Linz: „DAS LICHT AUF DER PIAZZA“ – Premiere im Musiktheater des Landestheaters Linz, Black Box, 13. 04.; österreichische Erstaufführung
Musical mit Texten und Musik von Adam Guettel, Buch von Craig Lucas nach der Novelle „The Light in the Piazza“ von Elizabeth Spencer
Deutsche Übersetzung von Roman Hinze
Lukas Sandmann, Valerie Luksch. Foto: Reinhard Winkler für Landestheater
Die Geschichte um eine US-amerikanische Familie mit einer nach Unfall mental nicht ganz fitten Tochter und deren Erlebnisse in Italien und mit Italienern – besonders geht es um die unterschiedlichen Sichtweisen auf an sich unstrittige Tatsachen – wurde 1962 mit großer Besetzung von MGM unter Guy Green verfilmt. Es spielten u. a. Olivia de Havilland, Yvette Mimieux, Rossano Brazzi und George Hamilton (Mutter und Tochter Johnson, Vater und Sohn Naccarelli). Insbesondere geht es schließlich darum, daß sich ein junger Italiener in besagte Tochter verliebt und seine Familie deren Defizite als Wohlerzogenheit interpretiert, während ihre Eltern drüber diskutieren, ob sie nicht eher in eine geschlossene Anstalt gehöre. Schließlich gibt’s nur mehr ein großes Problem: das Mädchen ist älter als der ragazzo, und das geht schließlich gaaaar nicht…
Adam Guettel, Enkel des Musicalgiganten Richard Rodgers, gilt als skrupulöser Arbeiter, der lieber nur alle 10 Jahre ein Werk herausbringt, mit dem er sich identifizieren kann, als für schnelleres Geld seine Standards zu opfern. Was er uns in diesem Werk serviert, klingt wie irgendwo zwischen Astor Piazolla, Lucio Dalla und Ernst Krenek angesiedelt, mit einigen recht eindrücklichen opernhaften Ensembles, die Darstellerinnen und Darstellern sehr viel abverlangen, weitab der üblichen Musicalinterpretation. Überhaupt ist die Komposition sicherlich die stärkste Seite des Abends, weitab von Klischees, höchst individuell und originell.
Ob die story sehr plausibel ist, sei jedoch dahingestellt; insbesondere scheint die Figur der Clara sehr, zu sehr zurückhaltend gezeichnet – etwas naiv, das ja, aber sicher nicht gemäß der originalen Novelle als auf das Niveau einer Zehnjährigen restringierten jungen Erwachsenen. Ein Eindruck, den uns ein Freund, der beruflich einschlägig tätig ist, definitiv bestätigte. Auch ist die Sprachwelt weit von dem in der Geschichte festgelegten Jahr 1952 entfernt: allzusehr hat da wohl die politisch (angeblich) korrekte Verflachung und Übervorsicht zugeschlagen – ob das schon bei der Verfassung des Bühnenoriginals passierte, das seine Uraufführung 2005 hatte, oder ob sich das bei der in anderen Aspekten durchaus gelungenen Übersetzung eingeschlichen hat, wer weiß?
Max Niemeyer, Sanne Mieloo, Sandra Schütz. Foto: Reinhard Winkler für Landestheater
An den darstellerischen Leistungen krankt dieser nicht sehr spannende Abend sicher nicht, denn die sind zweifelsohne sorgfältig gezeichnet, engagiert und auch auf der wie erwähnt höchst anspruchsvollen Sangesseite ohne Einschränkung als hervorragend zu bezeichnen. Und: auch wenn niemand aus der Bühnenmannschaft einen italienischen Namen hat, erschallt das Italienisch der Familie Naccarelli authentisch. Überhaupt ist die Diktion erstklassig, auch wenn die Deutlichkeit nicht in allen Teilen der Publikumstribüne wirklich ankommt – Tonaussteuerung? Lautsprecherverteilung? Mitlauftext fehlt da schon etwas.
