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LINZ/Landestheater/ Black-Box: „DAS LICHT VOM ANDEREN HAUS – IL VIAGGIO“ – Uraufführung

20.10.2024 | Oper in Österreich

Linz: „DAS LICHT VOM ANDEREN HAUS – IL VIAGGIO“ – Uraufführung im Musiktheater des Landestheaters Linz, Black Box, 19. 10.

Zwei Operneinakter (unter Gesamttitel des letzteren) in deutscher Sprache von Alois Bröder (Text und Musik) nach Novellen von Luigi Pirandello.

Auftragswerk und Produktion des Oberösterreichischen Opernstudios in Kooperation mit dem Teatro Comunale di Modena

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Ensemble. Foto: Petra Moser

Der 1961 in Darmstadt geborene Komponist Alois Bröder ist dem Linzer Publikum bereits durch seine Oper „Unverhofftes Wiedersehen“ (ÖEA 25. Februar 2018) bekannt. Er hat als Anregung diesmal zwei Novellen des italienischen Literaturnobelpreisträgers Luigi Pirandello, die um 1910 spielen, verwendet. Pirandello ist vor allem als Dramatiker bekannt; so ist auch sein erzählendes Werk oft theatralisch gedacht, wie Dramaturgin Anna Maria Jurisch in ihrer Einführung anmerkte.

Das erste Stück, lokalisiert in Neapel, beginnt mit einer schrecklichen Gewalttat: der Vater prügelt die Kinder und erschlägt seine Gattin. Jahre später zieht einer seiner Söhne in ein kleines Zimmer ein, in dem er kein Licht machen will. Gegenüber liegt ein Haus, in dem eine Familie ähnlich seiner wohnt: ein alles andere als trautes Heim, aber mit Licht! Irgendwann verlässt der Vater mit den Kindern die Wohnung. Die Frau bleibt alleine zurück und bemerkt, nicht ohne Zutun der Vermieter des Herrn gegenüber, daß sie einen Beobachter, oder vielleicht Verehrer hat. Die beiden werden ein Paar und ziehen fort. Jahre später kehren sie in das kleine, lichtlose Zimmer zurück, um die heranwachsenden Söhne zu beobachten.

„Die Reise“ ist eine tragische: Die Sizilianerin Adriana, schon lange nach einem unguten Mann verwitwet, leidet unter heftigen Schmerzen, die wohl von einer fortgeschrittenen Krebserkrankung stammen. Ihr Schwager Cesare, der oft und gerne Reisen unternimmt, muß sie mühsamst motivieren („Ich habe nicht mehr die Kleidung, um mich öffentlich sehen zu lassen.“), wenigsten in Palermo einen Spezialisten zu besuchen. Der bestätigt den hausärztlichen Verdacht der Unheilbarkeit und verschreibt ihr Schmerzmittel. Cesare überredet sie schließlich, sich vor ihrem Ende noch ein Abenteuer zu gönnen: erstmals Sizilien zu verlassen, Neapel, dann Rom, Florenz, Mailand zu sehen. Zweisamkeit und gemeinsame Erlebnisse führen schließlich dazu, daß die beiden einander ihre schon lange unterdrückt vorhandene Liebe und Leidenschaft erkennen und gestehen. So eine Reise kann ohne Venedig nicht vollständig sein. Dort wird Adriana ihre vielleicht schönsten Tage mit dem Medikamentenfläschchen beenden, als die Schmerzen unerträglich werden.

Alois Bröder mag in Darmstadt geboren sein, aber ein „dogmatischer Darmstädter“ ist er als Komponist sicher nicht: natürlich kann er mit allen Kompositionsmethoden, auch Mikrotonalität etc. umgehen, aber in erster Linie malt er musikalische Bilder, die oft nicht weitab der Spätromantik liegen und sehr suggestiv sein können. Da kommt es schon einmal vor, daß im „Licht“ eine absteigende Akkordfolge an Puccini erinnert. Und die Reise zu den Sternen oder in die Ewigkeit, die Adriana unternehmen muß, wird mitunter in Stimmungen erzählt, wie man sie, mit anderen Noten, von Gustav Holts „Planeten“ kennt. Überhaupt kommt es uns im zweiten Werk öfter vor, daß Stimmen, Darstellung, Szenario und Musik zu einer Einheit verschmelzen, die man nicht mehr auseinanderhalten kann und will – ein Verdienst, das der Komponist zwar mit Dirigentin, Bühnenpersonal und Inszenierung teilen muß, was uns aber bei zeitgenössischen Werken kaum je untergekommen ist! Zur oft sehr transparenten und fragilen Struktur der Musik trägt auch der Chor bei, der (auf Italienisch) leise hintergründige Kommentare singt und in Adrianas letzten Sekunden ein ersterbendes Ausatmen mehr erahnen als hören läßt, das frösteln läßt (Herren des Extrachores im „Licht“, Damen in der „Reise“, Einstudiert von David Alexander Barnard).

