisten sind mit Mikrofonen ausgerüstet, welche aber, soweit wir heraushören konnten, nur für Dialoge eingesetzt wurden.


Regina Riel. Foto: Herwig Prammer/ Landestheater

Zuerst zwei Gastbesetzungen: Die Gräfin Lichtenfels bzw. Oberhofdame bietet der international erfahrenen Operetten- und Musicalspezialistin Franziska Stanner reiche Möglichkeiten der Charakterkomik, die sie ebenso vergnüglich nutzt wie ihre kurzen Gesangsstellen. Sie bekommt ebenso weise wie moderne Ansichten in den Mund gelegt. Ihre Tochter Lisa ist Regina Riel mit schön abgerundeter, leicht süßer, bei Bedarf dramatischer Stimme: für die späte, groß orchestrierte Operette eine gute Besetzung.

Gustav „Gustl“ von Pottenstein ist erneut eine Rolle, die sich Ensemblemitglied Matthäus Schmidlechner in allen Facetten bis hin zum Tanz völlig zu eigen macht und für delikaten Gesang wie elegante Komödiantik verdient großen Applaus einheimst.


Matjaž Stopinšek, Regina Riel. Foto: Herwig Prammer/ Landestheater

Matjaž Stopinšek traut sich zu, als Richard Tauber den Sou Chong zu geben. Ja, das ist ziemlich hoch, aber nicht daneben gegriffen: in Kenntnis der beiden Schlager-Arien aufgenommen von Richard Tauber (Odeon) und Joseph Schmidt (auf der frühen Telefunken A-242, aufgenommen 2 ½ Wochen nach Tauber) könnte man sagen, Herrn Stopinšeks timbre liege zwischen diesen beiden Stimmen. Ganz und gar nicht schlecht, und auf die gewisse kleine Dosis Träne vergißt er auch nicht. Manchmal verzichtet er auf die letzten paar dB an Lautstärke zugunsten des kultivierten Stimmklanges. Natürlich ist sein „Dein ist mein ganzes Herz“ ein würdiger Höhepunkt, aber auch die „Apfelblüten“ gelingen mit feingliedriger Lyrik ebenso wie seine Duette mit Lisa, die ja ein weites Feld von Emotionen abdecken müssen.

Als Hella Kürty und Mi ist Theresa Grabner in ihrem Element – spielfreudig, beweglich-präzise Stimme, einer der Publikumsfavoriten des Abends. Direktor Theodor Schang und  Würdenträger Tschang (in den wohl auch Hohepriester Ling hineingewoben wurde) ist als Sprechrolle konzipiert, mit dem Bass Markus Raab autoritätsvoll besetzt.

Adäquat in weiteren, kleinen Rollen Domen Fajfar, Kathleen Louisa Brandhofer, Marie Elise Hufnagel, Pablo Delgado Flores – teils Studierende der Bruckner-Universität. Der Chor des Landestheaters wurde von seiner Leiterin Elena Pierini auf diesmal überwiegende Statistenaufgaben vorbereitet.

Das Bruckner Orchester unter Marc Reibel zeigt erneut, wie man hochklassig silberne Operette erklingen lassen kann – präzise, transparent, dynamisch und emotionell. Und die Ouverture wird tatsächlich, man möchte es nicht (mehr) glauben, bei geschlossenem Vorhang gespielt, zum Versenken und Einstimmen und Genießen – wie schon kürzlich auch weitestgehend beim „Fidelio“. Lediglich ein Herz wird von zwei Scheinwerfern auf den roten Samt gezeichnet,

Der Applaus hält sich in Grenzen, fällt für Hauptrollen und Musik aber schon recht schön aus; andererseits kassiert das Produktionsteam auch keine Mißfallenskundgebungen.

Petra und Helmut Huber

 

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