Die zentrale Figur der als Kind durch Hufschlag verunfallten Clara Johnson gibt Valerie Luksch mit großer Stimme und sympathischer Ausstrahlung – aber, und das geht wohl zu Lasten von Textbuch und vielleicht Regie, man hat keinen Eindruck einer relevanten Beeinträchtigung, allenfalls den einer leichten Zurückhaltung. Nur wäre die einer jungen Erwachsenen der 1950er, die erstmals in ein fremdsprachiges Land reist, ohnedies wohl angestanden. Ihre Mutter Margaret wird von Sarah Schütz als zwischen verschiedenen, ihr allesamt nicht geheuren Optionen für Clara Zerrissene plastisch auf die Bühne gestellt.
Lukas Sandmann als der verliebte Fabrizio Naccarelli ist stimmlich und als junger Italiener, der Clara als das titelgebende Licht erscheint, wirklich restlos überzeugend. Eigentlich gilt letzteres ja für die ganze Familie – den höflichen Vater Naccarelli (Max Niemeyer), seine familiär-fürsorgliche Gattin (Sanne Mieloo), Fabrizios älteren, zügellosen Bruder Giuseppe (Enrico Treuse) und dessen mit Grund erboster Gattin Franca (Alexandra-Yoana Alexandrova).
Valerie Luksch, Sarah Schütz, Alexandra-Yoana Alexandrova. Foto: Reinhard Winkler für Landestheater
Als nur am transatlantischen Telefon verfügbarer Vater Roy Johnson und als Priester, der die Hochzeit mit Hindernissen segnen soll: Gernot Romic, präzise und präsent wie immer.
Die Musicalabteilung hat es sich ja schon lange zur Gewohnheit gemacht, den Musikgruppen für das jeweilige Stück passende Namen zu geben. Heute spielt das Quintett „Il mondo era vuoto“, zusammengestellt vom Geiger Christian Wirth (u. a. „Spring String Quartet“), der heute aber nicht selbst Dienst tut. Nebst Geige hört man Violoncello, Kontrabaß, Harfe und Klavier, von dem aus Juheon Han die musikalische Leitung fest in Händen hält und die facettenreiche Musik im Stil eines aus ganzem Herzen spielenden italienischen Salonorchesters präsentiert. Sowas kann man heute sonst nur mehr am Markusplatz von Venedig z. B. vorm Café Quadri hören…
Inszenierung und Choreografie obliegen Melissa King, die viele Facetten sehr schön herausgeholt hat, z. B. die turbulenten Familieninterna der Naccarellis. Aber die lahmende Geschichte kann auch sie mit ihrer reichen internationalen Erfahrung nicht wirklich flott kriegen. Die Bühne von Judith Leikauf und Charly Fehringer nutzt das begrenzte Technik- und Platzangebot des Kellersaales des Musiktheaters hervorragend; kleinere Umstellungen müssen von den Darstellerinnen und Darstellern bewerkstelligt werden. Insgesamt stellen die beiden einen sehr gut und szenisch plausibel bespielbaren (Studio-)Raum zur Verfügung. Aquarellartig gefilterte Stadtansichten (Florenz, Rom) bilden den passenden Hintergrund. Das Lichtdesign (Michael Grundner) wirkt unauffällig-perfekt an der Räumlichkeit mit; gewollte Ausnahmen einige mittels Scheinwerfer hervorgehobene Viertwandverletzungen.
Die Kostüme von Judith Peter treffen präzise die gehobene 50er-Jahre-Mode. Übersetzer und Dramaturg Arne Beeker hat ein höchst informatives Programmheft erstellt.
Schlussapplaus. Foto: Petra und Helmut Huber
Nach 2 Stunden 40 Minuten (inklusive einer Pause nach ca. 3/5 des Stückes) freundlicher, aber nicht wirklich begeisterter Applaus – natürlich für Darstellerinnen und Darsteller und die Musik, aber auch für das Peoduktionsteam.
Petra und Helmut Huber