Die Inszenierung von Gregor Horres achtet genauest auf die Personenführung, bis hin zu kleinsten Details der Darstellung. Sicher auch im Sinne des postgraduate-Studiums, das das „Opernstudio“ sein soll. Bühne, Kostüme und Video stammen von Mariangela Mazzeo: auch wenn die Geschichten aus der frühen Moderne stammen, ist die 50er-Jahre-Optik der Kostüme im Sinne der des Librettos stimmig, bis hin zu exakten Details wie einem Kelly bag. Die Bühne ist entsprechend dem „Kellertheater“ studioartig gedacht, aber nicht karg: im ersten Werk dominiert eine Konstruktion aus Fensterrahmen, mit einigen wenigen Requisiten, im zweiten kommt auf der Reise durch Italien auch etwas Grün dazu.

Das mit gut 30 Damen und Herren besetzte Bruckner Orchester (mit Klavier, Celesta und großem Schlagwerk) bietet unter Jinie Ka eine präzise und emotionsgeladene Leistung, wobei das Dirigat auf feinste Abstufungen gerade in den vielen leisen Passagen achtet und generell höchste Präzision bietet. Zudem: auch in langsamen Stellen läßt die Dirigentin Emotionen glühen und hält immer die Spannung aufrecht, auch über sehr weit gespannte Bögen.

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Beatriz López Da Silva, Christoph Gerhardus. Foto: Petra Moser

Christoph Gerhardus hat im „Licht“ die recht hoch gesetzte Baritonrolle des Beobachters Tullio Butti, die er stimmlich strahlend und auch schauspielerisch eindrucksvoll meistert. Die Frau von gegenüber, Margherita Masci wird von Génesis Beatriz López Da Silva mit sich sorgfältig steigernder Leidenschaft gesungen, auch sie erstklassig auf die Rolle eingestellt. Lily Belle Czartorski und Saskia Maas liefern als Mutter und Tochter Nini, die Vermieterinnen des lichtlosen Zimmers, saubere Rollengestaltungen.

Schauspielerisch genau ausgelotete Statistenrollen: Uwe Baco (Sig. Masci / Tullios Vater), Fabian Harrich und Vitus Pfleger-Schauer als Margheritas Kinder / Tullios Geschwister, Yossef Erlacher ist Tullio als Kind.

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Saskia Maas. Foto: Petra Moser

In der „Reise“ ist Saskia Maas Adriana Braggi: nun darf und kann sie mit ihrer Stimme ein riesiges Repertoire an Emotionen gestalten, immer präzise und kontrolliert, umso ergreifender. Auch ihr Schauspiel beeindruckt: von verhärmter Hausfrau bis zu strahlend frisch Verliebter, mit darunter wachsende Wehmut und Angst über ihre tödlichen Erkrankung, zeigt sie alle denkbaren Facetten ihrer Rolle.

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Felix Lodel. Foto: Petra Moser

Ihr Schwager Cesare Braggi wird von Martin Enger Holm mit ebenso jugendlicher wie lyrischer Tenorstimme und feinem Schauspiel gestaltet. Die kurzen Auftritte von Adrianas Söhnen (zuletzt als Visionen kurz vor ihrem Tod) werden von Sophie Bareis und Lily Belle Czartorski beweglich und humorvoll präsentiert. Hausarzt bzw. Primarius in Palermo: Felix Lodel mit schicksalsdunklem Baß, einmal empathisch, einmal distanziert.

Weitere Rollen sind der Statisterie überantwortet: Uwe Baco, Uschi Glas, Maria Kirchner.

Begeisterter Applaus, auch für Produktionsteam und Autor.

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Schlussapplaus Ensemble. Foto: Petra und Helmut Huber

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Schlussapplaus mit Komponist und Autor. Foto: Petra und Helmut Huber

Petra und Helmut Huber

 

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