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LINZ/Landestheater: „Ach! Ohne Hoffnung, wie ich bin, geb‘ ich mich doch der Hoffnung hin!“ – Richard Wagners Der fliegende Holländer am Landestheater Linz, Premiere

26.01.2025 | Oper in Österreich

Ach! Ohne Hoffnung, wie ich bin, geb‘ ich mich doch der Hoffnung hin!– Richard Wagners Der fliegende Holländer am Landestheater Linz, Premiere am 26.01.2025

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Foto: Reinhard Winkler für Landestheater

Wie die gleißenden Wellen eines Sturmes peitschen die Töne der Ouvertüre durch den Saal. Voll und wogend ist der Klang des Bruckner Orchesters, gleichzeitig achtet Markus Poschner am Pult darauf, jedweden Kitsch außen vor zu lassen, dafür aber an den richtigen Stellen den Klang fein und detailliert zu gestalten. Ein nacktes Totschlagen durch zu große Lautstärke soll an diesem Abend zu recht vermieden werden. Noch während der Ouvertüre öffnet sich der Vorhang und wir sehen eine harsche Küstenlandschaft, fernab jedweder Seefahrer-Romantik. Nur in der Ferne verheißt das Blinken eines Leuchtturms etwas wie Hoffnung und Orientierung. Nun gibt die Drehbühne die Kneipe eines heruntergekommenen Fischerdorfs in einem sozialistischen Staat noch vor der Wende frei. Ein kleines Mädchen in gelber Öljacke, welches wir gerade noch an der Küste sahen, tritt ein und muss miterleben, wie nach einem Schiffsunglück Leichensäcke mit toten Seeleuten dort aufgebahrt werden. Es ist die junge Senta, neugierig darauf, was hier vor sich geht. Einer der Leichensäcke öffnet sich, ein Seemann scheint überlebt zu haben, verliert den Kampf um sein Leben letztlich jedoch vor Sentas Augen, der sich das Bild unvergesslich in die Erinnerung brennt. Sie fotografiert den toten Seemann mit ihrer Kamera und wird ihn von nun an in den Mittelpunkt ihrer Sehnsüchte stellen. Regisseur und Intendant Hermann Schneider hat hier also eine Vorgeschichte hinzugefügt, was sich im Laufe des Abends als klug und durchaus passend herausstellen soll.

Denn zum einen nimmt sie dem Werk jedwede romantische Verklärung, konfrontiert es mit einer unwirschen und unbequemen Realität. Das ist durchaus im Sinne Wagners, der sich als Kind seiner Zeit erst langsam der musikalischen Moderne zuwandte und in seinen Libretti stets bei romantischer Verklärung und Mystifizierung blieb. Der Holländer ist dabei sicherlich das realistischste seiner Werke, nicht zuletzt weil es seine Erfahrung während der Überfahrt auf dem Schoner Thesis und die dortigen, drastischen Erlebnisse bei wilder See widerspiegelt. Auch musikalisch ist Wagners vierte Oper zwar noch dem alten Schema von Nummern und Rezitativen verhaftet, der düstere Duktus des Werks und Wagners Anweisung das Werk ohne Pause durchzuspielen (was auch an diesem Abend in Linz der Fall ist) zeigen jedoch, daß er mit dem Holländer bereits an der Schwelle zu seiner Idee der unendlichen Melodie und somit auch dem Tor zur musikalischen Moderne steht. Auf Wagners Holländer folgten Lohengrin und Tannhäuser, die vordergründig von romantisierenden Themen wie bedingungsloser Liebe, dem Streben nach künstlerischer Selbstverwirklichung und Hingabe handeln. Doch beide werfen bereits deutliche Fragen nach Wahrheit, Werten und Unaufrichtigkeit auf. Dem stellt Wagner im Tristan eine offene Zäsur entgegen, die Verrat und zügelloses Verlangen in den Mittelpunkt stellt und mit dem Tristan Akkord die musikalische Moderne bis heute entscheidend prägt. Schließlich stellt im Ring des Nibelungen eine ungeschönte Darstellung göttlicher (und auch menschlicher) Gier und Machtpolitik den Gipfel von Wagners Schaffen dar. Kein Wunder also, daß Parsifal sich schließlich als Wagners letztes Werk mit dem Streben nach Erlösung auseinandersetzt. Ein fast schon notwendiger Schritt, um an den düsteren und misanthropischen Themen nicht zu zerbrechen und so die Hoffnung an das Ende von Wagners Schaffen zu setzen. All diese Themen finden sich – sozusagen in Kurzversion – bereits im Holländer wieder, Sentas bedingungslose Liebe an einen Unbekannten erinnert an jene des Lohengrin zu Elsa, Erik fühlt sich durch Senta verraten, Daland verkauft seine Tochter zur Befriedigung seiner Gier und der Holländer selbst erinnert an den getriebenen Wotan, der als Wanderer durch die Lande streift und keine Rast findet, da er an der Verantwortung für die Auswirkungen seines Handelns verzweifelt.

