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LINZ/ Brucknerhaus: „NULLEINS“ – (Brucknerorchester, Markus Poschner)

27.01.2020 | Konzert/Liederabende

Linz: „NULLEINS“ – Konzert im Brucknerhaus, Großer Saal, 26. 01.2020

Das Bruckner Orchester Linz unter Leitung und mit Moderation von Markus Poschner

Während die einen dieser Tage auf „mörderische“ Aufschläge von Dominic Thiem in Melbourne hoffen, schlägt das Bruckner Orchester daheim in Linz auf: „Nulleins steht für das erste Mal, Urknall oder Aufschlag. Gemeint ist das allererste Konzert in der erstmals eigenen Konzertreihe des Bruckner Orchester Linz.“ (zitiert aus der Konzertankündigung).

Für ein Bruckner-Orchester ist der Namensgeber selbstredend Programmverpflichtung, und am Beginn einer eigenen Konzertreihe wäre die erste Symphonie des Meisters aus Ansfelden die logische Wahl. Nur ist dessen „1. Symphonie“ irgendwie nicht ganz dessen erste Symphonie: es gibt eine 1863 komponierte (Werkverzeichnis Anton Bruckner 99) in f-Moll, die Bruckner ausschließlich als „Schularbeit“ verstanden wissen wollte; 1866 folgte die „wirkliche Erste“, WAB 101, in c-Moll. Und dann gibt es eine, die mit der quasi unmöglichen Bezeichnung „die Nullte“ in der Werksliste Bruckners herumgeistert: dieses opus (WAB 100, in d-Moll) entstand 1869, seinem ersten Jahr in Wien als Lehrer am Konservatorium der Musikfreunde; Bruckner hat sich, nach negativer Kritik des Hofopernkapellmeisters Dessoff („kein Hauptthema im ersten Satz“),  nie ernsthaft bemüht, sie aufführen zu lassen. Trotzdem enthält dieses Werk zahlreiche kompositorische Fingerübungen, die sich bis hin zu Bruckners Neunter niedergeschlagen haben – und der erste Satz ist als Verflechtung verschiedenster Motive abseits der „gültigen Regeln“ konstruiert, also in Wirklichkeit revolutionär (weicht aber auch noch nicht so weit vom Kanon ab wie der „Tristan“). Jedenfalls vernichtete er das Werk nicht, vermachte es sogar dem oberösterreichischen Landesmuseum; schließlich, ein Jahr vor seinem Tod, schrieb er bei der Ordnung seines künftigen Nachlasses auf die Titelseite des Autographs „ganz ungiltig“ und „annullirt“. Publikation und Uraufführung erfolgten erst 1924.

Wir hörten diese Symphonie nach der Pause; vor dieser waren Inspirationsquellen für Bruckner programmiert: „eine gehörige Portion von italienischem Esprit“ in der Wilhelm Tell-Ouverture – Rossini galt im Biedermeier als der populärste Komponist zumindest in Europa. Es folgen Grand Opéra samt wegweisender Instrumentationskunst vom Bruckner seit 1864 geläufigen Hector Berlioz (Ouverture zu „Béatrice et Bénédict“) und die Magie der „Sphärenklänge“ von Josef Strauss, op. 235; dieses Werk wurde im selben Jahr wie WAB 100 komponiert.

Die Zahl der Musikerinnen und Musiker blieb den ganzen Abend im Prinzip gleich, was bedeutet, daß die Wilhelm-Tell-Ouverture wohl gegenüber den originalen Usancen gut 1½fach besetzt war (z. B. konnten wir 14 zweite Geigen zählen), und gegenüber dem klassischen Strauss-Orchester reden wir von einer Verdoppelung. Absolut nicht aber reden wir von einer Vergröberung der Interpretation – Poschner und das Bruckner-Orchester finden genau die richtigen Proportionen in Eleganz, Dynamik und Transparenz.

Zu Beginn leider eine jahreszeitlich nicht unbedingt überraschende Enttäuschung: Orchestervorstand Norbert Trawöger teilt uns mit, daß der eigentlich als Moderator (und vielleicht auch solistisch) vorgesehene Martin Grubinger durch eine fieberhafte Erkrankung ausfällt.

Beim Rossini-Schlager jedenfalls herrscht bis ins letzte Glied absolute Präzision, das Solo-Cello singt himmlisch, überhaupt ist der Streicherklang großartig, seidig – wenn man überhaupt eine Gruppe hervorheben sollte aus diesem tollem Kollektiv.

Den Beginn der Berlioz-Ouverture könnte man umschreiben mit „Be-bop meets Klassik“ – so irrlichternd schickt der Komponist anfangs seine Themen, besser: Themenfragmente durch Instrumentengruppen und Tonarten; daß Markus Poschner als respektabler Jazz-Pianist gilt, mag hier auch kein Manko sein. Im Weiteren bestimmen Melodik und Pracht den Klang. Auch dies insgesamt eine spannende, federnde, detaillierte und perlende Interpretation in überzeugenden Tempi.

Die „Sphärenklänge“ nimmt Poschner in erster Linie als symphonische Dichtung, vor allem in der Einleitung (ausgeprägter als z. B. Franz Welser-Möst, Philharmoniker in Schönbrunn 2010). Er vergißt aber darüber auch nicht den Walzer. Die Klänge, die er dem Orchester entlockt, machen jedenfalls dem Titel alle Ehre; sie reichen bisweilen ins Ätherische, ohne dabei Sicherheit und Definition zu verlieren: bewegend!

Der gewaltige Applaus forderte eine Zugabe: die Polka „Ohne Sorgen“ (Josef Strauss op. 271) schickt uns mit Esprit, Tempo und Vergnügen in die Pause.

In dieser startet der Verkauf der ersten Ausgabe einer neuen Einspielung der Bruckner-Symphonien mit den Protagonisten des Abends, 1.000 Kopien der 8. Symphonie stehen erst einmal auf Vinyl zur Verfügung.

Und dann Bruckners „Annullierte“ in d-Moll: ja, dem ersten Satz fehlt eine „catch phrase“, ein Aufhänger, wie etwa die Hörner in der „Romantischen“ – aber was sich da an komplexen Verflechtungen heraushören läßt, erneut in transparentem, leuchtendem Spiel präsentiert, bei Wahrung des großen Bogens, des Zusammenhaltes, ist schon sehr interessant.  Der zweite Satz ist dann schon ziemlich der Bruckner, wie wir ihn kennen; mitunter, sicher nicht dem Dirigat anzulasten, lassen sich noch einige Durchhänger bei den musikalischen Ideen erkennen. Das Scherzo erinnert in der Thematik und italienischer Anmutung durchaus an Mendelssohn und eben Rossini, mit einem wunderbar „gesungenen“ Trio. Und der vierte Satz schließlich kündigt an, ja enthält schon fast alles, was Bruckner in Hinkunft ausmachen wird: Größe, Dynamik, harmonische Progressionen durch Sonne, Mond und Sterne, Iterationen. Als „erwachsener Bruckner“ wird das auch präsentiert, bis zum strahlenden Finale.

Lange anhaltender Jubel, Begeisterung über ein für etliche im Saal neues Werk, auf absolutem Spitzenniveau interpretiert. Nach 10 Minuten Applaus noch einmal eine Zugabe; man hat nur die selbe Polka wie vor der Pause greifbar – ja, ist nach diesem aufwühlenden Bruckner nicht ideal, aber so flott und sorgenfrei läßt man sich trotzdem gerne in die neue Woche entlassen!

 

Petra und Helmut Huber

 

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