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LINZ/ Kammerspiele des Landestheaters – FAMILIENFESTE: GESPENSTER von Ibsen / MRS. DALLOWEY von Virginia Woolf/ VIKTORIA UND IHR HUSAR von Abraham

11.10.2015 | Theater

Premiere Landestheater Linz/Kammerspiele am 10. Oktober. 2015

Familienfeste

Gespenster (Henrik Ibsen), Mrs. Dalloway (Virginia Woolf), Viktoria und ihr Husar (Abraham/Grünwald/Löhner-Beda)

Benötigte das in der Vierzigern von Lord Melody und Sir Lancelot auf Trinidad geschriebene Lied „Shame and Scandal (in the Family)“, in den 1960ern ein dann weltweiter hit, rund drei Minuten, um gschlamperte Familienverhältnisse und ihre Folgen zu schildern, schrieb Henrik Ibsen ein dreiaktiges Schauspiel darüber, das allerdings auch die düsteren Spätfolgen dieser Konstellation umfaßt. Freilich waren die Zeiten unterschiedlich: 1943 fand das Lied trotz des „production code“ Eingang in einen Hollywood-Film, Ibsen wurde 60 Jahre davor von der europäischen Zensur abgeblockt, sodaß die Uraufführung schließlich in die USA ausweichen mußte – 1882 fand diese in Chicago statt.

Mrs. Dalloway ist ein 1925 veröffentlichter Roman, der sich vor allem der Beschreibung und Analyse der inneren Befindlichkeiten der Londoner Gesellschaft nach den Umwälzungen des „Great War“ widmet und dabei eine neue Erzählweise der Überlagerung innerer und äußerer Vorgänge verwendet.

Der erste Weltkrieg spielt auch im dritten Stück des Abends die bestimmende Rolle, als er in die Hochzeitspläne einer ungarischen Gräfin und ihres geliebten Husarenoffiziers eingreift und diese beiden und einige weitere Figuren über den ganzen Globus verteilt, bevor sie auf Umwegen (wieder) zusammenfinden.

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Anne Bennent, Christian Schreiber. Joseph Gallus Rittenberg

Der Regisseur und Bühnenbildner Armin Holz, u. a. einstiger Assistent von Peter Zadek, mit einer langen Liste von vielbeachteten Inszenierungen in Deutschland auf seinem Konto, hatte die Idee, unter einem sarkastisch zu verstehenden Titel Familienverhältnisse an diesen drei Werken exemplarisch abzuarbeiten – das Verhängnis in der klassischen Familie durch die Sünde der Väter, die zerfallende und eher durch Wahlverwandtschaften ersetzte nur mehr nostalgisch vorhandene Familie der modernen Großstadt, und schließlich, als relativ optimistischen Schluß, die Korrektur eines durch die Zeitläufte verloren geglaubten Liebesverhältnisses, nicht ohne auf im Krieg beschädigte Charaktere zu verweisen. Ibsen wurde dazu auf gut 1 Stunde gekürzt, ohne auf wesentliche Elemente zu verzichten, bei Woolfs Roman wurde ein ca. 40 Minuten langes Kapitel etwa in der Art eines Hörspiels halbszenisch aufgearbeitet, nur die Operette wird mit knapp 2 Stunden Dauer wohl im komplettem Umfang gegeben (dramaturgische Beratung Gerhard Ahrens).

Die Ausstattung wurde vom Regisseur zusammen mit Michael Müller und Richard Stockinger besorgt. Bei Ibsen herrscht klassisches Theater vor: die Kostüme entsprechen der Zeit der Uraufführung, die Bühnengestaltung ist abstrahiert und auf die wesentlichsten Versatzstücke und Möblierung (die auch eine puritanische Strenge ausstrahlt) beschränkt. Die Regie verlangt allerdings einige darstellerische Mätzchen, deren Sinn sich uns nicht ganz erschlossen hat. Ähnlich wie im ersten Teil der Bühnenraum für Mrs. Dalloway, der allerdings von einen gewaltigen Gehirnmodell dominiert wird – Symbol für die vorwiegend beschriebenen geistigen Vorgänge? Weniger kryptisch die Gestaltung der Bühne für die Operette, die wieder in ähnlicher Weise wie das erste Stück hingestellt wird, mit einem stilisierten Fujiyama im Hintergrund für die Szenen in Japan, einer Mauer um die US Botschaft in Petrograd und einer angedeuteten Puszta-Landschaft im dritten Akt. Gemeinsames Element der drei Stücke sind ein Stein im Vordergrund (die Last der Familienverhältnisse??) und ein kahler Baum, der trotz seiner silbrigen Einfärbung eine anklagende Anmutung ausstrahlt.