Zum anderen bringt Hermann Schneiders Produktion das Werk so auch in die heutige Zeit, ohne es umgestalten zu wollen: Mit Beginn des ersten Aktes finden wir uns in der Zeit nach der Wende wieder und somit jener Neuordnung von Welt und Gesellschaft, deren aufgeworfene Fragen bis heute unbeantwortet bleiben. Sah Francis Fukuyama mit dem Fall des Eisernen Vorhangs das „Ende der Geschichte“ und immerwährenden demokratischen Frieden auf der Welt erreicht, stellte dem Samuel P. Huntington die These vom Clash of Civilizations gegenüber, die in Folge des Zusammenbruchs des Kommunismus einen Konflikt zwischen der zunächst dominierenden westlichen Zivilisation mit China und dem Islam prognostizierte und heute nicht nur bejaht, sondern als im vollen Gange befindlich angesehen werden muss. Herr Schneider baut somit nicht nur eine Brücke zwischen dem Themen Wagners und denen der heutigen Zeit. Er zeigt vielmehr, daß sich die Themen des langen 19. Jahrhunderts bis heute nicht nur gehalten, sondern weiter verschärft haben und Richard Wagners Holländer aktueller nicht sein könnte (wie eigentlich Wagners gesamtes musikalisches Schaffen). Daß er hierfür einige Kunstgriffe tätigt, Erik zum Dorfpolizisten macht, die Frauen im Dorf nicht mehr spinnen, sondern in der Kneipe bei Zigaretten und Flaschenbier Fernsehbingo spielen und Senta beispielsweise am Ende des Abends nicht den Freitod wählt schadet dem Werk als solches glücklicherweise nicht. Es ist ein feiner Grad auf dem sich diese Produktion erfolgreich balanciert, ohne in selbstherrliches Regietheater abzudriften, die Werktreue des fliegenden Holländers berücksichtigt, letztlich die Fragestellung von Wagners Werk nur vertieft und für die heutige Perspektive greif- und verstehbarer macht. Hinzu kommen einige elegante Kniffe, wie beispielsweise die Benennung des Schiffes des Holländers als „Bernard Fokke“, dem Namen jenes Niederländischen Kapitäns, der Protagonist der eigentlichen Sage um den fliegenden Holländer war, und welches nun nicht mehr ein schwarzer Schoner mit blutroten Segeln, sondern ein stählerner Tanker in denselben Farben ist.

