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LINZ/ Landestheater: AIDA. Premiere

30.12.2021 | Oper in Österreich

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Jin Hu Lee (Bote), Michael Wagner (König). Foto: Linzer Landestheater / Herwig Prammer bzw. Reinhard Winkler)

Linz: „AIDA“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 29. 12. 2021

Opera lirica in vier Akten von Antonio Ghislanzoni nach einem Text von François Auguste Ferdinand Mariette Pascha, Musik von Giuseppe Verdi

In italienischer Sprache mit deutschen Untertiteln

Auguste Mariette steht für ein fundamentales Umdenken in der Ägyptologie: während er anfänglich selbst noch, in der Tradition von Salt, Drovetti, Belzoni und konkurrierenden ägyptischen Gruppen, mit eher robusten Methoden (Sprengstoff zur Graböffnung, kolonialistische Aneignung von Fundstücken) zu arbeiten begann, änderte er, 1858 von Vizekönig Said Pascha zum Direktor der Altertümerdienste ernannt, sein Tun und Trachten radikal; er gründete das auch heute noch bestehende Ägyptische Museum in Kairo, setzte eine Respektierung des Exportverbotes von Funden sowie Modernisierung der Archäologenarbeit durch. Und seine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem alten Ägypten führte auch zu belletristischen Ideen über diese versunkene Welt, die nun wieder zum Vorschein kam.

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Gotho Griesmeier (Priesterin). Foto: Linzer Landestheater / Herwig Prammer bzw. Reinhard Winkler)

Über seinen Don-Carlos-Librettisten Camille du Locle kam Verdi, der sich eigentlich entschlossen hatte, (vorläufig) nichts mehr zu schreiben, im April 1870 an den Textentwurf des ihm bis dahin unbekannten Mariette; sein erster Eindruck war, daß der Autor ein Experte der Bühne sein müsse, da er einige dramatisch sehr vielversprechende Momente entwickelt habe. Nun, bald hatte der Komponist eine Vorstellung, wie er das Stück anlegen könnte – sicherlich im großen Stil, wie für die „Grande Boutique“ Pariser Oper, was sich definitiv in der Struktur des Werkes (sowie im verlangten und auch bezahlten Honorar) niederschlug. Was später zu Vorwürfen der Oberflächlichkeit gegenüber dem „Carlos“, oder, gaaaaanz schlimm, gar des „Wagnerismo“ führte. Noch 1884 sah sich Verdi genötigt, in einem Schreiben an den Komponisten und Dirigenten Ferdinand Hiller darauf einzugehen: „… nell’Aida vi è più mordente e più … teatralità“, die ägyptische Oper sei also ergreifender und theatralischer als der Schiller-Stoff.

In Linz hatte die sofort, in Kairo wie in Mailand, erfolgreiche Oper 1881, zehn Jahre nach der Uraufführung, ihre erste Produktion. Seither gab es 7 weitere, meist eine Spielzeit laufende, Inszenierungen, bis 1966 – somit wurden also Aida-begierige Linzerinnen und Linzer für 55 Jahre nach Verona verwiesen…

Mit der oberitalienischen „Heimat“ dieser Oper seit 1913 und der in den letzten Dekaden dort etablierten museal-luxuriösen Inszenierung kann man natürlich nicht auf gleicher Ebene konkurrieren. Daher kam das Produktionsteam (Inszenierung Sabine Hartmannshenn, Bühne Stefan Heinrichs, Kostüme Edith Kollath, Licht Herbert Sachsenhofer, Dramaturgie Christoph Blitt) auf die sicherlich nicht neue Idee, den Abend im Gewande einer Theaterprobe ablaufen zu lassen. Wobei dann die Emotionen und Rollenidentifikation der Darstellerinnen und Darsteller von Akt zu Akt intensiver und unmittelbarer werden – in jedem Falle Ausdruck sorgfältiger Personenregie. Umrahmt ist das von Kulissenteilen, die eifrig hin- und hergeschoben werden, dabei nur selten ihre Schauseite zeigen, die die dann klare Verweise auf die erwähnte Veroneser Inszenierung gibt. Aber auch hier gilt: je weiter der Abend voranschreitet, desto weiter tauchen die Szenarien in die Realität des Stückes ein; ist die Anrufung Ptahs zu Ende des ersten Aktes noch eine Party, vielleicht anläßlich der ersten Kostümprobe, bei der die Darstellerin der Amneris Canapèes reicht und der Pharaonenthron mit bunten Luftballons geschmückt ist, geht es beim Triumphmarsch, zumindest dessen zweiter Hälfte, schon deutlich ernsthafter zur Sache. Die Verließszene schließlich ist zwar in äußerster Reduktion gehalten – schwarze Vorhangumrandung, keinerlei ägyptische Folklore, Radames links, Aida rechts hinten auf der Bühne, zwei downlights, und Amneris kauert verzweifelt lauschend vorne an der Rampe – aber daraus resultiert nun wieder höchste Konzentration auf die Emotionen der Eingemauerten.

