Linz: Premiere im Musiktheater des Landestheaters Linz, Großer Saal, 18. 11.2023
„CAVALLERIA RUSTICANA“ – Oper in einem Akt von Giovanni Targioni-Tozzetti und Guido Menasci, Musik von Pietro Mascagni
„I PAGLIACCI“ – Oper in zwei Akten mit Prolog, Text und Musik von Ruggiero Leoncavallo
Angela Simkin, Elena Batoukova-Kerl. Foto: Herwig Prammer für Landestheater Linz
Das populäre Duo, das eher zufällig zusammenfand (an der Hofoper in Wien z. B. schon im österreichisch-ungarischen Erstaufführungsjahr der „Pagliacci“ 1893), aber noch lange nicht fix verkuppelt war, erschien in Linz schon bald nach den Uraufführungen: am 4. Jänner. 1892 die Cavalleria, am 9. November 1893 die Geschichte des mörderischen Bajazzo. Die Linzer Opernstatistik legt nahe, daß die Stücke seit 1919 fast immer in Kombination aufgeführt wurden, erstmals verbrieft mit Premiere am 20. Februar 1937, seit 1949 ausschließlich als Doppelpack. Zuletzt sahen wir „CavPag“ 2002/2003 an der Promenade (Regie Chris Alexander, Dirigent Dennis Russell Davies), angesiedelt in den 1950ern, im Frühling und Herbst des selben Jahres, mit Anklängen an Fellinis „La Strada“, insgesamt recht plausibel.
Die immense Popularität, die beide Werke genießen („Cavalleria“ von Anfang an, „Paglicci“ mit etwas Anlauf) spiegelt sich auch darin, daß um die nationalen Erstaufführungn des ersteren ein heftiger Wettbewerb entstand, und die allererste Radio-Opernübertragung der Geschichte (1910, aus der „Met“) die beiden umfaßte. Sogar Vaudeville-Versionen von der „Cavalleria“ gabs – in einer in Chicago in den 20ern spielte Louis Armstrong die Trompetensoli. Pagliacci hingegen ist die erste Oper, die als Gesamtaufnahme auf Schallplatten erschien, schon 1907, und auch die erste, die (1931) als Tonfilm ihr Publikum fand. Nicht zu vergessen der ebenso infame wie köstliche „Pal-Yat-Chee“ von Spike Jones…
Die neue Produktion (Inszenierung: Alexandra Liedtke, Bühne: Raimund Orfeo Voigt) stellt wie 2003 die Einheit des Ortes für die Werke her, auch wenn die Szenerie noch abstrahierter ist als damals. Anhand der Kostüme (Su Bühler) dürften wir in den 1960ern gelandet sein. Als logisches wie plakatives Bindeglied dient auch ein echtes, durchaus scharfes Messer, das bisweilen schon einmal in der Sitzfläche eines Sessels steckt, oder im Souffleurkasten.
Man hat erneut auf Kistlhaltung der Bühnenpersonen zurückgegriffen, aber differenzierter, komplexer und szenisch anspruchsvoller als kürzlich beim „Freischütz“. Funktioniert zum größten Teil recht gut, aber da das Publikum, samt Silvio, bei der fatalen Aufführung der Truppe Canios in seinem eigenen Kistl sitzt, kommt es zu keinem Kontakt Silvios mit dem rasenden Bajazzo: also bleibt nur übrig, Silvio vor Entsetzen tot oder zumindest bewußtlos umfallen zu lassen. Zum Ausgleich hat originalentsprechend Intrigenschmied Tonio/Taddeo die letzten Worte „La commedia è finita“, nicht, wie oft, Canio.
Elena Batoukova-Kerl, Christa Ratzenböck. Foto: Herwig Prammer für Landestheater Linz
Im Vorfeld herrschte auch Sorge über die Einführung eines Sohnes von Lola; aber im Gegensatz zum grobschlächtigen und unmotivierten Eingriff, den sich Stefan Herheim mit dem „Hundlinging“ in der DOB-„Walküre“ 2021 leistete, ist diese Figur ein hintergründiger, aber auch sensibler Kommentar der gewalttätigen Umstände und Traditionen und steht nur kurz im Vordergrund: einmal, als ihm sein Vater (?) Alfio das Auftrittslied widmet und ein zweites Mal, als der Bub das blutige Messer von der Leiche Turridus aufhebt und ehrfürchtig dessen Schärfe mit einem Finger ertastet – fein dargestellt von Philipp Teufelberger. Mehr infrage zu stellen ist der Einfall, daß man, zur Musik, die für das österliche Dorftreiben auf dem Kirchenplatz gedacht ist, einerseits zeigt, wie sich Turiddu und Lola, eh nicht übertrieben drastisch, an die Wäsche gehen, und ein zweites Liebespaar es ihnen gleichtut, während sich im dritten Kistl (Lucias Beisl) Santuzza langweilt – auch ein bissl ansteckend fürs Publikum. Auch grübeln wir noch, was das leicht affige Gehabe des zweiten Paares bei der Prozession bedeuten sollte. Und ist es wirklich eine gute Idee, Turiddu auf, nicht hinter der Bühne sterben zu lassen?