Das hochgradig differenzierte Dirigat Maestro Poschners unterstützt diese Intention: Schon während der Ouvertüre lässt er das „Steuermann“-Thema fein und elegant erklingen, an keiner Stelle erschlägt die Lautstärke die detailreiche Komposition, stets ist ausreichend Freiraum für alle Sänger vorhanden. Die Arie vom Südwind wird so tatsächlich zur Bel-Canto-Arie (großes Lob hier an Jonathan Hartzendorf, der als Steuermann einfühlsame und lyrische Qualitäten unter Beweis stellt), deren Finesse freilich durch einen Donnerschlag beiseite gedrängt wird, als das Schiff des Holländers mit einem mal erscheint. Das Duett zwischen Senta und dem Holländer führt in regelrecht paradiesisch-lyrische Klänge die tatsächlich ein erlösendes Happy-End vorgaukeln, während sich der Matrosenschor von Strophe zu Strophe zu einem extatischem Klangfest steigert, welches sich schließlich zu einem schauderhaften Höhepunkt entwickelt, der das Haus nahezu zum Bersten zu bringen scheint. Tatsächlich überzeugen Chor und Extrachor des Landestheaters durch perfekt abgestimmte Einsätze, sauberen Klang und tiefgehende Eindringlichkeit und erzeugen so während der Chorpartien im dritten Satz einen jener seltenen katharsischen Momente, die im wahrsten Sinne des Wortes eine Woge der Begeisterung erzeugt. „Sause, Sturmwind, heule zu! Unsern Segeln lässt du Ruh‘! Satan hat sie uns gefeit, reißen nicht in Ewigkeit!“ – es scheint als schlügen die riesigen Wellen eines Klangorkans über dem Saal zusammen, um alles im peitschenden Taumel der Musik zu ertränken.

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Foto: Reinhard Winkler für Landestheater

Auch die drei Hauptrollen unterstützen die Intensität dieses Abends. Michael Wagners Bass gehört ohnehin zu den Besten im deutschsprachigen Raum und schöpft auch dieses Mal wieder aus dem Vollen. Als gestandenen und unbeugsamen Seemann zeichnet er Daland mit kraftvoller Stimme, der keinesfalls als gieriger, skrupelloser Despot daherkommt. Vielmehr gelingt es Herrn Wagner, durch seine Stimme Güte und Optimismus zu versprühen. Daland ist hier das Medium, das zu einer möglichen Erlösung des Holländers von seinem Fluch, aber auch von Sentas Kindheitstrauma führt. So rücken auch nicht die Juwelen, die der Holländer für die Vermählung bietet, in den Mittelpunkt seines Handelns, sondern der aufrichtige Charakter des zukünftigen Schwiegersohnes, der ihn von der Redlichkeit seines Handelns überzeugt. „Ja! dem Mann mit Gut und hohem Sinn geb froh ich Haus und Tochter hin!“. Die Vorfreude, die Daland und der Holländer zum Ende des ersten Aktes durchklingen lassen, wirkt wie ein Sonnenstrahl, der durch die Düsternis der allgemeinen Stimmung im Holländer hindurch scheint und es ist Michael Wagners Wärme, die diesen Optimismus in Töne zu fassen weiss. Daland wird so zum Symbol für ein geregeltes und friedvolles Leben, jener Abkehr von der düsteren Vergangenheit hin zu einer strahlenden Zukunft die angestrebt wird – für den Holländer durch die Hand Sentas, für Senta durch den richtigen Entschluss ihres Vaters.

Aber ist eine solche Interpretation passend, wenn die dauerhaft angedeutete Erlösung dann doch nicht stattfindet? Genau hierin liegt die Stärke von Schneiders Lesart des Werks: Die Erlösung des Protagonisten wäre möglich, wenn dieser sie nur zuließe! Denn obschon das Streben des Holländers voll und ganz auf seine Erlösung ausgerichtet zu sein scheint, bestimmt sich sein Handeln letztlich durch die dunklen Seiten seines Charakters: Ohne nur ein Foto von Senta gesehen zu haben, hält er bei Daland um ihre Hand an, versucht ihn durch seine Reichtümer zu bestechen, versucht also Sentas Hand gewissermaßen zu kaufen. Dabei geht er ohne Skrupel vor, nimmt keinerlei Rücksicht auf die Gefühle Sentas, ihre Wünsche und Gefühle, erkundigt sich nicht einmal nach diesen. Seine Passage zum Schluss des dritten Aktes zeigt jene Fokussierung auf die eigene Person auf: „Denn wiss‘, Unsel’ge, welches das Geschick, das jene trifft, die mir die Treue brechen: ew’ge Verdammnis ist ihr Los!“ – kein Wort im Vorfeld gegenüber Senta wer er ist und welche Risiken eine Liebe zu ihm mit sich bringt. Zweifelsohne liegt hierin die Herausforderung für den Holländer: Das Herz einer Frau an nur einem Tag zu gewinnen, ohne auf ihre Bedürfnisse einzugehen, muss per se scheitern. Und dennoch bricht unkontrollierte und grenzenlose Wut aus ihm heraus, als er meint, feststellen zu müssen, dass Senta ihn betrügt. Eine Verifizierung seiner Annahme findet allerdings schlicht nicht statt. Spätestens hier zeigt sich der wahre Fluch, der auf dem fliegenden Holländer lastet, es ist seine Unfähigkeit, Empathie zu zeigen und auf die Gefühle anderer einzugehen. Ein Charakterzug, der ihn nach heutigen Maßstäben wohl soziale Inkompetenz bescheinigen und als abweisenden Eigenbrötler, wenn nicht sogar als Soziopathen klassifizieren würde.

