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LINZ/ Landestheater/Black-Box: „LA TRAGÉDIE DE CARMEN“ – Premiere

26.09.2022 | Oper in Österreich

Linz: „LA TRAGÉDIE DE CARMEN“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Black Box, 25. 09.2022

Von Peter Brook und Marius Constant nach Georges Bizets Oper „Carmen

Text von Peter Brook und Jean-Claude Carrière nach der Novelle „Carmen“ von Prosper Mérimée und dem Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy.

Produktion des Oberösterreichischen Opernstudios in Zusammenarbeit mit der Fondazione Mascarade Opera Firenze

In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

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Navid Taheri Derakhsh. Foto: Petra Moser

Der erst vor knapp drei Monaten höchstbetagt verstorbene Peter Brook gilt als wirkmächtiger Erneuer des Theaters – sein Buch „Der leere Raum“ ist programmatisch zu seiner oft asketischen Bühnengestaltung betitelt. Ab 1970 gestaltete er u. a. in Paris am Théâtre des Bouffes du Nord zahlreiche Produktionen. Im November 1981 wurde von ihm in diesem Haus eine aufs äußerste kondensierte und konzentrierte Version von Bizets Opernschlager auf eine runde Sandfläche gestellt, wobei man aber auch nochmals auf die zugrunde liegende Novelle von Prosper Mérimée zurückgriff. Die Idee war, durch Eliminierung der großen Personenmassen, die dieses Werk kennzeichnen, die Beziehungen der Hauptpersonen freizulegen, ihnen ihre „Verstecke“ zu rauben, Charaktere und die tragische Handlung für das Publikum so unmittelbar erlebbar wie nur möglich zu machen. So haben wir es hier nur mit Carmen, Don José, Micaela und Escamillo als Gesangsrollen zu tun; die übrigen (Sprech)Rollen dieser Bearbeitung wie Zuniga oder Lillas Pastia wurden für die Linzer Produktion, die die österreichische Erstaufführung darstellt, auch noch gestrichen.

Brook hat eine sehr ähnliche Version auch verfilmt. Dabei, und auch schon in der ursprünglichen Theaterproduktion, waren drei Besetzungen dieser Figuren engagiert, was, bei erwünschter Individualität der Darstellungen, natürlich auch eine Erweiterung der Charaktere bedeutete. Bei dieser Produktion des Linzer Opernstudios ist allerdings, außer bei Micaela (die eine Zweitbesetzung aufweist), nur jeweils eine Verkörperung vorgesehen.

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Sophie Kidwell, Josephine Jaeger.  Foto: Petra Moser

Natürlich wurde auch die Musik (von Marius Constant) bearbeitet – zuerst einmal im Sinne der vorgenannten Konzentration, aber auch für die Situation im Uraufführungstheater, das nur Platz für 15 Musikerinnen und Musiker bietet. Ums gleich zu sagen: trotz dieser Verkleinerung klingt die Musik nicht wie von einem – wie immer professionell und musikalisch integren – Kurorchester gespielt! Was Constant über das reine Arrangieren hinaus gemacht hat, ist musikalisch recht interessant: z. B. läßt er die Habanera großteils nur von einem set von (sehr gefühlvoll gespielten) vier Pauken begleiten, und auch das dunkle Finale wird nur von diesen Instrumenten, verklingend bis ins ppppp, gestaltet. Dazwischen gibt es nur ein kurzes Stück eigener Komposition (aus Bizet-Themen), wenn die Dinge sich auf mehreren Ebenen zum Bösen entwickeln. Mitunter übernimmt auch ein Flügel, und zu Beginn des „vierten Akt-Äquivalents“ wird die Musik der Ouverture in der üblichen Orchesterfassung, sehr distant klingend, von der Konserve eingespielt. Also – Akte gibt es natürlich nicht, die Aufführung läuft in einer Dekoration ohne Pause, ca. 90 Minuten lang.

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Àngel Vargas.  Foto: Petra Moser

Die Inszenierung von Opernstudiochef Gregor Horres setzt naturgemäß auf die reine und detaillierte Personenführung, und die jungen Darstellerinnen und Darsteller setzen diese beeindruckend um. Die Bühne (Jan Bammes) entspricht den Vorgaben der Urproduktion, die Kostüme von Yvonne Forster stützen die Zeichnung der Figuren, wobei Escamillo schon eine prächtig gemusterte Stierkämpferdress gegönnt wird. Die Dramaturgie besorgt Martin Schönbauer – sehr, sehr engagiert.

Die Titelfigur wird von Sophie Kidwell intensiv gesungen und gelebt (und gestorben). Beeindruckender nutzbarer Stimmumfang, auch die ganz tiefen Lagen kommen klangvoll. Zu bemängeln (und zu verbessern) wäre vielleicht ein etwas hektisches Vibrato, womöglich eine Frage der Nervosität oder der Routine… auch Tina Josephine Jaeger als höchst emotionelle Micaela vibriert teils etwas zu betont, kriegt sich aber dann wieder ein (wie man ja in anderen Rollen schon von ihr hören konnte). Der Gast vom florentinischen Opernstudio, Ángel Vargas, verkörpert Don José mit recht guter Höhe, aber mitunter leicht kehliger Stimme. Die für viele schwierig gelegene Partie des Escamillo paßt Navid Taheri Derakhsh offensichtlich sehr gut in den Kehlkopf, und sein „Kampflied“ ist ein echter Genuß.

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Schlussapplaus. Foto: Petra und Helmut Huber

Das präzise kleine Ensemble aus dem Bruckner Orchester wird von Claudio Novati mit Gefühl und Geschick geleitet – wie schon geschrieben, es klingt nach deutlich mehr! Auch die herausfordernde Raumsituation (wie immer ist die Black Box sehr eigenwillig, für uns schon wieder in einer neuen Form, eingerichtet) mit dem Orchester zwischen einem Teil des Publikums und der Spielfläche, davon 5 m entfernt das Klavier, hat er perfekt im Griff.

Begeisterter Applaus für eine konzentrierte Aufführung konzentrierter Gefühle, die trotz der tiefgreifenden Bearbeitung Bizet alle Ehre antut.

Petra und Helmut Huber

 

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