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Peter Pertusini, Anna Eger. Foto: Joseph Gallus, Rittenberg

Die Aufführung stützt sich auf prominente Gäste – die in der letzten Zeit bühnenabstinent gewesene Anne Bennent, der an den großen deutschen Theatern beheimatete Klaus Christian Schreiber, der Berliner Oliver Urbanski und die nach einer Karriere an deutschen Spitzentheatern überwiegend für TV und Film tätige Valerie Koch. Die Linzer Ensemblemitglieder Peter Pertusini, Stefan Matousch und Anna Eger vervollständigten die Besetzungsliste.

Anne Bennent ist eine überzeugende Helene Alving, deren mühsam aufrecht erhaltene Welt zusammenbricht und sie mit ihr fast ebenso. Peter Pertusini verkörpert ihren verirrten und verwirrten Sohn, der den Boden unter den Füßen verloren hat, über das trotzige und rotzige Aufbäumen gegen das Verhängnis bis zum finalen Zusammenbruch überzeugend. Der selbstgerechte und intrigante Pastor Manders wird durch Herrn Schreiber ebenso vorzüglich dargestellt wie Engstrand, Tischler und Hüter eines dunklen Geheimnisses durch Stefan Matousch. Dessen angebliche Tochter Regine ist Frau Eger, die die vorzügliche Besetzung adäquat vervollständigt.

Das Kapitel aus „Mrs. Dalloway“ wird von den Damen Bennent und Koch sowie Herrn Schreiber mit teils wechselnd verteilten, teils ensembleartig zusammengeführten Rollen rezitiert – alleine schon die gewaltige zu memorierende (und anscheinend fehlerfrei wiedergegebene) Textmasse ist eindrucksvoll; das Resultat ist eine Art Luxus-Hörbuch. Aber man sollte Woolf vielleicht doch besser selbst lesen?

Die Operette wird in einer musikalisch reduzierten Form gegeben, wobei die Instrumentalisten (Paul Schuberth, Einrichtung, chromatisches Knopfakkordeon und diverse kleine Schlaginstrumente; Victoria Pfeil, Saxophone von Sopran bis Bariton, Mitarbeit an der Perkussion) vom klassischen Abraham’schen Notentext bis zu Ausflügen in Free-Jazz-Gefilde und musique concrète alles Erdenkliche bieten. Frau Bennent gibt die Viktoria schauspielerisch erwartungsgemäß vorzüglich als respektvolle Gattin des Botschafters und Liebende des Husaren; ihr Gesang allerdings, der etwas an Lotte Lenya erinnert, will nicht recht zu der musikalischen und szenischen Substanz passen, auch wenn man der Inszenierung durchaus Ironie und schwarzen Humor unterstellen kann. Klaus Christian Schreiber kann als Sänger mit einem eher dünnen, aber intonationssicherem und tragfähigem Tenor an der Grenze zwischen Natur- und ausgebildeter Stimme als titelgebender Husarenrittmeister (und auch als Bürgermeister) deutlich mehr punkten. Oliver Urbanski ist im Gesang vielleicht weniger begabt, aber als Schauspieler, Tänzer und Musiker (an der singenden Säge und am Saxophon) sehr gut; er gibt den Grafen Ferry Hegedüs als Nobelschlurf der Generation Charleston mit Hang zum Koks (nicht dem schwarzen…). Frau Koch ist seine Gespielin und dann Ehegattin, und über ihre Herkunft („Meine Mama war aus Yokohama“) singt sie mit der bei weitem besten, richtig jazzigen, Singstimme des Abends. Frau Eger und die Herren Matousch und Pertusini runden als Riquette, Cunlight und Janczy das Ensemble mit sauberen und unterhaltsamen Leistungen ab. Insgesamt war der szenische Eindruck bei der Operette für uns am ehesten als zwiespältig zu umschreiben.

Das Publikum insgesamt dachte wohl ähnlich – beim freundlichen, aber nicht enthusiastischen Schlußapplaus bekamen die beiden jungen Musiker den größten Teil ab.

Der gesamte Abend von sozusagen wagnerschen (oder ungestrichenen Faust-)Dimensionen ist noch zweimal eingeplant, getrennte Aufführungen von „Gespenster“ mit „Mrs. Dalloway“ einerseits oder „Viktoria“ anderseits wird es noch mehrere geben.

H & P Huber

 

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