Dass eine solche komplexe Charakterdarstellung gelingt, liegt nicht zuletzt auch an der großartigen Umsetzung durch Aris Argiris, dessen Holländer zwischen Wut und Verzweiflung hin- und hergerissen ist. Voller Dynamik, Kraft und Entschlossenheit hallen seine Worte durch den Saal: „Die Frist ist um“. Endlich soll seine rastlose Suche ein Ende haben, endlich der Fluch gebrochen werden. Doch rasch kommt auch die Qual zum Vorschein, die den Holländer peinigt. Herr Argiris lässt durchblicken, wie sehr das Schicksal des Holländers diesen regelrecht zerfrisst. Ganz richtig kippt so seine anfängliche Entschlossenheit in Wehklagen, getrieben von der Angst, auch dieses Mal zu scheitern und niemals Erlösung zu finden. „Dich frage ich, gepries’ner Engel Gottes“ wird so zu einem ersten Höhepunkt des Abends, in dem Aris Argiris mit stimmlicher als auch darstellerisch packender Intensität in einem meisterhaft abgestimmten Zusammenspiel mit dem Bruckner Orchester das Wechselbad der Gefühle aufzeigt, welches wogend wie die aufgewühlte See den Holländer peinigt. Abgerundet wird dies schließlich durch eine fast schon an Mozart erinnernde Feingliedrigkeit, mit der Herr Argiris das Duett mit Daland zum Ende des ersten Aktes gestaltet. Hoffnung keimt im Holländer auf, sollte es diesmal wirklich möglich sein, den Fluch abzulegen? Klar und strahlend wie ein Silberstreif am Firmament des Ozeans wächst in der Stimme des Holländers die Hoffnung auf eine bessere Zukunft: „Ach! Ohne Hoffnung, wie ich bin, geb‘ ich mich doch der Hoffnung hin!“.

Auch im Zusammenspiel mit Senta wird die Ambivalenz zwischen Hoffnung und Verzweiflung stets deutlich und Dorothea Herbert, die kurzfristig für Erica Eloff einsprang und dieselbe Rolle derzeit auch am Hessischen Staatstheater Wiesbaden singt, kann hier nur als glückliche Fügung bezeichnet werden. Ihre Senta ist fasziniert von der morbiden Dunkelheit, die von der Figur des Holländers ausgeht. Frau Herbert macht bewusst, daß Senta als Kind bereits von dem Tod des unbekannten Matrosen, den sie miterlebte, nicht nur fasziniert war. Das Wandern zwischen Leben und Tod scheint einen verderblichen Reiz auf sie auszuüben und so lässt Frau Herbert ein dunkles Schimmern in der Ballade vom Holländer aufleuchten, was beispielhaft für die Thanatophilie Sentas ist, erklärbar nur durch eine tiefe Abneigung gegen die Welt in der sie sich befindet. Als Wandler zwischen Leben und Tod verkörpert der Holländer ein überirdisches Leben, welches nicht nur durch seine Übersinnlichkeit für Senta attraktiv ist, sondern auch den Sieg über die Profanität des Lebens im Fischerdorf symbolisiert. Auch Sie ist eine Eigenbrötlerin, die nach einem anderen, für sie besseren Leben strebt. Der Holländer ist für Senta die Hoffnung auf dieses andere, bessere Leben und sie selbst macht sich zum Teil dessen, indem sie sich als jene Frau sieht, die ich von seinem Fluch erlöst: „Ich sei’s, die dich durch ihre Treu‘ erlöse! Mög‘ Gottes  Engel mich dir zeigen! Durch mich sollst du das Heil erreichen!“. So scheint auch hier Hoffnung durch die engelsklare Stimme von Dorothea Herbert, die mit jugendlicher Leichtigkeit die Gefühlswelt der jungen Frau mitreißend offenlegt. So ist dann das Aufeinandertreffen Beider von eben jener Hoffnung erfüllt, die im Duett des Holländers mit Senta gefühlvoll und zart zum Höhepunkt gelangt. „Wie aus der Ferne längst vergangner Zeiten“ wird von Herrn Argiris als sanfte und einfühlsame Liebeserklärung gestaltet, in welche Frau Herbert eben so fein und strahlend mit einstimmt. „Wonach mit Sehnsucht es dich treibt – das Heil, würd‘ es, du Ärmster, dir durch mich zuteil!“ Stimmliche Wärme erfüllt den Saal, Senta ist „ein heilger Balsam meinen Wunden“ die Stimmen von Frau Herbert und Herrn Argiris sind voller Kraft und goldenem Leuchten. „Die Kraft der Treue“ die Senta dann beschwört, scheint in hochromantischer Extase ein glückliches Ende zum Greifen nah zu bringen.

