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LINZ/ Landestheater/ Black Box: FUN HOME Musical nach der Graphic Novel von Alison Bechdel. Musik von Jeanine Tesori. Premiere

15.04.2023 | Operette/Musical

Linz: „FUN HOME – “ – Premiere (deutschsprachige Eraufführung) am Musiktheater des Landestheaters, Black Box, 14. 04.2023

Musical nach der Graphic Novel von Alison BechdelFun Home – eine Familie von Gezeichneten (Fun Home: A Family Tragicomic)“, Musik von Jeanine Tesori, Buch und Gesangstexte von Lisa Kron; Deutsch von Roman Hinze

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Helena Unger (die „kleine Alison). Foto: Reinhard Winkler

Die 1960 geborene Autorin wuchs im ländlichen Pennsylvania in einer vordergründig ganz normalen, oft durchaus vergnügten Familie auf. Allenfalls fiel auf, daß die kleine Alison sich eigentlich lieber wie ein Bub als wie ein Mädchen kleidete. Das nervte gelegentlich ihren anscheinend sehr korrekten Vater, der sowohl Englisch-Lehrer in der örtlichen Schule, als auch Begräbnisunternehmer war, also ein funeral home betrieb, familiär leicht makaber als fun home, also Spaß-Haus, abgekürzt. Aber sonst fällt der autobiographischen Erzählerin an ihm zunächst nichts Besonderes auf. Erst als sie als Studentin ihre lesbische Neigung entdeckt und dies, nach längerem Kampf mit sich, ihren Eltern mitteilt, bricht so einiges auf – vor allem, daß ihr Vater ein Doppelleben mit homosexuellen Freunden, davon einige extrem jung, führt. Schließlich stirbt dieser bei einem Unfall (oder ists Selbstmord, angesichts der schließlich von seiner Gattin eingeleiteten Scheidung??), und vieles zwischen Vater und Tochter bleibt ungesagt…

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Karsten Kenzel (Vater), Christian Fröhlich. Foto: Reinhard Winkler

Das Buch erschien 2006 und war ein großer Erfolg bei Publikum und Kritik. Das seit 2009 entwickelte Musical wurde off-Broadway im September 2013 uraufgeführt und erreichte die Musical-Hauptstraße zwei Jahre später. U. a. erhielt es dann den „Tony“ als bestes Werk des Jahres.

Nicole Claudia Weber inszeniert nahe an der Realität, eingepaßt in eine leicht studioartig abstrahierte Bühne (Charly Fehringer); durch einen „handgetriebenen“ Drehbühnenaufbau ist die Szenerie trotz der bescheideneren Möglichkeiten in der Kelleretage des Musiktheaters sehr wandelfreudig. Die an der Zeit orientierten Kostüme stammen von Julia Klug und Nina Holzapfel. Die Regie schafft sehr gute und plausible personelle Interaktion der schon in vielen erstklassigen Produktionen in Linz erprobten Besetzung, aber auch die Kinder sind sensationell präzise und „bühnensicher“. Für die wenigen Tanzszenen sind Hannah Moana Paul und Judith Leikauf zuständig.

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Celina dos Santos („mittlere Allison), Sanne Mieloo („erwachsene Alison“). Foto: Reinhard Winkler

Dramaturgische Betreuung und Übersetzung: Arne Beeker. Mitlauftext gibt es keinen, allerdings spricht und singt das ganze Bühnenpersonal vorzüglich wortdeutlich.

Die zentrale Figur, die ganzen pausenlosen 100 Minuten auf der Bühne, teils beobachtend, teils an der Handlung beteiligt, ist die erwachsene Alison – Sanne Mieloo, konzentriert und reflektiert. Der „mittleren Alison“ (u. a.), Celina dos Santos, kommt die Darstellung der heiklen Phase des Bewußtwerdens ihrer lesbischen Natur und des „coming out“ gegenüber ihrer Familie zu, und sie macht das hervorragend und bewegend.

Der zwiespältige Vater Bruce Bechdel wird von Karsten Kenzel delikat und bar aller Klischees dargestellt. Seine lange die Fassade wahrende Gattin Helen bietet Daniela Dett erneut Gelegenheit, ihre darstellerischen und stimmlichen Fähigkeiten strahlen zu lassen.

Die Freunde und/oder Opfer von Bruce, Roy/Mark/Pete/Bobby Jeremy werden sämtlich von Christian Fröhlich facettenreich repräsentiert. Joan, die Kommilitonin, an der Alisons Neigung erstmals entflammt, ist Bettina Schurek, die menschliche Wärme und Ehrlichkeit ausstrahlt.

Sensationell die (10jährige) „kleine Alison“: die Bühnenpräsenz und Sicherheit bei Gesang und der gewaltigen Textmenge von Helena Unger ist wirklich beeindruckend! Sehr gut natürlich auch ihre Brüder Christian (Benjamin Kirchschläger) und John (Michael Falkner).

Die Musik leidet streckenweise unter der „üblichen“ Flachheit der heutigen einschlägigen Kompositionen, aber einige highlights gibt sie durchaus her: zum Beispiel eine recht ordentlich im Soul-Idiom gesetzte Nummer, als die Kinder (stimmlich wie im feeling!) aus dem funeral home ein fun home machen, oder die intensive Ballade, in dem Helen der Enttäuschung über ihren ungetreuen und unaufrichtigen Ehemann erstmals und gründlich freien Lauf läßt. Die Darstellerinnen und Darsteller werden getragen von „The Six Feet Under Band”, sieben erstklassige Musikerinnen und Musiker incl. des Dirigenten an den keyboards, Juheon Han, der immer die präzise richtige Stimmung trifft.

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Schlussapplaus. Foto: Petra und Helmut Huber

Begeisterter Applaus und Jubel, sozusagen genreüblich natürlich standing ovation, auch für das Produktionsteam. Sicher alles andere als leichte Unterhaltungsware, szenisch kompetent präsentiert.

 

Petra und Helmut Huber

 

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