Der König wird vom Ensemblemitglied Michael Wagner mit tragfähigem Bass gegeben, mitunter aber schlägt ihn Ramphis Petar Naydenov an Schwärze in der Stimme; insgesamt jedenfalls erfreuliche Leistungen. Auch Adam Kim weiß als Amonasro zu überzeugen, insbesondere mit seinem wichtigen Anteil am Nil-Akt; die Regie läßt sich für ihn, sozusagen als Ersatz fürs verpönte blackfacing, ein partielles – äh – blackrightarming einfallen…

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Sonja Saric (Aida), Sung-Kyu Park (Radames). Foto: Linzer Landestheater / Herwig Prammer bzw. Reinhard Winkler)

Die Titelrolle ist mit Sonja Šarić (a. G. aus Graz – beste Nachwuchssängerin 2019, Ö. Musiktheaterpreis) wunderbar besetzt: insbesondere ihre schon leicht himmlisch-jenseitige stimmliche Gestaltung des vierten Aktes ist überaus berührend, aber auch in den anderen Akten überzeugt sie mit ihrem trotz Tragfähigkeit und Durchschlagskraft nie scharfen Organ. Ihre Gegenspielerin Amneris ist Elena Batouková-Kerl (a. G., dzt. Würzburg), deren Stimme nicht nur klangvoll bis in die tiefsten Tiefer ihrer Partie mitmacht, ohne vielleicht andererseits in den Höhen zu schwächeln, sondern die auch die höchst wechselhafte und widerspruchsvolle Gefühlswelt ihrer Rolle schauspielerisch und stimmlich klar über die Rampe bringt.

Eine Gastbesetzung ist auch Sung-Kyu Park als Radamès (schon Anfang 2020 als Manrico in Linz – und als solcher auch schon in Verona aufgetreten). Wie im „Trovatore“ überzeugt er auch diesmal wieder mit strahlender Stimme und engagiertem Spiel, wobei ihm die Regie heute auch weniger aufzulösen gibt als im Vorjahr. Ein- oder zweimal muß er sich bei Spitzentönen allerdings in die Kopfstimme flüchten – so beim vorschriftsmäßig leisen hohen B am Ende der „Celeste Aida“, das ja Verdi ausdrücklich nicht als Schmetterton wollte, und wofür sogar ein strikter Notentextadvokat wie Arturo Toscanini eine „Oktavlösung“ anbot. Aber insgesamt liefert er eine vorzügliche Verkörperung, nicht zuletzt auch im vierten Akt mit seinen intensiven und schwierig darzustellenden Emotionen.

Weitere, ansprechend ausgefüllte Solorollen: Jin Hun Lee (Bote), Gotho Griesmeier (Priesterin).

Nach der Choreografie von Jörn-Felix Alt tanzen und agieren als Amnerislobhudlertrupp, Kampfhunde, angstvoll-unfreiwillige Blutopferlieferanten für Ptah usw.: Anna Bárbara Bonatto, Katharina Glas, Urko Fernandez Marzana, Lukas Ruziczka – akrobatisch, expressiv, mitunter zum Schmunzeln, mitunter zum Fürchten.

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Elena Batoukova-Kerl (Radames). Foto: Linzer Landestheater / Herwig Prammer bzw. Reinhard Winkler)

Auch zum Fürchten können Chor und Extrachor des Landestheaters Linz unter Elena Pierini und Martin Zeller klingen – namentlich als düstere Priesterschar bei der Verurteilung von Radamès. Aber auch in lichteren Situationen machen die Damen und Herren ihre Sache in dieser Choroper – wie gewöhnt! – hervorragend. Für Statisterie, aber auch Bühnenarbeiterinnen und Bühnenarbeiter des Landestheaters Linz gibt es viel zu tun – siehe die „Theaterprobensituation“! Wofür auch letztere am Schluß verdientermaßen vor den Vorhang dürfen.

Erneut in Traumform das Bruckner Orchester Linz, das unter Markus Poschner nicht nur den  Schlager „Triumphmarsch“ ohne billige Übertreibungen, mit äußerster Präzision und Transparenz (wobei wohl der leicht angehobene Grabenboden mithalf) und natürlich mit perfekt eingesetzten Aida-Trompeten zu Gehör brachte, sondern auch die zahlreichen sehr bis extrem leisen Stellen mit äußerster Klangpräzision und feinster Durchhörbarkeit gestaltete,  damit eine großartige Spannungsklammer über den ganzen Abend legte. Womit nicht nur der Dirigent gelobt sei, der das Orchester NOCH weiter bringt als seine schon sehr respektablen Vorgänger, sondern auch das Einstudierungsteam von Jinie Ka mit Claudio Novati, Kieran Staub und Svetlomir Zlatkov.

Der Applaus für diese coronabedingt um einen Monat verspätete Premiere klang zufrieden mit – vor allem beim Gesangs-Spitzentrio und Dirigent/Orchester – Begeisterungsakzenten; die erschienenen Damen Hartmannshenn und Kollath mußten allerdings einiges an Buhrufen einstecken.

Petra und Helmut Huber

 

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