Um so größer ist die Wut des Holländers, als er den vermeintlichen Betrug Sentas aufdeckt, welche letztlich ohne sein Wissen nur eine Wut auf sich selbst ist. Rasend und voller Enttäuschung erzeugt er selbst durch sein Handeln eine selbsterfüllende Prophezeiung. Denn ein Rückfragen hätte die Treue Sentas bewiesen – doch dieses findet nicht statt. Dass es ausbleibt, stellt die Frage nach der Intrinsik des Holländers. Will dieser wirklich erlöst werden? Oder ist die Flucht in Selbstmitleid für ihn eine Methode des emotionalen Schutzes und die einzige Art und Weise, wie er mit einer neuen, sich verändernden Welt umgehen kann? Das Ausnutzen des Fluchs eine Möglichkeit sich selbst aus der Verantwortung zu stehlen und mit der Abarbeitung an der eigenen Wut eine Rechtfertigung für die Unfähigkeit sozialen Miteinanders zu schaffen? Ist er als Einzelgänger unfähig geworden einen zweiten Menschen in sein innerstes zu lassen, auch wenn er mit Senta eine ebenso eigenbrötlerische Person gefunden hat? Mit der Rückkehr auf sein Schiff sehen wir den Holländer nach der kurzen Phase des Glücks im 2. Akt nun auch wieder an der emotionalen Ausgangsposition des 1. Aktes. Rasend schneidet die Stimme von Aris Argiris durch die Luft und hält den Ton lange und donnernd, wenn er von „ewiger Verdammnis“ singt. Ob Senta sich für den Freitod entscheidet, wissen wir an diesem Abend nicht. Sie kniet sich neben dem Schiff des Holländers nieder, ihr kindliches Alter Ego daneben – das Ende der Geschichte bleibt an diesem Abend offen. So ist der fliegende Holländer an diesem Abend ein Suchender, der seine Heimat sucht („das Eine nur, nach dem ich brenne, ich find‘ es nicht – mein Heimatland!“) und somit symbolisch für die Neuorientierung der westlichen Gesellschaft nach der Wende steht, die letztlich bis heute andauert! Er steht für das Individuum in einer sich rapide und permanent transformierenden Welt, die Überforderung mit dieser andauernden Veränderung und der daraus resultierenden Orientierungslosigkeit und dem Rückzug in Einsamkeit und Selbstisolation.

Ein Abend also, der nicht nur musikalische Exzellenz bietet, sondern die universellen Fragestellungen in Wagners erstes Kanon-Oper pointiert herausarbeitet und auf die offenen Fragestellungen unserer Zeit erfolgreich umlegt. Großer Jubel im Haus nach dem Vorhang, es gibt stehende Ovationen für einen herausragenden Abend – Bravissimi tutti!

E.A.L

 

 

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