Andererseits wird das Bühnenkonzept auch recht sinnvoll eingesetzt, etwa beim intermezzo sinfonico, wo sich nach einer vom Dirigenten als philosophischer Disput gestalteten ersten Hälfte beim prachtvoll aufleuchtenden zweiten Teil der Blick ins Kirchenschiff öffnet. Auch beim Intrigenspiel und den heimlichen Treffen in der zweiten Oper kommt das Konzept gut zur Geltung; hier ist das Zwischenspiel ebenfalls ein Leckerbissen. Die Personenführung kann meistens punkten, mit den Höhepunkten der Konfrontation von Santuzza und Turridu (leider ohne Kirchentreppe), dem „Abschied von der Mutter“ und dann dem tänzerisch ausgefeilten, immer dramatischer werdenden Bühnenstück der Commedia-dell‘Arte-Truppe.
Wo man dann nur reine Freude empfinden kann, ist die musikalische Seite: der Würzburger GMD und seit neuestem auch musikalischer Leiter des Teatro Verdi in Triest, Enrico Calesso, läßt die bei geschlossenem Vorhang (!!) gespielte Ouvertüre in Glut und Blut leuchten, setzt aufregende Rubati – hochemotionell, mitreißend, und mit den Singstimmen perfekt abgestimmt. Auch im Werk nach der Pause kommen diese Qualitäten heraus, noch garniert mit der lauernden Spannung, die den Erpresser/Intriganten umweht. Nebenbei: Cavalleria wird mit angehobenem Orchesterboden, Pagliacci mit tiefem Graben gespielt, womit das exzellente Bruckner Orchester in ersterem Werk mehr Transparenz, in zweiterem mehr Wucht hören läßt.
Sung-Kyu Park. Matthäus Schmidlechner. Foto: Herwig Prammer für Landestheater Linz
Der Ausdauersieger des Abends ist der regelmäßige Gast Sung-Kyu Park, der sowohl Turiddu wie Canio in voller Pracht und Emotionalität, sogar mit der gewissen Träne in der Kehle, hören läßt, und diesen erstklassigen Qualitäten auch noch mit gutem Schauspiel Nachdruck verleiht – insgesamt tatsächlich in der Lage, mit den Emotionen des Publikums zu spielen. Ensemblemitglied Adam Kim tut es ihm mit einem erstklassigen Alfio wie Tonio gleich.
Erika Eloff und Ensemble. Foto: Herwig Prammer für Landestheater Linz
Als Gast tritt auch Elena Batoukova-Kerl (Santuzza) auf, die mit Druck und Emotion eine perfekte Partnerin für Turiddu ist. Nedda ist zwar etwas lyrischer angelegt, aber mit der Prachtkehle von Erica Eloff natürlich zu ebenso großen Emotionen fähig. Letztere und der Peppe/Arlecchino Matthäus Schmidlechner brillieren zudem als Bewegungstalente auf der Pagliacci-Bühne.
Christa Ratzenböck, die Lola von 2003, ist eine großartige Lucia, und Angela Simkin die aktuelle, entzückende Lola. Der Silvio ist des neuen Ensemblemitglieds Alexander York erste große Premierenrolle, die er gut gestaltet hat; das schon sehr schöne Legato wird abzüglich der sicher vorhandenen Premierennervosität noch organischer werden! Auch sehr gut die zwei Bauern Laurin Siebert und Zachary McCulloch.
Chor und Extrachor, auch Kinder- und Jugendchor (Leitung Elena Pierini und David Alexander Barnard) glänzen sängerisch wie als bunte und lustvolle Darstellertruppe.
Große Begeisterung, teils standing ovation, für Hauptrollen, Dirigent, Orchester und Chöre; einige Buhs für das Produktionsteam.
Premierenfeier: Alexandra Liedtke, Elena Batoukova-Kerl, Sung-Kyu Park, Christa Ratzenböck, Matthäus Schmidlechner, Angela Simkin. Foto: Petra & Helmut Huber.
Petra und Helmut Huber