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LINZ/ Landestheater/ Black Box: MARY UND MAX. Musical nach dem claymation-Film „Mary & Max“ von  Adam Elliot.Premiere

… und irgendwo ein Licht“.

09.11.2019 | Operette/Musical


Foto: Sakher Almonem 

Linz:„MARY UND MAX … und irgendwo ein Licht“– Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Black Box, 08. 11.2019

Musical nach dem claymation-Film „Mary & Max“ von  Adam Elliot, Buch von Crystal Skillman, Musik und Gesangstexte von Bobby Cronin; Übersetzung Jana Mischke

Europäische Erstaufführung, erste Aufführung in deutscher Sprache

Unsere unguteste Erinnerung an das Plastilin, das irgendwann unterm Christbaum lag, sind nicht die pickerten Finger oder die mitunter am Tischtuch verbleibenden Fettflecken, sondern, daß man nach wenigen Kreationsversuchen mit den bunten Würsteln nicht mehr die einzelnen Farben vor sich hatte, sondern alles zu einer graubraune Masse vereint war. Aber es gab und gibt Meister, die ganze Kunst- oder zumindest künstliche Welten daraus schaffen; wenn man dann noch eine Filmkamera in Einzelbildschaltung vor dem Motiv stehen hat, dann wird aus dem bunten „Ölton“ eine beweglich geformte oder gar lebendige Filmszenerie, eben eine Ton-Animation.1908, lange vor Geburt des Begriffes „claymation“ wurde der erste Film dieser Art von den Edison-Studios hergestellt; in neueren Zeiten wurde das britische Aardman-Studio („Wallace and Gromit“, „Chicken Run“) damit erfolgreich.

Der Australier Adam Elliot präsentierte 2009 einen Film dieser aufwendigen Herstellungsweise, der umgehend eine Reihe von Preisen abräumte. Er handelt von Mary Daisy Dinkle, einem achtjährigen Mädchen, das 1976 einsam in Melbourne lebt; seine Mutter ist kleptomanische Alkoholikerin, der Vater stellt Teebeutel her und präpariert tote Vögel. Mary hat gehört, daß Babies am Boden von Biergläsern auf die Welt kämen. Freilich ist sie sich des Wahrheitsgehaltes dieser großväterlichen Erzählung nicht ganz sicher, und beschließt, sich woanders, am besten „inAmerika“, Gewißheit zu holen. Sie findet ein New Yorker Telefonbuch und darin per Zufall Max Jerry Horowitz – 44 Jahre alt, Asperger-Autist („Aspie“), übergewichtig, ebenso wie Mary mit dunkler Familiengeschichte; er hält sich mehrere,eher defekte, Haustiere, und seine einzigen menschlichen Kontakte vor dem Briefwechsel sind seine Weight-Watchers-Runde sowie sein Psychiater. Bemerkenswerterweise lautet Max‘ Wissensstand zu Marys Frage, daß Menschenkinder in Wirklichkeit aus Eiern erbrütet würden: Macht das ein Rabbi, würden jüdische Kinder schlüpfen, wenn eine Nonne brütet, christliche – und ungläubige Kinder, wenn eine Prostituierte das Ei zum Reifen bringt. Es ist also alles für eine extrem schräge, hinter- wie tiefsinnige (Tragi)Komödie angerichtet, die in einer an die Filmserie „Sin City“ erinnernden bleichen Farbwelt präsentiert wird.


Daniela Dett, Christian Fröhlich. Foto: Sakher Almonem 

Die Musicalversion hatte am 16. Oktober 2018 in Calgary/Kanada Uraufführung. Dabei erhielt die leicht vereinfachte Filmstory statt des Erzählers eine Rahmenhandlung mit einer pubertierenden 13-jährigen Lilly und ihrem tragisch-komplizierten Verhältnis zum Vater; dieser erzählt ihr die Geschichte von Mary und Max als menschliches Lehrstück, was zu einem doch etwas klebrigen Ende führt, verglichen mit dem lakonisch-düsteren Filmfinale – auch wenn letzteres nicht ausgespart wird, aber eben durch einen nachgeschobenen mahnenden Zeigefinger aufgeweicht (Dramaturgie Arne Beeker). Auch die Musik hält die von Adam Elliot erschaffene Stimmung nicht durch, obwohl das siebenköpfige Orchester interessante Kombinationen aus Violine, Cello, Saxophonfamilie/Flöte, Schlagzeug incl. u. a. Röhrenglocken, Kontra-/e-Bass und Gitarre bietet; Juheon Han leitet diese im Bühnenhintergrund agierenden „Ethel and the Aspies“ vom Klavier/keyboard aus mit Verve, Gefühl und Präzision. Nicht nur, wenn Max‘ ängstlich austariertes Koordinatensystem wieder einmal durcheinandergebracht wird („Störung! Störung!! Störung!!!“), ertönen zwar interessant mokante und schräge Melodien und Arrangements, die man wohl zwischen Sergej Prokofiev und Tom Waits einordnen könnte – dannaber wird es wieder lyrisch, meist klischeehaft und mitunter klebrig. Nur ein Liebesduett von Mary und Damian hebt sich da positiv ab.

