Linz: „DIE HEILIGE ENTE – Ein Spiel mit Göttern und Menschen“ – Premiere im Musiktheater des Landestheaters Linz, Black Box, 14. 12.2024
Oper in einem Vorspiel und drei Akten von Leo Feld und Karl M. von Levetzow, Musik von Hans Gál, für Kammerorchester bearbeitet und gekürzt von Rainer Schottstädt (UA 2003)
Eine Produktion des OÖ Opernstudios.
In deutscher Sprache mit deutschem Mitlauftext
Das Titeltier. Copyright: Petra Moser
Das Spielzeitmotto 2024/25 lautet: „wie will ich leben“. So richtig will sich dieses teils märchenhafte, teils für die Entstehungszeit (1923) sehr treffsicher als anarchische Politsatire gebaute Oper nicht recht in diese Devise fügen. Aber nehmen wir „100 Jahre Radio in Österreich“: dieses Werk (in seiner vollen Länge von ca. 2 ½ Stunden) war 1929 die erste zeitgenössische Oper, die von der RAVAG komplett übertragen wurde, und bis 1933 ein vielerorts in Deutschland ins Programm genommenes Erfolgsstück!
Die drei Götter: Chanyang Kwon, Alexandre Bianque, Gregorio Changhyun-Yun. Copyright: Petra Moser
Drei Götter langweilen sich. Also spielen sie mit Menschenschicksalen: Der Entenzüchter Yang wird am Weg zum Palast des Mandarins von dessen Ehefrau Li durch ihren Gesang und ihre Schönheit verzaubert – so lässt er sich die Ente stehlen, die er dem Mandarin für dessen Festmahl verkauft hat. Daher wird Yang vom Mandarin mit dem Tode bedroht, so er die Ente nicht zurückbringt. Das ist für die Götter ein Grund einzugreifen und die Seele (das Gehirn) des Yang mit der Seele des Mandarins zu vertauschen (wobei man sich der Hilfe des „süßen Rauches der bitteren Blüte“, i. e. Opium, bedient – nicht nur einmal im Stück…); auch andere Hirne wechseln (in dieser Version) die Köpfe. Yang nützt die Gelegenheit und schafft als Mandrin die Todesstrafe ab; doch dann geht er zu weit, indem er auch Würdenträger und schließlich Götter für überflüssig erklärt, was diesen nicht gefällt, sodass sie den Seelen/Hirntausch wieder rückgängig machen. Die Ente taucht schließlich auf, ein Wunder für den Mandarin, der deswegen Yang in den Adelsstand erheben will. Yang will das jedoch nicht und zieht in die weite Welt, um sein Glück zu suchen. (Nach www.capriccio-kulturforum.de). Oder, wie Georg Jensch in Breslau am 14. Februar 1925 in der „Schlesischen Theater- und Musikwoche“ zusammenfaßte: „Ein Spiel der Götter mit den Menschen, ein Spiel der Menschen mit den Göttern und schließlich ein Spiel der Phantasie des Dichters mit Göttern und Menschen.“ Ähnlichkeiten zu Klabunds „Kreidekreis“ und Brechts „Gutem Menschen von Sezuan“ werden von der Dramaturgie (Christoph Blitt) angeführt; aber diese Stücke wurden wohlgemerkt später uraufgeführt!
Genesis Beatriz López Da Silva,Martin EngerHolm, Felix Lodel
Die Musik von Hans Gál ist – soweit man in der stark (auf 1 Stunde) gekürzten Neufassung feststellen kann – bunt und fesselnd, in einer sehr bekömmlichen Mischung aus Spätromantik, freier Tonalität und ein paar, sparsam eingesetzten, „Chinoiserien“. Abgesehen davon ist die Partitur dramaturgisch sehr geschickt konstruiert. Einige großartige Ensembles wechseln mit anspruchsvollen Soli und spannenden Orchesterstellen ab, und ein Duett von Li und Yang würde auch einem späten Richard Strauss sehr gut anstehen.
Opernstudioleiter Gregor Horres hat mit seiner Inszenierung das Werk verständlich und klar umgesetzt, sodaß trotz der komplizierten, jedoch stark kondensierten Geschichte keine Fragen offen bleiben. Auch die Bühne von Elisabeth Pedross, die für das Studiotheater im Keller recht ausgedehnt ausfällt, stützt Handlungsabläufe und bietet eine passende Spielwiese für Götter und Menschen. Wie die Bühne sind auch die Kostüme (Bianca Sarah Stummer) nicht auf ein altes China eingegrenzt, aber in Teilen davon inspiriert – passend zur Studiosituation und zu Charakter und Epoche der Komposition. Und mit hohem Aufwand auch im Detail: als der Mandarin zum Kuli wird, zeigt er auch plötzlich einen komplex tätowierten linken Arm!
Die Götter, die Ente und die Tänzerin. Copyright: Petra Moser
„Der Gott über dem Wasserbecken“ ist der Tenor Alexandre Bianque, der nicht nur stimmlich Freude macht, sondern auch seine blutige Rolle als Gehirntransplantator köstlich ausspielt. Chanyang Kwon, Baßbariton, ist „Der Gott an der Türe“ und sein Kollege „über dem erhöhten Sitz“ wird vom Baß Gregorio Changhyun Yun gegeben – beide ebenso stimmlich wie schauspielerisch eine Freude. Im Gegensatz zu diesen jungen, teils studentischen Kräften ist der Darsteller des Mandarins eine etablierte Größe, um nicht zu sagen Star, des Landestheaters: Baßbariton Martin Achrainer, der auch diesmal wieder all seine Stärken hinsichtlich Stimme, Artikulation und Spiel (natürlich teamtauglich!) glänzen läßt.
Saskia Maas ist mit ihrem kraftvollen und modulationsreichen Sopran die Gattin des Mandarins, Li. Der Kuli Yang, zwischen verbotener Liebe zu dieser und tödlich schief gegangenem Entengeschäft hin und hergerissen: Martin Enger Holm, der situationsgemäß zwischen lyrischem und Charaktertenor changieren muß, darf und kann.
Das Buffo- (und Gauner-)paar besteht aus Tänzerin (Xiaofang Zhao) und Gaukler (Christoph Gerhardus), beide vorzüglich. Der (aus welchen Gründen immer, oder auch nur zufällig, Karl Lueger ähnelnde) Bonze von Felix Lodel lebt von dessen kultiviertem Baß.
Christoph Gerhardus, Gregorio Changhyun Yun . Copyright: Petra Moser
Die Haushofmeisterin (von Tenorbuffo auf Mezzosopran transponiert) ist für Génesis Beatriz López Da Silva eine komplexe Rolle, die sie mit ihrer sehr guten Stimmer präzise gestaltet.
Ein frühes Justizopfer: Statist
Unter Ingmar Beck spielen etwa 20 Streicher des Bruckner Orchesters Linz mit duftigen, bei Bedarf aber auch höchst intensiven, Klängen, mit Harfe, Harmonium, Celesta und Klavier sowie etlichem Schlagwerk: So macht die Bearbeitung die umfängliche Orchestrierung im Original (fast) vergessen!
Schlussapplaus. Foto: Petra und Helmut Huber
Begeisterter, langer Applaus. Und wir können bestätigen, wie schon in der Vorberichterstattung der Regisseur im „Merker“ lt. „OÖ Nachrichten“ zitiert wurde: „Man wird nach einer Stunde den Saal mit dem Gefühl verlassen, eine ganze Oper gesehen zu haben“.
Petra und Helmut Huber