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LINZ/ Landestheater/ Black Box: THE RAPE OF LUCRETIA. Premiere

Produktion des oö. Opernstudios am Musiktheater

22.09.2019 | Oper


Timothy Connor, Florence Losseau. Foto: Petra Moser/ Landestheater

Linz: „THE RAPE OF LUCRETIA“ – Premiere einer Produktion des oö. Opernstudios am Musiktheater des Landestheaters, Black Box, 21. 09.2019

Kammeroper in zwei Akten nach dem Schauspiel „Le Viol de Lucrèce“ von André Obey, Libretto von Ronald Duncan, Musik von Benjamin Britten

In englischer Sprache; (wegen „political correctness“ nicht ganz korrekte) deutsche Übersetzung auf Bildschirmen.

Die dritte Oper Brittens, zwischen „Peter Grimes“ und „Albert Herring“ entstanden, wurde am 12. Juli 1946 in Glyndebourne unter der Stabführung von Ernest Ansermet mit der Bühnendebütantin Kathleen Ferrier in der Titelrolle uraufgeführt. Sie war dezidiert als kleine Produktion mit reduziertem Orchester, für einen „schlanken“ Klang, gedacht.

Ein großer Erfolg war dem neuen Werk nicht beschieden; ein wichtiger Kritikpunkt war, daß mehrfach im Stück, am deutlichsten zum Finale, entschieden auf christliche Prinzipien und besonders die Erlösung durch Jesu Tod am Kreuz verwiesen wird – und das in einem Stück, das 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung angesiedelt ist. An der Musik kann die Ablehnung, aus heutiger Sicht, kaum gelegen sein; sie ist z. B. in Kenntnis der Wiener und Berliner Moderne um den ersten Weltkrieg herum (die freilich in Großbritannien erst spät, wenn überhaupt, ankam) ausgesprochen „zahm“ und oft von wunderbarer Lyrik; Britten orientierte sich auch in vielen Teilen des Werkes an Henry Purcell. Beispielsweise weisen einige großartige Ensemblestellen, freilich auf das Gehör eines Publikums in Zeiten nach der Spätromantik orientiert, auf Letzteren hin.

An der Bescheidenheit der Orchestermittel kann es nicht gelegen haben: tatsächlich besteht das „Kammerorchester“ zwar nur aus 14 Personen – allerdings bedienen diese u. a. ein sehr umfangreiches Schlagwerk, ein Klavier und eine Harfe; Bläser sind überproportional vertreten, die Streicher in der Minderheit. Jedenfalls kann Leslie Suganandarajah, nunmehriger Musikchef des Salzburger Landestheaters, dem derart reduzierten und wie immer präzisest aufspielenden Bruckner Orchester verblüffende Dynamik entlocken. Sein Dirigat wahrt durch die knapp 2 Stunden pausenlose Aufführung die Spannung, malt die von Britten entworfenen Stimmungen in allen denkbaren Farben aus und ist, bei der schon wieder einmal neuen, eigenwilligen Aufteilung des „Kellerstudios“ des Musiktheaters, auch auf die Raumverhältnisse exzellent abgestimmt.

Opernstudiochef Gregor Horres läßt das Werk quasi in einem miniaturisierten „circus maximus“ ablaufen (Bühne und Kostüme Jan Bammes; assoziative, dabei nicht zu sehr abstrahierende Projektionen Volker Köster): an den Langseiten Publikumstribünen, an einer Schmalseite eine Fachwerkkonstruktion mit Folienüberzug auch als Projektionsfläche und drei Falltüren, an der anderen das Orchester und dahinter ein weiterer Publikumsraum. Die seinerzeit schon ohnedies abstrahiert gedachte und jedenfalls bedauerlicherweise völlig zeitlose Handlung könnte in dieser Produktion quasi als Probe in Glyndeburne anno 1946 aufgefaßt werden; jedenfalls suggeriert die Mode der meisten weiblichen Figuren diese Zeit – die mit Ausnahme des „Chores“ nur Militärs umfassenden Männerrollen sind in aus Tarnstoff genähten (und damit erfreulicherweise nicht schon wieder einfallslos-einheitsbusinessgrauen) klassischen Anzügen gekleidet. Damit umgeht man auch die Frage, warum denn nur im altrömisch/etruskischen „Archäodrama“ plötzlich neutestamentliche Ethiküberlegungen auftauchen sollten: aus der Warte von 1946 und somit kurz nach einem besonders grauenhaften und mörderischen Krieg sind diese, insbesondere auch im Abschwören von Gewalt, die doch überproportional die Frauen treffe, absolut plausibel am Platze. Die dramaturgische Betreuung obliegt Anna Maria Jurisch.


Timothy Connor, Svenja Isabella Kallweit. Foto: Petra Moser/ Landestheater

In einer Kammeroper muß natürlich auch der altgriechische Bühnenchor schrumpfen, lediglich eine Dame und ein Herr bleiben übrig: Svenja Isabella Kallweit übernimmt mit klarem, wunderschön timbriertem, bei Bedarf mühelos druckvollem Sopran die Beschreibung der Emotionen, während die Handlung der überaus textdeutlich singende lyrische Tenor Rafael Helbig-Kostka darlegt, der ebenso über wunderbaren Schmelz und timbre verfügt!

Collatinus, römischer General, dessen unverbrüchlich treue Gattin das Hauptopfer der Geschehnisse ist: Philipp Kranjc; er verkörpert den Liebenden und – vergeblich – mit Verständnis und Empathie auf die Katastrophe, die Lucretia widerfahren ist, Reagierenden mit vorzüglich abgerundetem, warmtönigen Baßbariton. Junius, ein weiterer römischer General, ethisch eher indifferenter Haltung: Seunggyeong Lee, engagiert in Spiel und seiner sehr gut fundierten Baritonstimme.

Der (hauptsächliche) Bösewicht des Stückes, Prinz Tarquinius Sixtus, Sohn des etruskischen Tyrannen: Timothy Connor, gut im Spiel, Stimme druckvoll und dunkel getönt, könnte aber noch etwas besser definiert sein, sich noch besser von der Kehle lösen.

Lucretia, Gattin des Collatinus, wird in all ihren sehr weit aufgefächerten Gefühlen schauspielerisch tief bewegend von Florence Losseau dargestellt; ihre wunderschön timbrierte, keinerlei Schärfen aufweisende Stimme geht mit all den Emotionen perfekt mit – eine rundum tolle Leistung!

Sinja Maschke steht Frau Losseau als Bianca, Lucretias Amme, stimmlich kaum nach, und auch sie ist eine überzeugende Schauspielerin. Gleiches ist über Etelka Sellei als Lucia, Lucretias Dienerin, zu schreiben.


Ensemble. Foto: Petra Moser/ Landestheater

Ein selten zu hörendes Werk mit hochinteressanter, emotionell eindrucksvoller Musik, präsentiert von hervorragenden jungen Sängerinnen und Sängern, perfektem Orchester und Dirigenten, in einer klaren und verständlichen Inszenierung. Begeisterter Applaus, ein oder zwei Buhrufe für das Produktionsteam.

NB: in der Black Box gibt es à priori nicht sehr viele Plätze…!

Petra und Helmut Huber

 

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