Bühne (Kaja Dymnicki) und Kostüme (Julia Klug) hingegen verweisen, z. B. mit absurd-plastikhaft überdrehten Perücken und viel mehr Buntheit als der Film, auf die Plastilin-Herkunft der Gestalten und schufen eine zwischen kleinstbürgerlich und diskret makaber changierende Simultanbühne, die durchaus im Geist des Originals steht, ohne dieses zu kopieren. In diesem Cinemascoperaum, der immerhin die Strecke zwischen Melbourne und New York abdecken soll, irgendwo dazwischen das Orchester, läßt Andy Hallwaxx eine meist temporeiche, oft schrille Handlung ablaufen, die aber auch zum passenden Zeitpunkt reflexive Ruhepunkte erhält. Zusammen mit der Choreografie von Jerôme Knols hat das Ensemble da genügend Gelegenheiten, in vielfältiger Weise zu brillieren. Teils in Solorollen, teils immer wieder anonym im khakifarbenem Postler-Overall als Ensemble, sind alle im Folgenden Genannten fast immer auf der Bühne; szenische und bühnentechnische Aufgaben gehen ineinander über.


Linsey Thurgar, David Arnsperger. Foto: Sakher Almonem 

Lily und kleine Mary: Celina dos Santos mit glaubwürdigen Gefühlen, sauberem Gesang und guter Diktion; ihr Vater ist Karsten Kenzel – nicht immer ausgewogene Stimme, auch ist seine Textverständlichkeit suboptimal, vielleicht aber eine Frage der Tontechnik.

David Arnsperger als Max fechten solche Überlegungen nicht an: stimmlich kommt der Breisgauer, der auch Opernrollen im Repertoire hat (immerhin Alfonso in „Cosí“, Zettel in Brittens „Sommernachtstraum“), bei weitem nicht an seine Grenzen, sogar wenn er ins Tenorregister hinaufklettert, was er ohne Kopfstimme schafft. Dabei ist er, auch an unseren weiter hinten gelegenen Plätzen zu merken, kaum auf die Mikrophonstütze angewiesen und seine Artikulation ist makellos. Nicht nur stimmlich liefert er eine erstklassige Leistung: auch als Darsteller gibt er dem Max sorgfältig modellierte Gestalt, bis hin zu feinsten Gesten – keine Karikatur des schwierigen Charakters, keine sentimentalen Übertreibungen.

Die ältereMary wird von Sanne Mieloo in ähnlich differenzierter Weise verkörpert, mit ihrer komplexen Entwicklung von der immer noch naiven Brieffreundin über die gerade einem dysfunktionalen Elternhaus Entkommene zur zunehmend erfolgreichen Studentin und Autorin – und die doch, was Liebes- und andere zwischenmenschliche Beziehungen angeht, sehr lange bis zum Erwachsenwerden braucht. Auch sie verfügt über hervorragendes Stimmaterial und setzt dies auch mit perfekter Verständlichkeit ein. Und sie hat, vor der Pause, gegenüber der jungen Mary, auch einen ebenso kurzen wie köstlichen Auftritt als krötige Nachbarin.

Der schüchterne Nachbar Damian (als Erwachsener), nach vielen vergeblichen Anläufen für kurze Zeit Marys Ehemann: Gernot Romic, wandlungsfähig vom stotternden Schüchti bis zum selbstbewußten Entdecker einer überraschend anderen Orientierung.

Das durchgeknallteaustralische Mutterwesen Vera ist wieder einmal eine dankbare Rolle für Daniela Dett, in der sie von Mitleid bis Verachtung ein breites Spektrum an Publikumsreaktionen locken darf und natürlich auch musikalisch und tänzerisch Gelegenheit zum Ausspielen ihrer Brillanz erhält.

Verschiedene schrill karikierte Ärztinnen und andere Figuren: die rundum perfekte Lynsey Thurgar. Max‘ Mutter / Ivy/ die andere böse Nachbarin: Hanna Kastner, auch sie immer verläßlich erstklassig. Vater beider Protagonisten und beinamputierter, menschenscheuer Nachbar: Christian Fröhlich, ein ebenso vorzüglicher Darsteller, Tänzer und Sänger wie seine beiden vorgenannten Kolleginnen.

Eine Fülle von Rollen – kleiner Damian / Teen Max / Max‘ Kater Mief-Henry / Marys Hahn Ethel (!) deckt Lukas Sandmann mit großem komödiantischenund bewegungsfreudigen Engagement ab; er und etliche der Vorgenannten sind im übrigen einem oft rasenden Kostümwechsel unterworfen – klappt aber alles perfekt, mit vielen ungenannten Helferinnen und Helfern hinter den Kulissen!

Begeisterter Applaus nach (incl. Pause) 2½ Stunden, auch für das Produktionsteam und die beiden anwesenden Autoren.

Petra und Helmut Huber


Schlussapplaus, Foto: Petra und Helmut Huber

 

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